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Nachruf auf Unternehmer Dr. Peter Geistlich

Der Wissenschaftler und Unternehmer Dr. Peter Geistlich verstarb am 23. Juli 2014 im 88. Lebensjahr. Bei der Geistlich Pharma AG leitete er in den 80er Jahren mit der Entwicklung von Knochenaufbaupräparaten den Einstieg in die Medizintechnik ein. Das Unternehmen, das er seit der Gründung präsidierte, hat sich heute als Weltmarktführer in der oralen Geweberegeneration etabliert. Ein Nachruf von Dr. Andreas Geistlich, Verwaltungsratspräsident Ed. Geistlich Söhne AG.


"Der Austausch mit den Wissenschaftlern war ihm stets sehr wichtig. Unwichtig hingegen war es ihm, für Aufmerksamkeit zu sorgen." Foto: Geistlich


Wenn ich die unternehmerische Leistung von Dr. Peter Geistlich aus Distanz in einem Satz zusammenfassen müsste, dann würde ich sagen: er hat die Firma Geistlich in ein neues Zeitalter überführt und dabei Meilensteine in der regenerativen Medizin gesetzt. Dies greift allerdings zu kurz, wenn man sein Wirken und seine einmalige Wesensart aus nächster Nähe kannte. Vor ziemlich genau 60 Jahren, nachdem er den Doktortitel als Chemieingenieur an der ETH erhalten hatte, trat Peter Geistlich 1954 in das Schweizer Familienunternehmen Geistlich ein und wurde kurz darauf  in den Verwaltungsrat gewählt. In der damaligen Nachkriegszeit – technischer Fortschritt und Wachstum waren angesagt – produzierte unsere Firma im großen Maßstab Leim, Dünger und Gelatine.

Peter Geistlich stieg am Firmensitz in Wolhusen (CH) in den Bereich Arzneimittel ein, welcher antibiotische Präparate und Kalziumprodukte herstellte sowie Fremdprodukte in Lizenz vertrieb. Rasch und mit viel Kreativität begann er, nach neuen, eigenen Produkten zu suchen. Bereits 1959 verfasste er ein erstes Patent für einen Wirkstoff gegen Tuberkulose. In den 70er Jahren initiierte er das Geschäft mit medizinischen Körperpflegeprodukten und Kosmetik. 1974 übernahm er von seinem Vater Paul Geistlich das Präsidium des Verwaltungsrates der Firma Geistlich.

Transformation der Firma von einem Industrie- in ein Technologieunternehmen

In den vergangenen 60 Jahren durfte das Unternehmen zahlreiche Erfolge verbuchen, musste aber auch Rückschläge und schwere Zeiten durchstehen. Dazu zählen beispielsweise der Verkauf der Kosmetiklinie Mediline und des Düngergeschäfts oder der Niedergang der Gelatineproduktion. Aber Peter Geistlich ließ sich dadurch nicht entmutigen. Im Gegenteil: Er schaute stets vorwärts und packte immer wieder Neues mit großem Enthusiasmus an. Dabei konnte er jederzeit auf die Unterstützung und Loyalität seiner Frau Annemarie Geistlich und der gesamten Familie zählen.

In den 80er Jahren läutete Peter Geistlich mit dem Einstieg in die Medizinaltechnik die Transformation der Firma von einem Industrie- in ein Technologieunternehmen ein. Die Basis dazu bildeten die fundierten Kenntnisse von Peter Geistlich über Knochen und Gewebe sowie eine von Freundschaft geprägte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Professoren Myron Spector an der Harvard Universität und Philip J. Boyne an der Loma Linda Universität in den USA, an welche heute die Philip J. Boyne and Peter Geistlich Professorship sowie die in 2013 gegründete Osteo Science Foundation erinnern.

Revolution der Implantat-Technologie durch Knochenersatzmaterial

Philip Boyne suchte damals nach einem Knochenersatzmaterial für die Mund- und Kieferchirurgie. Die Idee von Peter Geistlich war es, etwas Neues, Hochtechnologisches aus den Knochen herzustellen, die Geistlich damals im großen Maßstab industriell verarbeitete. Und tatsächlich: es zeigte sich rasch, dass die neu entwickelten Produkte Geistlich Bio-Oss und Geistlich Bio-Gide für den Knochenaufbau im Kiefer gut zu gebrauchen waren. Dies revolutionierte die Implantat-Technologie: plötzlich konnte man auch dort Implantate einsetzen, wo es vorher nicht möglich war, weil der Kiefer darunter zu dünn war. Auch ästhetisch erzielten die Zahnärzte mit den neuen Produkten von Geistlich viel bessere Resultate. Inzwischen hat sich die Firma Geistlich in der regenerativen Zahnmedizin als Weltmarktführerin etabliert, und jährlich werden die Produkte über eine Millionen mal eingesetzt.

Diese Erfolgsgeschichte wurde auch öffentlich anerkannt, indem die Geistlich Pharma zweimal den Zentralschweizer Innovationspreis gewann. Dies war für Peter Geistlich eine besondere Genugtuung, denn lange genug sah er sich im Entlebuch harter Kritik ausgesetzt, weil die ursprünglichen Tätigkeiten in Wolhusen starke Emissionen verursachten. Kurz vor seinem Tod erhielt Peter Geistlich von der Loma Linda Universität den Distinguished Humanitarian Award überreicht, was für ihn eine überaus große Ehre war und seinen unermüdlichen Einsatz zum Wohle des Patienten würdigt.

Spezielles Interesse an Arzneiwirkstoffen

Im Laufe der Jahre weitete Peter Geistlich das Konzept der biologischen Regeneration des Körpers auf neue Bereiche wie die Weichgeweberegeneration und die Behandlung von Knorpelschäden in der Orthopädie aus. Sein ganz spezielles Interesse galt den Arzneiwirkstoffen und vor allem dem Arzneimittel Taurolin, einer Substanz mit bakterizider Wirkung, die – wie man später herausfand – auch gegen Krebs einen bemerkenswerten Effekt zeigte. Peter Geistlich glaubte an Taurolin und versuchte bis zu seinem Lebensende, ihm zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Wissenschaften waren sein Leben: Mit über 140 erteilten Patenten hat Peter Geistlich sein Forschungstalent dokumentiert. Um die neuen Möglichkeiten der Regeneration zu erforschen und an die Zahnärzte zu vermitteln, begründete Peter Geistlich 2003 zusammen mit der Firma die Osteology Stiftung. Der Austausch mit den Wissenschaftlern war ihm stets sehr wichtig. Unwichtig hingegen war es ihm, für Aufmerksamkeit zu sorgen. “Tue Gutes und sprich darüber”, galt für Peter Geistlich nicht. Er tat Gutes und übte sich in Bescheidenheit und Zurückhaltung.

Jedes Produkt musste wissenschaftlich bewiesen, hieb- und stichfest sein

Peter Geistlich hatte Ideen, und er ließ Ideen zu, auch, dass man diese mit einer gewissen Narrenfreiheit verfolgte. Aber am Schluss musste jedes Produkt wissenschaftlich bewiesen, hieb- und stichfest sein, sonst legte er sein Veto ein. Diese Wissenschaftlichkeit ist zum Markenzeichen der Firma geworden, wie die Präzision einer Schweizer Uhr. Geistlich steht im Markt als Firma mit einer hervorragenden wissenschaftlichen Reputation da. Es ist das Wesen von Peter Geistlich, welches hier spürbar wird.

Als Mensch war Peter Geistlich ein Patron mit Charisma und Schalk. Er hatte eine gütige, aber auch eine beharrliche Seite. Er ließ seinen Mitarbeitern viel Handlungsspielraum, ohne dabei die Zügel aus den Händen zu geben. Es war ihm stets ein Anliegen, dass es seinen Mitarbeitern gut ging. So setzte er sich schon früh für eine Personalvorsorge zur Zukunftssicherung der Arbeitnehmer ein und war stets hilfsbereit, wenn er gebraucht wurde. Seine Menschlichkeit und sein Engagement bleiben unvergessen. Der familiäre Charakter und die Werte des Unternehmens, die er prägte, werden bis heute von den Mitarbeitern, Partnern und Wissenschaftlern im In- und Ausland geschätzt und geachtet.

Dies alles sind Geschichten und Errungenschaften, die weiterleben werden, auch wenn Peter Geistlich nicht mehr ist. Martin Luther soll einmal gesagt haben: “Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.” Peter Geistlich dachte wohl genau gleich. Denn mit großer Freude und viel Enthusiasmus investierte er stets viel in die Forschung und zeigte Interesse an deren Resultaten – bis zu seinem letzten Tag. Seine geliebte Parkanlage in Wolhusen, in welcher er noch im November des letzten Jahres einen Mammutbaum pflanzte, wird uns immer an diesen einzigartigen Menschen erinnern.