Zahnerhaltung

Zahnerhaltung: Endodontische Behandlungen

Endodontische Behandlungen gehören aufgrund immer besserer Instrumente und Techniken mehr und mehr zum Praxisalltag. Dank der reziproken Aufbereitungstechnik erübrigt sich so manche Überweisung an den Spezialisten.



Neben den umfangreichen Prophylaxemaßnahmen gewinnt die endodontische Behandlung immer mehr Bedeutung. Überweisungen an Spezialisten sind eher die Ausnahme.

Dazu beigetragen haben vor allem die Fortschritte in der maschinellen Aufbereitung, die die endodontische Behandlung erleichtert. Vorrangige Ziele einer Wurzelbehandlung sind die Elimination von Mikroorganismen und pulpalen Gewebsresten sowie die Schaffung einer adäquaten Kavität des Kanals. Hierbei ist für uns die ausreichende Arbeitssicherheit (Vermeidung von Instrumentenfrakturen, apikalen Blockaden, Perforationen et cetera) ein ausschlaggebender Parameter dafür, ob die Behandlung in unserer Praxis vorgenommen wird oder ob wir den Patienten an einen Spezialisten überweisen. Für für die erfolgversprechende Wurzelbehandlung in unserer Generalisten-Praxis spricht die seit einigen Jahren angebotene maschinelle Aufbereitung mit vollrotierenden Nickel-Titan-Systemen (zum Beispiel FlexMaster, VDW München). Die Feilen für dieses System bieten gegenüber herkömmlichen Handinstrumenten aus Edelstahl viele Vorteile (flexibel, besseres Schneidverhalten et cetera). Trotz maschineller Aufbereitung war/ist aber der Arbeitsaufwand immer noch relativ hoch. Nach wie vor müssen die Feilen während der Behandlung gegen die nächstgrößere ausgetauscht werden. Das bedingt viele Arbeitsschritte, die die Behandlungssitzung verlängern. Seit einiger Zeit arbeiten wir mit einem neuen Aufbereitungskonzept, das unserer Meinung nach einen Paradigmenwechsel darstellt: Reciproc, VDW München. Mit der reziproken Aufbereitung wird die Wurzelkanalbehandlung „praxistauglich“, insbesondere was das Handling und die Sicherheit anbelangt.

Die Besonderheit der Aufbereitung ist die reziproke Bewegung der Feile, die in der Drehrichtung gegen den Uhrzeigersinn schneidet und bei der Rückbewegung im Uhrzeigersinn vom Dentin gelöst und damit entlastet wird. Durch diese Gegenrotation wird ein Verklemmen des Instruments im Wurzelkanal verhindert und somit werden Torsionsfrakturen vermieden. Die Instrumente sind aus einer Nickel-Titan-Legierung und daher äußerst flexibel. Sie sind für den Einmal-Gebrauch konzipiert, was viele Vorteile mit sich bringt. Der Arbeitsablauf wird dadurch effizienter und die Lagerhaltung in der Praxis minimiert sich; die sterile Feile wird aus dem Blister entnommen und nach der Behandlung entsorgt: keine Des‧infektion der Feilen, keine Materialermüdung durch häufigen Gebrauch, kein Kontaminationsrisiko. Zudem ist es für die Patientenkommunikation ein positiver Aspekt. Unserer Erfahrung nach erhöht sich die Akzeptanz der Behandlung, wenn Patienten erfahren, dass das Instrument speziell und ausschließlich für ihre Behandlung verwendet wird. Der Aufpreis, der für die Feile bei den Behandlungskosten entsteht, wird in den meisten Fällen ohne Diskussion akzeptiert. Dadurch dass die Aufbereitungssequenz mit der reziproken Technik deutlich verkürzt wurde, verbleibt mehr Zeit für die chemische Komponente der endodontischen Behandlung. Denn die Desinfektion des Wurzelkanals respektive des Wurzelkanalsystems und dessen Füllung sind nach wie vor ein zeitaufwendiger Prozess, der viel Präzision und Konsequenz erfordert. Zumindest hinsichtlich der Füllung zeichnet sich für unsere Praxis mit den auf Reciproc abgestimmten Trägerstiften Guttafusion ebenfalls eine neue Lösung ab. Für eine Einbeziehung in den vorliegenden Artikel haben wir damit derzeit jedoch noch zu wenig Erfahrung.

