Expertenzirkel

Dentinkaries schonend exkavieren

Die Grenze zwischen irreversibel geschädigtem Dentin und kariös verändertem, aber remineralisierbarem Dentin zu erkennen – das ist die Crux beim Exkavieren. Objektive Kriterien für den Praktiker fehlen dazu nach wie vor. Doch das Thema wird neu diskutiert und steht im Mittelpunkt der Forschung etlicher Studiengruppen. „Was ist zu wenig, was ist zu viel?“, lautet die zentrale Frage. Das Thema Kariesexkavation ist in Bewegung.



Nach wie vor ist es in vielen Praxen Standard, bis zum knochenharten Dentin zu exkavieren. Wie kann das sein?
Kunzelmann: Wie weit man exkavieren muss, bevor man einen kariösen Defekt mit einer passenden Restauration versorgen kann, ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Den therapeutischen Endpunkt mit objektivierbaren Methoden exakt zu bestimmen ist immer noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Aber der Trend geht heute eindeutig zu mehr Substanzschonung.

Traditionell galt bisher: Die Exkavation ist abgeschlossen, wenn eine spitze zahnärztliche Sonde auf dem verbleibenden harten Dentin ein klirrendes Geräusch verursacht und die Dentinoberfläche mit der Sonde nicht mehr geritzt werden kann. So steht es in den aktuellen Lehrbüchern und so wird es auch an den meisten Universitäten gelehrt. Das klingt nicht nach schonendem Exkavieren …
Kunzelmann: Das ist richtig. Die klirrende Sonde hat sich jedoch jahrzehntelang in den Praxen und auch in den Hochschulen bewährt. Genau genommen entspricht dieses Kriterium jedoch einer „Übertherapie“. Wir entfernen mehr Substanz, als notwenig ist, wenn wir uns auf die Sonde verlassen. Das Thema Substanzschonung gewinnt jedoch inzwischen an Fahrt und endlich ist ein Umdenken im Gange.

Nur an den Hochschulen oder auch in den niedergelassenen Praxen?
Walter: Auch in den Praxen, wir setzen zum Beispiel seit zwei Jahren den selbstlimitierenden Polymerbohrer PolyBur ein.

Was sind die Vorteile?
Walter: Wir haben in unserer Praxis inzwischen bestimmt mehr als 50 Zähne so vor der Endo bewahren können. So etwas honorieren Patienten.

Wie genau gehen Sie vor?
Walter: Wir exkavieren die peripheren Anteile zunächst mit dem Hartmetallrosenbohrer und wechseln bei tiefen Läsionen in Pulpanähe auf den PolyBur. Er trägt kontrolliert und sicher nur das ab, was wirklich nötig ist, und hilft, die Zehntelmillimeter dünne Dentinschicht nahe der Pulpa zu erhalten.

Und das funktioniert mit einem 08/15-Rosenbohrer nicht?
Walter: Nein, definitiv nicht, das Risiko der Pulpaeröffnung ist zu hoch.

Aber es bleibt „Karies“ in der Läsion …

Meier: Nein, keine Karies, sondern unterschiedlich intensiv demineralisierte Zahnanteile.


Wie darf ich das verstehen?

Walter: Sobald die mit Bakterien infizierte Schicht abgetragen und die Kavität mit einer dichten, dentinadhäsiven Füllung abgeschlossen ist, findet keine Progression der Karies mehr statt. Das verbliebene Dentin hätte sogar das Potenzial zu remineralisieren.

Geringe Akzeptanz von Polymerbohrern

Polymerbohrer gibt es ja nicht erst seit gestern. Warum ist die Akzeptanz noch eher gering?
Kunzelmann: Es braucht enorme Überzeugungsarbeit. Schließlich wird ein jahrzehntealtes Konzept quasi abgelöst. Ich selbst bin vor 15 Jahren eigentlich angetreten, um zu nachzuweisen, dass ein substanzschonendes Exkavieren mit Polymerinstrumenten nicht funktioniert. Vielleicht lag das an einer etwas zu euphorischen Markteinführung der ersten Kunststoffbohrer. Ich habe mich erst im Laufe meiner Untersuchungen quasi vom Saulus zum Paulus gewandelt.
Die ursprüngliche Idee, einen Polymerbohrer für mehr Substanzschonung zu verwenden, stammt von Dr. Daniel Boston, Temple University, USA. Seine Idee war es, ein Instrument zu schaffen, dessen Härte geringer als die von gesundem und höher als die von kariös verändertem weichem Dentin ist, das häufig die Hauptlast der bakteriellen Infektion der Kavität enthält. Sobald die Schneiden auf gesundes Dentin treffen, sollten sie sich verformen, damit das Instrument unbrauchbar wird. Die Firma SS White Burs hat die Idee umgesetzt und 2001 unter dem Namen SmartPrep den ersten Polymerbohrer auf den Weg gebracht. Doch einige Jahre später war der SmartPrep in Europa nicht mehr zu bekommen.

Was war der Grund?
Kunzelmann: Rasterelektronische Aufnahmen zeigten, dass nach dem Exkavieren mit dem Polymerbohrer Bakterien zurückblieben. Der Europaexport wurde gestoppt, obwohl das überhaupt nicht nötig war. Denn mit keinem rotierenden Instrument lassen sich Bakterien restlos eliminieren, auch nicht mit Hartmetallrosenbohrer. Die Bakterien siedeln z. B. in den Dentinkanälchen durchaus in Bereichen, die man auch mit einem Hartmetallrosenbohrer nicht entfernen würde. Ich hatte damals zum Glück noch viele Rückstellproben und wir konnten in München im Rahmen vieler Untersuchungen und Doktorarbeiten belegen, dass das Konzept funktioniert. Alles lief bestens, nur konnte man den Polymerbohrer nicht mehr bekommen, und so suchte ich nach Alternativen. Die Firma Komet hat sich darauf eingelassen, obwohl man wusste, dass es zunächst einmal sicherlich kein Renner würde.

Frau Meier, warum hat sich Komet darauf eingelassen?
Meier: Uns hat das Konzept überzeugt! Nach der Einführung des PolyBur im IDS-Jahr 2011 organisierte Komet drei Expertenrunden mit fünf Universitäten. Ziel war es, gemeinsam den Stand der Forschung gegen Kariesübertherapie zu erarbeiten. Noch nie zuvor war Komet in eine derart aktive Vorleistung gegangen. Doch uns war klar: Der PolyBur ist erklärungsbedürftig! Hauptzielgruppe sind vor allem die Studenten, die mit der neuen, substanzerhaltenden Exkavationsphilosophie von Anfang an konfrontiert werden sollen. Dementsprechend förderten wir eingangs den Wissensaustausch unter den Hochschullehrern. Bis heute bemustern wir z. B. das Curriculum Kinder- und Jugendzahnheilkunde von Prof. Dr. Norbert Krämer, Marburg/Gießen.

Und wie wollen Sie die Praktiker gewinnen?
Meier: Durch unseren Direktvertrieb haben wir den ungefilterten Draht in die Praxis. Kommt es im Kundengespräch zum Thema selbstlimitierende Exkavation, klären unsere geschulten Fachberater den Zahnarzt über die neuesten Erkenntnisse auf. Zielgruppenorientiert werden die Eigenschaften des P1 natürlich dann verstärkt kommuniziert, wenn z. B. der Schwerpunkt einer Praxis auf Kinderzahnheilkunde liegt. Wir fördern den Wissenstransfer in die Praxis außerdem durch Fach- und Anwenderberichte in den Print- und Onlinemedien – dieser Expertenzirkel gehört beispielsweise auch dazu! Und dann möchte ich noch auf die P1-Produktinformation hinweisen: Sie ist leicht verständlich, manche Zahnärzte drucken sie sogar aus und geben sie zwecks einer optimierten Aufklärung dem Patienten bzw. Kollegen direkt an die Hand.

Frau Walter, nutzen Sie das?
Walter: Bislang noch nicht, aber die Idee ist gut.

Rechnet sich die substanzschonende Kariestherapie?

