Endodontologie

So gelingt die einfache Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor

Ein digitales Assistenz-System zur Wurzelkanalaufbereitung erleichtert Einsteigern die Behandlungsabläufe in der Endodontie und senkt selbst bei Experten die Aufbereitungszeit. Nicht der Zahnarzt allein, sondern auch der Endo-Motor steuert die Feilenbewegungen. Die bei herkömmlichen Aufbereitungssystemen nötigen Auf- und Abwärtsbewegungen entfallen.


Klinischer Fall vom Prothetik-Experten Dr. Nicolas Gutierrez aus Madrid, Wurzelkanalbehandlung eines Molaren mit CanalPro Jeni, präoperative Panoramaaufnahme © Gutierrez


Ein drehbegrenztes Winkelstück wäre die kostengünstigere Alternative. Was sind die Nachteile gegenüber einer Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor?

Müller: Beim Winkelstück am Stuhl lassen sich nicht so viele Details bei Drehmomenten und Winkeln einstellen. Die Geschwindigkeiten bei der Turbine sind sehr hoch und müssen untersetzt werden. Welche Umdrehungszahlen tatsächlich übertragen werden, kann sehr unterschiedlich sein und sich beim Arbeiten im Wurzelkanal auswirken. Die Endodontie ist eine sehr schwierige Behandlung und erfordert in vielen Situationen, dass der Behandler sich lediglich auf das taktile Feedback der Feile verlassen muss. Ein elektrischer Endo-Motor kann präziser arbeiten. Immer mehr Zahnärzte stellen deshalb auf solche Stand-Alone-Motoren um. So hat sich in Frankreich der Prozentsatz in den letzten drei Jahren bereits auf 23 Prozent der Zahnärzte verdoppelt und dies nicht nur bei Endo-Experten. Auch wenn immer noch 56 Prozent der Zahnärzte in Frankreich mit dem Chair-gebundenen Winkelstück arbeiten.

Wie hoch ist der Anteil der Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor in Deutschland?

Müller: Für Deutschland liegen uns keine exakten Zahlen vor, aber die Tendenz geht in die gleiche Richtung. Das gilt auch für Italien.

Obwohl die Endo-Motoren teurer sind?

Müller: Die Preisdifferenz ist inzwischen gar nicht mehr so groß. Das gilt zwar nicht für Produkte aus China, doch Anwender erkennen die Qualitätsunterschiede.


Für die Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor ist allerdings zusätzliches Equipment nötig, stört das nicht?

Müller: Das lässt sich recht gut in die Endo-Konzepte der Praxen integrieren. Bei den separaten Endo-Motoren empfiehlt sich ein kleiner Rolltisch oder Ähnliches, den man dann zum Chair bewegt, und der auch andere Endo-Materialien beherbergt. Unser kabelloser CanalPro CL Motor ist dabei sehr handlich. Vor allem Zahnärztinnen nutzen ihn, weil ohne den Schlauch der Turbine und dessen zusätzliches Gewicht ein kabelloser Motor bei der Arbeit viel weniger ermüdet. Zudem bietet er das feinere Gefühl.

Bei welchen Indikationen empfehlen Sie die Wurzelkanalaufbereitung mit einem separaten Endo-Motor?

Müller:  Für gerade Kanäle reicht das Winkelstück, sobald es jedoch anatomisch schwieriger wird, sind die Endo-Motoren deutlich überlegen.

Nach welchen Kriterien sollte denn nun der Generalist seinen Endo-Motor auswählen? Selbst Coltene hat mit dem CanalPro Jeni, dem klassischen CanalPro CL und dem Dual Move drei unterschiedliche Varianten im Sortiment.

Müller: Generell ist das davon abhängig, ob ein Zahnarzt endodontisch schwierige Fälle überweist oder selbst behandelt. Arbeitet er nur in geraden Kanälen, reicht der CanalPro CL. Der Dual Move bietet zusätzlich die Möglichkeit, auch mit reziproken Feilensystemen zu arbeiten.

Der CanalPro Jeni ist eine komplett neue Art von Motor, der in einer ganz anderen Liga spielt. Als erster Motor wurde er mit komplexen Algorithmen programmiert, die es ermöglichen, selbstständig Bewegungen zu steuern. Das erleichtert es, Fälle mit komplizierter Wurzelkanalanatomie zu therapieren. Der Jeni Motor fungiert quasi als Navigations-Assistent.


Wie genau funktioniert das?

Müller: Mit einem digitalen Assistenz-System, das die Feilenbewegung im Millisekunden-Takt steuert. Dieser Steuerung liegen, wie gesagt, komplexe Algorithmen zugrunde. So lässt sich computergesteuert in einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf Situationen reagieren. Das leistet das menschliche Reaktionsvermögen nicht. Auf diese Art werden im Jeni Motor Rotationsbewegung sowie Drehzahl zum Beispiel anhand von Stromintensität und Drehmoment laufend geregelt.

Welche Bewegungen bei der Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor werden gemessen?

Müller: Unter anderem wird der Druck, den der Anwender auf die Feile ausübt, gemessen. Anhand unterschiedlicher Algorithmen steuert der Jeni entsprechend die Feilen-Bewegungen, zum Beispiel durch Veränderungen der Geschwindigkeit oder Arbeitsrichtung.

Sprich der Motor, nicht der Zahnarzt, entscheidet, ob die Feile sich vorwärts, rückwärts, schnell oder langsam bewegt?

Müller: Ganz genau. Übt der Behandler einen hohen Druck aus, dreht der Motor langsamer oder macht, zur Sicherheit, mehr Rückwärts- als Vorwärtsbewegungen. Der Jeni nimmt dem Zahnarzt die Entscheidung ab, wie er die Feile im Kanal bewegen muss. Der Anwender arbeitet nur mit leichtem Druck nach vorne. Während der Jeni den Behandler durch den Wurzelkanal navigiert, muss dieser bei allen anderen Motoren durch Auf- und Abbewegungen in Eigenregie sicherstellen, dass sich die Feile nicht festsetzt und abbricht.

Der Jeni arbeitet wie ein Spurhalte- und Abstandsassistent beim Auto. Der Motor ist also eine Hilfe, kein Roboter, aber man möchte sein Können nicht mehr missen. Um einen Kanal anatomiegetreu aufzubereiten, ist der Jeni in tausendsten Millisekunde in der Lage, über die richtigen Bewegungen zu entscheiden.

Verkürzt die Jeni-Navigation die Zeit am Stuhl?

Müller: Ja, sicherlich, das kann auch mal eine halbe Stunde einsparen. Selbst Endo-Spezialisten berichten von komplizierten Situationen, in denen sie mit herkömmlichen Motoren nach 45 Minuten die Arbeitslänge der Feile noch immer nicht erreicht hatten. Mit dem Jeni klappte das dagegen nach 10 Minuten.

Lassen sich bei der Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor auch Microcracks minimieren?

Müller: Im Grunde ja. Microcracks sind auch vor der Aufbereitung präsent. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen das.

Je biegsamer die Feile, desto geringer dieMicrocracks ©Coltene/Universität Catania

Aber nicht in dem Umfang wie nach der Aufbereitung?

Müller: Richtig, aber das ist jedoch stark feilenabhängig. Die Feilen sollten biegbar sein, wie zum Beispiel die HyFlex CM oder HyFlex EDM. Sie muss sich der Kanalanatomie anpassen können, manche Systeme erzeugen ein seltsames Knirschen, das vermutlich im Kanal seine Auswirkungen hat.

Sind auch Feilen anderer Hersteller in der Jeni-Instrumentendatenbank hinterlegt?

Müller: Nein, das wäre nicht MDR-konform und die MDR gilt ab Mai 2021. Würden wir die Feilen der Konkurrenz einprogrammieren, müssten wir ‧entsprechende Studien vorlegen. Diesen Aufwand können wir nur für unsere Coltene Feilensysteme leisten.

Das heißt, im Moment sind in der Datenbank nur die Coltene-Feilen?

Müller: Die komplexen Algorithmen wurden für die HyFlex CM und die HyFlex EDM Feilen sowie die Micro-Mega-Feilen 2Shape und One Curve konzipiert. MicroMega gehört seit 2018 zur Coltene-Unternehemensgruppe. Wir haben für jede dieser Feilen explizit eine Software geschrieben und per Touch Screen verbindet sich der Jeni direkt mit dem gewählten NiTi-Feilensystemen.

Kurz: Wer den Jeni nutzt, muss auch die Coltene-Feilen nutzen?

Müller: Richtig, sonst ergibt das Ganze wenig Sinn. Wer sich den Jeni leistet, möchte die Vorteile der neuen Navigationstechnik nutzen. Und das gelingt nur mit den dazugehörigen Feilen. Selbst Experten sind davon fasziniert, dass sich die Feilen mit diesem Motor quasi von selbst bis zur Arbeitslänge vorarbeiten. Dennoch gibt es die Möglichkeit, im „Doctors Choice“-Mode bis zu acht Feilen zusätzlich auch im Jeni einzuprogrammieren.

Das Jeni-Assistenz-System zur Wurzelkanalaufbereitung erleichtert Zahnärzten den Einstieg in die Endodontie. ©Coltene

Dann werden künftig Allrounder-Motoren mit vielen programmierten Feilensystemen wohl vom Markt verschwinden?

Müller: Davon gehe ich aus. Die neuen Regelungen zur MDR lassen dem Hersteller ohne entsprechende Studien bei Weitem nicht mehr so viel Spielraum.

Dennoch: Möchte ein Zahnarzt etwa mit einer bestimmten Reciproc-Feile arbeiten und kennt die Winkel, kann er sie, wie gesagt, im „Doctors Choice“-Programm des Jenis eingeben. Dafür braucht es keine Studien.

Spülen, spülen, spülen, auf diesen Nenner bringt Endo-Papst Prof. Dr. Michael Hülsmann, Göttingen, seit Jahren das A und O einer erfolgreichen Wurzelkanalbehandlung. Doch genau das wird häufig vernachlässigt. Was hilft?

Müller: Eine integrierte Spülaufforderung á la Jeni. Vor allem, wenn Feilen sehr effizient arbeiten, unterschätzen Behandler, wie viel Material schon abgetragen ist und unbedingt durch Spülen entfernt werden muss.

Was kann passieren?

Müller: Die Feile verblockt, weil zu viel Material im Kanal ist. Das wiederum kann zum Bruch der Feile führen. Jeni kontrolliert laufend die Arbeit im Wurzelkanal und ermittelt so auch die Notwendigkeit der Spüleinheiten. Mit der Erfassung des mechanischen Aufbereitungsablaufs, meldet der Jeni dem Zahnarzt bzw. der Assistenz am Stuhl akustisch, wann und wie oft zwischen den Feilenwechseln gespült werden sollte.

Spülen mit Ansage – Der CanalPro Jeni meldet durch ein akustisches Signal, wann gespült werden sollte. ©Coltene

Wie viel häufiger muss denn bei effizientem Abtrag bei der Wurzelkanalaufbereitung mit Endo-Motor gespült werden?

Müller: Das kommt drauf an. Bei einem großen, weiten Kanal spielt mehr die Menge der Milliliter, als die Häufigkeit eine Rolle. Bei einem engen gekrümmten Kanal kann es bereits schwierig sein, mit der Spülkanüle/Flüssigkeit bis zur Arbeitslänge zu kommen. Sammelt sich zudem noch Débris an, wird es für die Feilensicherheit schwierig. Dann gilt es, mehr zu spülen und vorsichtiger zu arbeiten.

Zurück zur Arbeitslänge: Wie wichtig ist der integrierte Apex-Locator?

Müller: Das ist eine Geschmacksfrage. Die einen möchten die Arbeitslänge nur zu Beginn und dann wieder final checken, andere überprüfen kontinuierlich, wo im Wurzelkanal sie sich befinden. Der Apex-Locator funktioniert über das Messen von Widerstand. Ein hoher Widerstand zeigt die apikale Konstriktion an, bei der nicht weiter aufbereitet wird. Nach Erreichen der erforderlichen Arbeitslänge mit einer Feile wird zur nächsten Feilengröße gewechselt, bis die gewünschte Aufbereitungsgröße erreicht ist.

Last, but not least: Ist der Jeni ein Motor für Endo-Einsteiger?

Müller: Definitiv! Jeder, der auch nur eine Testaufbereitung mit einem extrahierten Zahn und dem Jeni gemacht hat, kann die Begeisterung für diesen gewaltigen Fortschritt bei Endobehandlungen nachvollziehen. Der vollautomatische CanalPro Jeni ist übrigens nach dem Spitznamen des Entwicklers Prof. Dr. Eugenio Pedullà, Catania, benannt. Er spricht am 17.11.2020 um 13:00 Uhr auf dem ersten Coltene CinePosium über den „Paradigmenwechsel bei der Navigation im Wurzelkanal“. Pedullà hat ein außerordentliches Knowhow in der Endodontie und verbindet dies mit großem Pragmatismus, um allen den Alltag in der Endodontie zu erleichtern. Ihn im CinePosium mal live zu erleben, ist sicherlich empfehlenswert.


Die Expertin

Foto: Privat

PPA Dr. Barbara Müller
Senior Head of Product Segment Endodontics bei Coltene
Barbara.Mueller@coltene.com

Prof. Dr. Eugenio Pedullà, Entwickler des CanalPro Jeni Endo-Motors. © Coltene