Das Konzept

 Nach der ersten Diagnose einer endodontischen Erkrankung eines Zahns folgt die Einstufung seiner Erhaltungswürdigkeit. Hierzu sind folgende Fragen relevant:

  • Kann der betroffene Zahn endodontisch versorgt werden?
  • Muss beziehungsweise kann der betroffene Zahn restaurativ versorgt werden?
  • Ist der betroffene Zahn vorbehandelt und ist eine Revision oder eine Wurzelspitzenresektion (WSR) indiziert?
  • Liegt am betroffenen Zahn eine Parodontalerkrankung mit starkem Knochenabbau vor?
  • Welche Wünsche und (finanziellen) Möglichkeiten hat der Patient?
  • Können wir die Behandlung vornehmen oder sollte der Patient an einen Spezialisten überwiesen werden?

Dieser systematische Entscheidungsleitfaden ermöglicht uns anhand rationaler Fakten eine patientenbezogene Therapie. Die Vorhersagbarkeit der Behandlung ist dadurch signifikant erhöht. Nach wie vor gibt es Indikationen, bei denen wir den Patienten an den Spezialisten überweisen oder uns im schlimmsten Fall für die „Extraktion“ entscheiden müssen. Diese Indikation ist dank der maschinellen Aufbereitung des Wurzelkanals in unserer Praxis jedoch immer seltener. Der Zahnerhalt steht an erster Stelle. Im Folgenden stellen wir unser Behandlungsprotokoll anhand von zwei Patientenfällen vor. Besonderes Augenmerk kann auf den ersten Fall gerichtet werden, bei dem eine Revision vorgenommen wurde. Hier haben wir mit der reziproken Technik sehr gute Erfahrungen machen können.

Fallbeispiel 1

Die Patientin konfrontierte uns mit dem Wunsch nach einer neuen prothetischen Versorgung. Bislang war sie mit einem teleskopgetragenen Zahnersatz versorgt. Die Teleskopkrone Zahn 44 zeigte einen insuffizienten Randschluss. Die prothetische Versorgung entsprach sowohl ästhetisch als auch funktionell nicht mehr dem Standard. In der diagnostischen OPG-Aufnahme (Orthopantomogramm) waren unvollständige Wurzelfüllungen an Zahn 44 sowie 45 zu erkennen (Abb. 1). Zudem wurde eine Entzündung der Wurzelspitze an Zahn 44 festgestellt. Um den Zahn erhalten zu können, war eine Revision der Wurzelfüllungen beider Zähne zwingend indiziert. Die Patientin stimmte nach einer Aufklärung dem Behandlungsablauf zu und begab sich vertrauensvoll in unsere Hände.

In der ersten Behandlungssitzung wurde die Primärkrone 44 entfernt. Es präsentierte sich eine ausgeprägte Caries profunda, die eine adhäsive präendodontische Aufbaufüllung erforderte. Nach dem Anlegen eines Kofferdams erfolgten die Trepanation von Zahn 45 und die Darstellung jeweils eines zentralen Kanals an Zahn 44 und 45. Die alten Wurzelfüllungen wurden mit Hedström-Feilen und der Reciproc-Feile (R25) unter permanenter endometrischer Kontrolle entfernt. Das finale Shaping erfolgte mittels Reciproc in der Größe R40. Nach bekanntem Spülprotokoll (NaOCl 5 %, EDTA, CHX 2 %) konnten die Kanäle mit einer medikamentösen Einlage (Cal‧ciumhydroxid) und röntgensichtbaren Guttperchastiften (ActivePoints ISO 40) gefüllt sowie adhäsiv provisorisch verschlossen werden (Abb. 2).

Bei der zweiten Behandlungssitzung berichtete die Patientin nur von leichten Beschwerden zwei Tage nach dem endodontischen Eingriff. Zum aktuellen Zeitpunkt war sie vollkommen beschwerdefrei und es konnte eine definitive Wurzelfüllung gelegt werden. Dazu bedienten wir uns der Einstift-Technik (Reciproc Guttaperchastift und Sealer AH+) unter Kofferdam. In der Kontrollröntgenaufnahme nach dem adhäsiven Verschluss der beiden Zähne erscheinen beide Wurzelfüllungen suffizient (Abb. 3). Die Patientin wurde über die notwendigen röntgenologischen Recall-Maßnahmen sowie die Heilungstendenz von Zahn 44 aufgeklärt. Nach drei Monaten sollte die Entscheidung für die prothetische Neuversorgung getroffen werden. Die Prognosen für den Erhalt des Zahns 44 waren sehr gut.