Kommen wir zu den wirtschaftlichen Aspekten. Rechnet sich für den Zahnarzt die substanzschonende Kariestherapie, oder zahlt er letztlich drauf?
Kunzelmann: Fakt ist: Wer die Pulpa schont, kann natürlich keine Endo abrechnen. Bei Kassenpatienten gibt es für Kunststofffüllungen im Kassensystem nur einen Minibetrag. Doch motivierte Kollegen wenden dennoch diese Technik an und ich freue mich, dass dieses Thema nun Fahrt aufnimmt. Das Umdenken beginnt, immer mehr Referenten rücken die Substanzschonung in den Fokus, die neuen Therapieansätze dringen ins Bewusstsein. Schade nur, dass all die substanzschonende Denkweise nicht angemessen honoriert wird.

Kons hat keine Lobby?
Kunzelmann: So kann man es formulieren. Es ist die Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung, dafür zu sorgen, dass die Zähne ihrer Patienten möglichst vital bleiben. Und sie sollte dafür sorgen, dass diese Leistungen im Abrechnungssystem auch abgebildet werden.

Der klassische Weg der Kariesexkavation besteht in derInspektion und der Untersuchung mit der Sonde: Verfärbungen und die weiche Konsistenz von demineralisiertem Dentin sind dabei die Kriterien, nach denen sich der Zahnarzt richtet. Das klingt plausibel. Wo liegt der Haken?
Kunzelmann: Weder die Verfärbungen noch die weiche Konsistenz des demineralisierten Dentins sind zuverlässige Indikatoren, um eine Infektionsgrenze zu ermitteln. Die weiche Konsistenz von demineralisiertem Dentin geht über den Bereich hinaus, der als infiziert und nicht mehr remineralisierbar gilt, denn die Härte des Dentins nimmt erst mit steigendem Mineralisationsgrad wieder zu, aber nicht zwingend an dem Punkt, an dem infiziertes in nichtinfiziertes Dentin übergeht. Und das kann zur Überexkavitation führen. Ein objektivierbarer therapeutischer Endpunkt fehlt noch immer. Denn bei Karies handelt es sich nicht um zwei klar abgegrenzte Schichten, infected/affected layer, wie sie Fusayama 1979 beschrieben hat, sondern um nicht abgrenzbare Übergänge, die durch Diffusionsprozesse entstehen.

Aber das Zwei-Zonen-Modell ist nach wie vor populär?
Kunzelmann: Ja, weil es so einfach ist. Aber es existieren keine definierten Zonen, wir haben Gradienten, also fließende Übergänge.

Und deshalb findet man keinen therapeutischen Endpunkt?
Kunzelmann
: Richtig. Nutzen wir das Sondenkriterium, entfernen wir zu viel. Setzen wir auf den selbstlimitierenden PolyBur, können wir die entscheidenden Zehntelmillimeter Dentin über der Pulpa erhalten.

Zehntelmillimeter Dentin erhalten, das reicht?
Kunzelmann: Ja, das entscheidet darüber, ob der Zahn „lebt oder stirbt“. Und mithilfe des Polymerbohrers, aber natürlich auch aller anderen substanzschonenden Exkavationsmethoden, zum Beispiel fluorescence-aided caries excavation FACE, bleibt man sicher von der Pulpa fern und verursacht keine vermeidbare endodontische Behandlung. Die Materialhärte lässt keine Überpräparation zu, denn nach dem Entfernen des weichen, kariösen Dentins stumpft er auf hartem, gesundem Dentin automatisch ab, er limitiert sich also selbst.

Der Kariesdetektor

Als etabliertes Kontrollinstrument gilt auch der Kariesdetektor …
Walter: Den ich persönlich nicht sehr schätze. Ich habe an der Universität damit gearbeitet, nutze ihn heute aber nicht mehr. Ich persönlich mag es nicht gerne, wenn ich die Kavität mit Farbe versehe, da ich dann nicht mehr „darin lesen kann“.
Kunzelmann: Richtig angewendet, funktioniert der Kariesdetektor eigentlich hervorragend. Er ist sicher, er ist einfach, er ist trivial zu interpretieren, und man kann ihn vernünftig erklären. Nur: Falsch anwendet, schadet er dem Zahn.

Passiert das häufig?
Kunzelmann: Definitiv! Der typisch deutsche, extrem sorgfältig arbeitende Zahnmediziner entfernt bekanntlich gerne auch den letzten rosa Schimmer. Und das ist zu viel, nur die kirschrot gefärbten Schichten dürfen exkaviert werden.

Also wird überpräpariert?

Kunzelmann: Richtig, bringt man auf Dentinkaries, also im Grunde auf Zahnhartsubstanz mit unterschiedlich großen Poren und Hohlräumen, den Farbstoff auf, entsteht ein Farbübergang von Blassrosa in den Randbereichen zum gesunden Dentin bis zu intensiv gefärbtem Kirschrot im Zentrum der Läsion. Aber auch in den Dentinkanälchen in Pulpanähe lagert sich der Kariesdetektor ein, so dass in Pulpanähe ein „falsch positives“ Signal gegeben wird. Der Gruppe um Fusayama war das bewusst und in Japan wird nicht bis zum letzten rosa Schimmer exkaviert, sondern es wird nur die intensive kirschrote Färbung entfernt. Das Bisschen Rosa blieb in der Tiefe der Kavität. Wer dem letzten rosa Schimmer hinterhereilt, exkaviert zu viel. Das belegen inzwischen auch Publikationen in Europa und Amerika. Die Japaner, die bekanntlich den ersten Kariesdetektor entwickelt haben, waren da Vordenker.

Es gibt Alternativen, Enzymlösungen, Carisolv, ein Mittel zur chemisch-mechanischen Kariesentfernung, drehmomentlimitierte Bohrer und die sogenannte fluoreszenzunterstützte Kariesexkavation, FACE. Welche dieser Möglichkeiten kommen in Betracht?
Kunzelmann: Enzyme sind vom Potenzial her eine spezifische Möglichkeit, den therapeutischen Endpunkt zu bestimmen. Doch zurzeit gibt es nichts dergleichen auf dem deutschen Markt. Enzymlösungen, mit denen bereits erfolgreich klinische Studien durchgeführt wurden, werden in Deutschland nicht verkauft.

Und Carisolv?
Kunzelmann: Die Effizienz des PolyBur kann durch die Kombination mit Carisolv gesteigert werden. Der Grund: Das Natriumhypochlorit löst denaturiertes Kollagen auf und erleichtert so den Materialabtrag. Gleichzeitig desinfiziert Carisolv die Kavität. Carisolv wird heute von einer Nachfolgefirma unter dem Namen New Carisolv System vertrieben (carisolvsystem.com).

Fluoreszenzunterstützte Kariesexkavation

Kommen wir zur fluoreszenzunterstützten Kariesexkavation …
Kunzelmann: Die von Prof. Wolfgang Buchalla, Regensburg, im Rahmen seiner Habilitation entwickelte Methode visualisiert Farbstoffe, die Abbauprodukte der Mikroorganismen sind. So lässt sich erkennen, wo und wie weit man exkavieren muss. Auch das ist ein sehr schonendes Verfahren, es funktioniert gut, man muss nur in die Filter für die FACE-Anwendung investieren und eine blaue Lampe verwenden, um Fluoreszenz-Farbsignale zu produzieren. Und dann kann man mit dem normalen Rosenbohrer gezielt da exkavieren, wo die Karies ist, und aufhören, wenn die Farbstoffe verschwunden sind. Ein sehr gutes Konzept. Von Bakterien infiziertes Dentin leuchtet orange-rot, gesundes Dentin dagegen grün.

Sollte man FACE mit dem PolyBur kombinieren?
Kunzelmann: Das wäre auf jeden Fall eine Option. Ich arbeite zum Beispiel mit Fluoreszenz-Filtern für FACE über der Lupenbrille. Diese FACE-Filter für die Lupenbrille sind aber bisher nur als Prototypen verfügbar. Man könnte übrigens auch drehmomentbegrenzt arbeiten. Ich habe Prototypen für drehmomentbegrenzte Handstücke verwendet und die funktionieren sehr gut. Entsprechende Produkte sind kommerziell aber ebenfalls noch nicht zu haben.

Welche Erfahrungen haben Sie mit solchen Alternativen gemacht, Frau Walter?

Walter: Bisher noch keine, ich bin mit dem PolyBur zufrieden. Man muss sich nicht umgewöhnen, greift zum Rosenbohrer, nur aus anderem Material.

Welche Kontrolle empfehlen Sie beim Exkavieren mit dem Polymerbohrer? Reichen taktiles Geschick und Urteil des Behandlers?
Meier: Taktilität ist ein subjektives Empfinden und führt leider zu keinen exakt reproduzierbaren Ergebnissen. Der Mensch ist keine Maschine!

Aber woher weiß man, wann man stoppen muss?
Walter: Da ich bereits seit zwei Jahren den PolyBur verwende, habe ich mittlerweile relativ viel Erfahrung damit. Ich weiß, wie mein Dentin, mein therapeutischer Endpunkt, ausschauen muss. Es hat eine richtig schöne, glänzende Struktur, keine glatte, sondern eine geriffelte Oberfläche. Am Anfang ist das beschädigte Dentin relativ weich und wird ruck-zuck abgetragen. Dann gelange ich an den Punkt, an dem der PolyBur sich selbst abreibt, der therapeutische Endpunkt ist erreicht, man muss nicht weiter exkavieren. Bei Dentinkaries nehmen wir den PolyBur standardmäßig.

Und wie wird kontrolliert?
Walter: Nicht mit chemischen Methoden, FACE oder Kariesdetektor, sondern visuell und mit der Sonde, aber nicht klirrend, sondern mit taktilem Gefühl.

Welche Kontrollmöglichkeiten werden heute generell am häufigsten genutzt?

Meier: Leider ist es noch immer die klirrende Sonde. So wird nach wie vor an Universitäten gelehrt und in vielen Praxen exkaviert! Sie war zu ihrer Zeit sicherlich angemessen – einer Zeit, als die Komposite noch in den Kinderschuhen steckten und aufgrund ihrer Schrumpfungsraten keinen dichten Randschluss boten. Das ist heute anders. Die moderne Adhäsivtechnik kann – eine vorschriftsmäßige Verarbeitung vorausgesetzt- – dichte Kavitätenränder liefern. Das ist Grundvoraussetzung für den Einsatz des PolyBur!

Belassen von Karies – Körperverletzung?

Karies an pulpanahen Stellen in einem Zahn zu belassen, stößt aber bei so manchem Praktiker auf erheblichen Widerstand, sogar von „Körperverletzung“ ist die Rede.
Meier: Noch einmal: „Karies … belassen“, das ist so nicht richtig. Wir sprechen von Kariesgradienten.

Die Exkavation pulpanah im noch „ritzbaren“ Dentin zu beenden, um unnötige Pulpaeröffnungen zu vermeiden, sorgt in der Praxis aber für Unsicherheit …

Meier: Ziel des PolyBur ist es nicht, die Pulpa niemals zu öffnen! Das entscheidet die Situation vor Ort. Auch mit dem PolyBur kann der Zahnarzt die Pulpa eröffnen.
Kunzelmann: Korrekt, dann war es aber auch nicht zu vermeiden. Wenn die Pulpa bereits offen ist, arbeite ich natürlich klassisch und nicht mit Polymerinstrumenten.

Wann sind selbstlimitierende Systeme klar kontraindiziert?
Meier: Der PolyBur ist nur für die pulpanahe Karies bei klinisch symptomlosen Zähnen indiziert. Er wird also immer zusätzlich eingesetzt, ist nie Ersatz! In den äußeren, härteren Arealen bzw. an der Schmelz-Dentin-Grenze ist also nach wie vor der Griff zum herkömmlichen Rosenbohrer geboten. Erst dann wird im pulpanahen Bereich der PolyBur zusätzlich eingesetzt, um hoffentlich die Zehntelmillimeter Dentin zu erhalten, die dazu führen, dass der Patient die Praxis ohne eine endodontische Behandlung verlassen kann.
Walter: Wenn ich befürchte, dass der Patient eine irreversible Pulpitis hat, wäre es der falsche Ansatz, die Karies noch schonend zu exkavieren. Das ist für mich eine klare Kontraindikation. Denn dann ist eine endodontische Therapie angesagt.

Wie steil ist die Lernkurve?
Kunzelmann: Bei den ersten Versuchen kann es sein, dass mehr als ein Instrument erforderlich ist, bis man sicher ist, dass genug Dentin abgetragen wurde. Mit etwas Routine reicht dann in der Regel ein Instrument pro Kavität aus. Die Besonderheiten betreffen nicht so sehr die Anwendung selbst. Gewöhnungsbedürftig wird eher die Bewertung des Ergebnisses sein. Denn die Dentinoberfläche wird nicht so hart sein, dass die Sonde klirrt. Die Endhärte ist ca. 60 Prozent der Härte von kariesfreiem Dentin. Es kann auch vorkommen, dass die Oberfläche nicht so glatt erscheint wie beim Exkavieren mit Hartmetallinstrumenten. Das ist nicht weiter problematisch, solange die Kavitätenränder sauber sind und einen dichten Verschluss mit Adhäsivrestaurationen ermöglichen. Nach „total etch“ oder nach Anwendung eines selbstätzenden Dentinadhäsivs unterscheidet sich die Oberfläche nicht mehr von einer klassischen Exkavation.

Ist die Adhäsivtechnik ein Muss bei dem Verfahren?

Kunzelmann: Ja, das ist eine klassische conditio sine qua non, ohne Adhäsivtechnik geht das nicht.

Heißt das, bei Glasionomerzementfüllungen ist der PolyBur ein No-go?

Kunzelmann: Ja, die Adhäsivtechnik ermöglicht diese Technik erst.

Selbstlimitierende Bohrer

Kommen wir zur Eröffnung der Kavität mit dem herkömmlichen Rosenbohrer, wie schützt man sich dabei vor der Überpräparation? Kann man zum Beispiel zu spät zum selbstlimitierenden Bohrer greifen?
Meier: Wir bieten ein großes Sortiment an Rosenbohrern an. Der Anwender kann für die Zugangskavität zwischen unterschiedlichen Materialien (Hartmetall, Keramik) wählen. Zudem stehen unterschiedliche Kopfgrößen (008–031), Instrumente mit einem schlanken Hals und zwei Schaftarten (204er- und der 4 mm längere 205er-Schaft) zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es am Markt ein großes Angebot an Lupenbrillen und Behandlungsmikroskopen. Alles in allem die beste Voraussetzung, um eine bedarfs‧gerechte, minimalinvasive Zugangskavität zu präparieren.

Wie gehen Sie in Ihrer Praxis vor?
Walter: Ich exkaviere erst einmal die pulpafernen Bereiche mit dem Hartmetallrosenbohrer. Pulpanah steige ich danach auf den PolyBur um. Merke ich, dass der PolyBur abgenutzt ist, die Exkavation aber noch nicht ausreicht, nehme ich einen zweiten PolyBur. Wobei dies nur selten vorkommt.

Sie greifen nicht erneut zum Hartmetallrosenbohrer?

Walter: Nein, ich nehme den PolyBur.

Herr Professor Kunzelmann, droht die Gefahr, dass der Zahnarzt zu spät zum Polymerbohrer greift?

Kunzelmann: Nein, ich sehe da gar keine Risiken. Der Zahnarzt hat in seiner Ausbildung gelernt, wann er in die Nähe der Pulpa kommt. Das sieht er, das hat er verinnerlicht. Spätestens ab dem zehnten Semester weiß er, bei welcher Zahngröße welche Schichtdicken zu erwarten sind.

Nehmen Ihre Studenten ab und an auch mal einen zweiten Kunststoffbohrer zu Hand?
Kunzelmann: Das kommt durchaus vor, etwa wenn der PolyBur die Schmelz-Dentin-Grenze tangiert, dann nutzt sich der Bohrer ab, bevor er vollständig exkaviert hat. In der Lernphase rate ich sogar dazu, einen zweiten Bohrer einzusetzen. Das sind allenfalls zehn bis 20 zusätzliche Instrumente, bei einem Stückpreis von 2€ eine überschaubare Investition. Dafür fühlt sich der Newcomer sicherer. Ich selbst komme seit Jahren mit überwiegend einem Instrument zurecht.

Wie häufig setzen Sie den PolyBur ein?
Kunzelmann: Seit es den PolyBur gibt, haben wir zirka 2.000 bestellt. Verwenden meine Studenten ihn nur in zehn Prozent der Fälle sinnvoll, haben wir 200 Pulpen gerettet. In dieser Größenordnung kalkulieren wir in München. Ich selbst nehme ihn ein- bis zweimal die Woche, da in meinem Patientenstamm die offene akute Läsion eher selten ist. Doch im Studentenkurs ist er permanent im Einsatz. Und ich bin glücklich über jeden Nerv, den die Studenten verschonen.
Mein schönstes Kompliment erhielt ich übrigens am Anfang des Wintersemesters von meinem Prothetik-Kollegen, Prof. Daniel Edelhoff, der das rotierende Instrumentarium seiner Abteilung überarbeitet hatte. Seine Studenten haben sich dafür stark gemacht, den Polymerbohrer standardmäßig ins Sortiment der Prothetikabteilung aufzunehmen.

Nach wie vor gewöhnungsbedürftig ist das Röntgenbild nach schonender Exkavation …

Walter: Richtig, die fertige Füllung kann auf dem Röntgenbild wie ein Kariesrezidiv erscheinen. Dafür fehlt aus meiner Sicht noch die perfekte Lösung. Ich kann das zwar dem Patienten erklären, er wird sich aber daran bestimmt nicht erinnern, wenn er ein Jahr später zu einem Kollegen geht.

Kritik der Kollegen

Fürchten Sie „Kollegenschelte“, also die Kritik von nicht eingeweihten Zahnärzten?
Walter: Das nicht, aber dennoch hätte ich gerne eine Lösung dafür.

Was sagt der Hersteller?
Meier: Aufklärung ist das A und O. Und die fängt bereits mit dem Patienten an. Unsere bereits erwähnten Produktinformationen bzw. Fach- und Anwenderberichte können da eine große Hilfe sein. Auch ein PolyBur-Pass stand einmal zur Diskussion, aber die Idee ist leider nicht praktikabel, er wird im konkreten Fall kaum zur Hand sein.

Welche Lösung empfehlen Sie, Herr Professor Kunzelmann?
Kunzelmann: Wenn man ein Röntgenbild macht und man hat substanzschonend exkaviert, dann erscheint das Material unter dem Bohrer natürlich nicht so dicht. Vor 30 Jahren hätte man das noch als Rezidiv interpretiert. Doch die Zeiten sind vorbei. Allein das radiologische Kriterium, eine Aufhellung unter einer Füllung, ist bei weitem kein Grund mehr, eine Füllung zu erneuern. Sie muss weitere Mängel aufweisen, etwa einen undichten Rand, der deutlich verfärbt ist, oder irgendwo einen deutlich sichtbaren Spalt. Dentinadhäsive haben sich enorm weiterentwickelt. Sie verfügen heute über eine extrem hohe Viskosität, das heißt, sie bilden eine ordentliche Schicht aus. Hat der Behandler nun das Pech, dass im tiefsten Punkt in einer Kavität eine etwas dickere Dentinadhäsivschicht zusammenläuft, dann entsteht am Übergang zwischen Füllung und Zahn eine röntgendurchlässige Schicht, wie sie auch bei substanzschonendem Exkavieren auftritt, in dem Fall ist es das Dentinadhäsiv.

Mit anderen Worten, das Phänomen, unter einer Füllung ein transluzentes Areal zu haben, ist ein grundsätzliches Problem der modernen Dentinadhäsive?
Kunzelmann: So sehe ich das. Es ist nicht nur das Ergebnis der substanzschonenden Therapie.

Dann würden Patientenpässe auch nichts bringen?
Kunzelmann: Ich halte nicht viel von solchen „Pässen“. Wenn ich von mir ausgehe, dann hätte ich den Pass dann, wenn ich ihn benötige, nie zur Hand. Unseren Patienten dürfte es nicht anders gehen. Der Pass bringt somit nicht viel.

Also braucht es mehr Aufklärung …
Kunzelmann: Ja, die Kollegen müssen verinnerlichen: Transluzenz ist keine Indikation für die Erneuerung einer Füllung.

Aber was, wenn nun ein Patient den Zahnarzt wechselt …
Kunzelmann: Die Zahnärzte in der niedergelassenen Praxis kann ich nicht sofort alle überzeugen. Aber wir machen Fortbildungen, auch Gutachterfortbildungen in Bayern. Die Gutachter wissen, dass eine Transparenz unter einer Füllung kein ausreichendes Kriterium mehr ist, die Füllung zu erneuern, es müssen Schmerzen hinzukommen, Empfindlichkeiten, ein verfärbter Füllungsrand, Verschleißerscheinungen, Frakturen; das sind Gründe für eine Erneuerung. Noch einmal: Eine Transluzenz allein ist nicht ausreichend.

Wann rechnen Sie mit einer flächendeckenden Verbreitung der substanzschonenden Exkavation?

Kunzelmann: Schwer zu sagen, aber es geht voran. Ich finde es toll, dass viele Referenten das Thema nun aufgreifen. Man wird ja nicht Mediziner, nur um Umsatz zu machen. Und wenn man weiß, es gibt etwas Schonendes, möchte man sein Gewissen auch beruhigen und die modernste Technik anwenden. Das ist eine moderne Technik und ich finde es super, dass das inzwischen mehr und mehr in das Bewusstsein der Kollegen eindringt. Natürlich sieht ein Kollege, der seit mehr als 20 Jahren nach seinem hergebrachten Konzept exkaviert, wenig Anlass, etwas zu ändern. Schließlich hat und hatte er Erfolge damit. Aber wenn die nachfolgende Zahnarztgeneration hier neue Impulse setzt, haben wir etwas erreicht. In Europa gibt es inzwischen eine bedeutende Community, die substanzschonend denkt, geforscht wird darüber seit mehr als 20 Jahren. Die Verzögerung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und der Umsetzung in den Praxisalltag ist vor allem auf die mangelhaften Abrechnungsmöglichkeiten zurückzuführen.

Wie lässt sich das ändern?
Meier: Wir werden den typischen Komet-Kurs weiter fahren: Eng mit den Hochschulen zusammenarbeiten, die Aufklärung in den Praxen und Universitäten fördern und die neuen Erkenntnisse kontinuierlich in unsere Abteilung für Forschung & Entwicklung in Lemgo fließen lassen. Produkte, die wie der PolyBur auf diese Weise entstehen, spiegeln immer den Puls der Zeit wider. Und vielleicht schaffen sie auch mehr „Lobby für die Kons“.

Zusammenfassung

  • Wie weit man exkavieren muss, um einen kariösen Defekt mit einer Restauration zu versorgen, ist nicht eindeutig geklärt.
  • Der Trend geht klar in Richtung Substanzschonung. Das lange Zeit bewährte – und noch immer praktizierte Kriterium der klirrenden Sonde – führt oft zur Übertherapie.
  • Ein Umdenken ist im Gange, nicht nur an den Hochschulen, auch in den Praxen.
  • Substanzschonendes Exkavieren funktioniert bei Dentinkaries definitiv nicht mit einem Hartmetallbohrer. Die Gefahr der Pulpaschädigung ist enorm. 
  • Mit Polymerbohrern lassen sich dagegen die entscheidenden Zehntelmillimeter Dentin über der Pulpa erhalten. Die Materialhärte verhindert eine Überpräparation: Der Bohrer stumpft auf dem harten gesunden Dentin ab. 
  • Das Arbeiten mit Polymerbohrern oder substanzschonenden Exkavationsalternativen könnte das Jahrzehnte alte Konzept der klirrenden Sonde ablösen. 
  • Doch das braucht Überzeugungsarbeit und vor allem auch mehr wirtschaftliche Anreize für den niedergelassenen Zahnarzt: Kons muss sich rechnen.

Antje Meier
studierte Betriebswirtschaftslehre und ist seit 2002 Komet Produktmanagerin für den Bereich Kons & Prothetik.
antjemeier@kometdental.de

Prof. Dr. Karl-Heinz Kunzelmann
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universität München. Schwerpunkt u. a.: selbstlimitierende Kariestherapie.
karl-heinz@kunzelmann.de

ZÄ Veronika Walter
studierte Zahnmedizin in Regensburg und arbeitet seit 2011 als Zahnärztin und Partnerin von PRODENS32. Tätigkeitsschwerpunkte sind die Kariologie, Endodontologie und Parodontologie
v.walter@prodens32.de