Patientenfall 2

Dieser Patient stellte sich im Rahmen einer Routineuntersuchung vor. Bei einer diagnostischen Bissflügelaufnahme fiel unter anderem die fortgeschrittene Wurzeloberflächenkaries an Zahn 26 (distal) auf. Der Patient wurde über die dringend erforderliche Füllungstherapie aufgeklärt. Da die Läsion an Zahn 26 großflächig war, wurde er bei diesem Gespräch auch über die eventuelle Wurzelkanalbehandlung unterrichtet (Abb. 4). Der Zahn reagierte auf den Kältetest positiv; die Perkussion war unauffällig. Während der Kariesexkavation wurde – wie zu erwarten – die Pulpa eröffnet. Gemäß unserem Konzept erfolgten ein adhäsiver präendodontischer Aufbau und nachfolgend die Vitalexstirpation an Zahn 26 sowie die maschinelle Aufbereitung des mesiobukkalen, distobukkalen und palatinalen Kanals unter Endometrie mittels Reciproc R40. (Abb. 5).

Zur zweiten Behandlungssitzung konsultierte uns der Mann beschwerdefrei. Er klagte nur über gelegentliche Empfindlichkeiten auf Wärme. Nun wurde auch der Kanal mb2 (zweiter mesio-bukkaler Kanal) dargestellt und ebenfalls mit dem Reciproc-System (bis R40) aufbereitet. Nach der Spülung (NaOCl 5 %, EDTA, CHX 2 %) erfolgte ein medikamentöser Verschluss mit Calciumhydroxid und röntgensichtbaren Guttaperchaspitzen (ISO 40) im Kanal mb2. Die Situation wurde adhäsiv verschlossen. In der Messaufnahme war die korrekte Arbeitslänge ersichtlich (Abb. 6).

Bei einer dritten Behandlungssitzung war der Patient vollkommen beschwerdefrei. Nach einer erneuten Spülung der Wurzelkanäle erfolgten eine Wurzelfüllung mit Guttapercha in der Einstifttechnik, das Auftragen des Sealers (AH+) sowie eine adhäsive Deckfüllung. Die Röntgenkontroll‧aufnahme bestätigte die suffiziente Wurzelfüllung sowie einen leicht überpressten Sealer im mesialen Bereich (Abb. 6). Der Patient wurde über den röntgenologischen Recall sowie die definitive prothetische Versorgung aufgeklärt. Auch dieser Zahn kann voraussichtlich noch längere Zeit erhalten werden.

Fazit

In beiden vorgestellten Patientenfällen scheint der Versuch des Zahnerhalts gelungen. Das Bemühen darum wird uns Praktikern mit modernen, innovativen Produkten und Geräten erleichtert. Wir verwenden in unserer Praxis den Endomotor VDW.GOLD Reciproc und haben vor etwa einem Jahr erstmals mit der reziproken Aufbereitungsmethode gearbeitet. Wir haben zuvor den Wurzelkanal maschinell aufbereitet und sind nun relativ schnell auf die reziproke Technik umgestiegen. Der komfortable Behandlungsablauf hat unter anderem dazu geführt, dass wir deutlich häufiger endodontische Behandlungen in unserer Praxis vornehmen und Spaß daran haben. Der Erfolg, den Zahn erhalten zu können, bestätigt uns in unserem Tun.

 Andreas Machura
studierte Zahnmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Danach begann er seine Tätigkeit als angestellter Zahnarzt in der Praxis Andrea Sauerzweig. 2012 beendete er das Curriculum Parodontologie am Philipp-Pfaff-Institut Berlin und spezialisierte sich auf endodontische Behandlungen.

 Andrea Sauerzweig
 studierte Zahnmedizin in Halle/Saale und ist seit 1991 niedergelassen, seit 2003 in einer Gemeinschaftspraxis mit implantologischem Schwerpunkt. Sie ist u. a. Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Zahnheilkunde (DGÄZ) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP).