Zahnerhaltung

Alternativen zur Lokalanästhesie

Das neue Patientenrechtegesetz (BGB §§ 630 a bis h) kodifiziert die Pflichten eines – auch zahnärztlichen – Behandlers, die bereits bisher in aktuellen Urteilen des BGH und der Oberlandes- und Landgerichte dargelegt wurden: „Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken und Heilungschancen führen können.“ Dies trifft auch auf die Lokalanästhesie in der Zahnheilkunde zu.



Die gelehrte Grundauffassung der Lokalanästhesie [Literatur 35, 36] ist in mehr als 100 Jahren gewachsen und fest in Lehre und Praxis verankert. Führen die in den letzten 30 Jahren seit Malamed (1982), Kaufman et al. (1983), Walton et al. (1990) und Glockmann et al. (2002) gewonnenen Erkenntnisse dazu, diese Grundauffassung „zuerst die Infiltrations- oder die Leitungsanästhesie anwenden“ und die ILA (intraligamentäre Anästhesie) nur zur Komplettierung in Betracht zu ziehen, zu einem Wechsel hin zur „primären Methode ILA“ [Literatur 14, 23, 26, 44]?

Die Effekte – auch die unerwünschten – der konventionellen Methoden der Lokalanästhesie sind bekannt; sind diese bei der intraligamentären Anästhesie genau so oder vergleichbar? Mit welchen Komplikationen ist bei dieser „minimalinvasiven Analgesiemöglichkeit“ zu rechnen und wo sind die Grenzen dieser Lokalanästhesiemethode?

Die Grenzen und Komplikationen der ILA

Wegen der eng begrenzten Ausbreitung des injizierten Anästhetikums und der relativ kurzen Dauer der intraligamentären Anästhesie (ILA) kann diese die Anforderungen für extensive chirurgische Eingriffe nicht erfüllen. Obwohl es möglich ist, den Ausbreitungsraum der Analgesie durch zusätzliche Injektionspunkte und die Erhöhung der Anzahl der intraligamentalen Injektionen zu vergrößern, sollte die ILA nicht für länger dauernde und ausgedehnte dentoalveoläre chirurgische Eingriffe gewählt werden [Literatur 16, 17].

Die in der Literatur im Zusammenhang mit intraligamentalen Injektionen von einzelnen Autoren beschriebenen Komplikationen wurden im Auftrag der ADA (American Dental Association) von Giovannitti und Nique (1983) zusammengefasst. In den Jahren ab 1983 wurden die daraus resultierenden Fragen evidenzbasiert beantwortet [Literatur 13].

Keine Gewebeschäden

Alle histologischen Studien kommen zum gleichen Ergebnis: Nach intraligamentalen Injektionen war kein Hinweis auf irgendwelche Gewebeschäden gleich auf welcher Ebene festzustellen. Alle Autoren kommen zu dem Schluss, dass die intraligamentäre Zahnanästhesie sicher ist – mit minimalen, kurzzeitigen und reversiblen Entzündungen – und dass die ILA die Zahnheilkunde um eine zuverlässige Lokalanästhesie-Methode erweitert [Literatur 9, 10, 43].

Im Rahmen der Studien wurden keine pathologischen Veränderungen wie hydropische Degeneration, ischämische Nekrosen oder Entzündungen in den Pulpen der untersuchten Zähne beobachtet [Literatur 25, 28].

Bakteriämien können durch zahlreiche zahnmedizinische Maßnahmen ausgelöst werden [Literatur 21]. Von Interesse ist die Sepsis, die möglicherweise durch die Forcierung von Bakterien in das Gewebe und in die Blutbahn (Bakteriämie) durch die Injektionsnadel resultieren kann. Walton und Abbott (1981) präzisieren, dass dies bei intraligamentalen Injektionen vermutlich der Fall ist, aber wahrscheinlich in keinem größeren Umfang als bei anderen zahnmedizinischen Verfahren [Literatur 42].

1986 und 1987 veröffentlichten Rahn et al. die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Thematik von Bakteriämien nach intraligamentärer/intradesmodontaler Anästhesie. Sie stellten fest, dass die Häufigkeit der Bakteriämie bei Anwendung großer Injektionskräfte signifikant anstieg. Für die 50 dokumentierten Fälle verwendeten sie das – damals – handelsübliche Ligmaject-Instrumentarium, das mit einem Gerät zur Messung und Registrierung der auf den Spritzenkolben wirkenden Kraft verbunden war [Literatur 33, 34]. Bei 30 von 50 Patienten wurden in 3 Minuten nach intradesmodontaler Injektion entnommenen Blutproben Bakterien gefunden. Die Häufigkeit der Bakteriämie nach intradesmodontaler Anästhesie liegt damit in der gleichen Größenordnung wie bei Zahnsteinentfernungen [Literatur 22, 33, 34].

In der praktischen Anwendung der intraligamentären Anästhesie wurden im Rahmen von mehreren Studien [Literatur 1, 4, 24, 27, 31, 45, 47] 1331 Fälle intraligamentaler Injektionen dokumentiert; dabei deuteten sich klinisch keine Anzeichen einer Bakteriämie an.

Weder Tsirlis et al. (1992) noch Heizmann und Gabka (1994) konnten beim direkten Vergleich der ILA mit der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie signifikante Unterschiede bei Wundheilungsstörungen (Dolor post extractionem bzw. trockene Alveole) feststellen. Wahrscheinlich werden die Infektionen nicht durch die Injektion ausgelöst, sondern speziell durch die apikale Ostitis bei zerstörten Zähnen [Literatur 19, 41].

Unerwünschte Effekte und Nebenwirkungen (Elongationsgefühl, Druckschmerz) – nach dem Abklingen der intraligamentären Anästhesie – werden in diversen Publikationen beschrieben [Literatur 15, 23, 26, 30]. Bei Vorkontakten, Diskomfort und Elongationsgefühl liegt die Ursache oft darin, dass die Injektion der Anästhesie-Lösung nicht unter ausreichender Berücksichtigung der individuellen anatomischen Verhältnisse des Patienten erfolgt ist, d. h. zu schnell und dadurch – unangepasst – mit zu hohem Druck injiziert wurde.

Um unerwünschte Effekte zu vermeiden, ist das Anästhetikum sehr langsam zu injizieren, um dem Gewebe Gelegenheit zu geben, die applizierte Lösung zu resorbieren [Literatur 2, 40, 48]. Mit zunehmender Injektionszeit nimmt der erforderliche Injektionsdruck zur Überwindung des Gewebswiderstands kontinuierlich ab.

Kontraindikation Endokarditis

Für endokarditisgefährdete Patienten gibt es eine allgemeine Einschränkung (cave). Hier gilt besondere Vorsicht, da die Absiedlung von Bakterien aus dem Blut (Bakteriämien) bei diesen Patienten zu ernsthaften Komplikationen führen kann. Invasive Eingriffe sind bei diesen Patienten unter Antibiotikaschutz vorzunehmen [Literatur 8]. Diese Vorsichtsmaßnahme ist bei allen geplanten Manipulationen am Zahnfleischsulkus, z. B. Zahnsteinentfernungen, Extraktionen oder Parodontitisbehandlungen, einzuhalten. Glockmann et al. (2002) definieren, dass das Risiko einer Endokarditis für die ILA eine absolute Kontraindikation ist [Literatur 14].

Bei ängstlichen und gegen Spritzen voreingenommenen Patienten ist die intraligamentäre Anästhesie die Methode der Wahl, besonders wenn Injektionssysteme angewandt werden, deren äußere Erscheinung stark von dem gewohnten Bild einer „Spritze“ abweicht, wie z. B. der Zauberstab „Wand“ (Abb. 1).

Die intraligamentale Injektion bei jungen, gesunden Patienten (m/w) mit festem Desmodont wird mittels sensibler Instrumentarien erleichtert. Bei parodontal vorgeschädigten Patienten muss der aufzubauende Injektionsdruck vom Behandler auf die anatomischen Verhältnisse des Patienten gut abgestimmt werden [Literatur 4, 27, 45].

Bei Hochrisikopatienten nach Herzinfarkten, mit kardialen Bypässen und anderen koronaren Erkrankungen wird die ILA empfohlen, da sie zuverlässig, einfach und ohne Nebenwirkungen ist. Wegen der nur geringen erforderlichen Anästhetikamengen ist sie für Risikopatienten mit kardiovaskulären Erkrankungen die Anästhesiemethode der Wahl [Literatur 12, 19]. Dies gilt auch für Patienten mit hämorrhagischer Diathese und unter Antikoagulanzien-Behandlung. Andere Lokalanästhesie-Methoden sind bei dieser Patientengruppe kontraindiziert [Literatur 35, 36, 37, 38].

Bei der Behandlung von Kindern und Behinderten [Literatur 3, 6, 47] treten infolge der feinen Kanülenstiche praktisch keine Schmerzsensationen auf, speziell wenn vor der Insertion der Kanüle ein Tropfen Anästhetikum an der Injektionsstelle [Literatur 14] abgelegt wird (Abb. 2). Die Gefahr postoperativer Bissverletzungen ist deutlich reduziert, da keine Taubheit in Wangen, Zungen- und Lippenbereich nachzuweisen ist [Literatur 3].

Fazit

Die Thematisierung mit dem Patienten der Risiken und unerwünschten Effekte der konventionellen Lokalanästhesien, vor allem Nerv- und/oder Gefäßkontakt und stundenlange artikulatorische und mastikatorische Einschränkungen, kann weitgehend entfallen, wenn die „Alternative intraligamentäre Anästhesie“ vorgeschlagen wird. Die intraligamentäre Anästhesie – lege artis angewandt – ist eine gute Möglichkeit, bei Patienten mit Vorbehalten gegen „die Spritze“ dieselben abzubauen. Da der Bereich der Anästhesie sehr eng begrenzt ist, empfindet der Patient diese Schmerzausschaltung nicht im angrenzenden Bereich und fühlt sich nicht beeinträchtigt – weder während noch nach Abschluss der Behandlung. Den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie ist sie bei fast allen zahnmedizinischen Indikationen und Patientengruppen signifikant überlegen. Die ILA ist als primäre Methode und als Alternative der konventionellen Lokalanästhesie einzustufen.

Heute stehen für intraligamentale Injektionen Spritzensysteme zur Verfügung, mit denen der erforderliche Injektionsdruck durch den Behandler leicht aufgebaut und gut kontrolliert werden kann. Zur Vermeidung von unerwünschten Effekten sollten für die intraligamentale Injektion von Anästhetikum nur Spritzensysteme verwendet werden, bei denen der Druckaufbau ohne integrierte mehrstufige Hebelsysteme erfolgt.

Bei den Dosierradspritzen (DIN 13989:2012) wird die Injektionskraft ohne ein integriertes mechanisches Hebelsystem verstärkt. Der Druckaufbau erfolgt über ein Dosierrad und gibt dem Behandler bei der Injektion die Möglichkeit, den Gegendruck des Gewebes direkt in seinem Daumen (oder Zeigefinger) zu spüren und den eigenen Injektionsdruck entsprechend anzupassen.

Auch mit elektronisch gesteuerten Injektionssystemen, z. B. dem STA-System, sind intraligamentale Injektionen ohne ungewünschte Effekte uneingeschränkt möglich. Diese Injektionssysteme ermöglichen eine sichere Schmerzausschaltung sowohl vor indizierten Extraktionen als auch vor konservierenden, restaurativen und auch vor endodontischen Behandlungen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Möglichkeit der vollständigen Schmerzausschaltung bei subgingivaler Kürettage (Scaling und Root planing) im Rahmen einer geschlossenen Parodontaltherapie. Pro Quadrant wurden bei 31 dokumentierten Fällen durchschnittlich ca. 0,85 ml Anästhetikum appliziert. Diese geringe Anästhetikummenge wurde durch zahnüberspringende intraligamentale Injektionen von jeweils 0,1 ml Anästhetikum pro Injektionspunkt (9 Injektionspunkte pro Quadrant) erreicht.

Es wurde ein 100%iger Anästhesieerfolg festgestellt. Die Sensibilität kehrte kurz nach Abschluss der Kürettage zurück. Beim Recall wurden keine pathologischen Befunde diagnostiziert [Literatur 32].

Appliziert werden sollte mit systemadaptierten Kanülen 0,3/12–16 mm mit extrakurzem Anschliff.

Als Anästhetikum wird Articainhydrochlorid 4 % mit Adrenalin 1:200.000 empfohlen. Die Applikation von Anästhetika-Lösung mit Adrenalin [Literatur 18] führte zu einer signifikant höheren Erfolgsrate (91,6 % bei Lignocainie 2 % mit Adrenalin 1:80.000 gegenüber 42,0 % bei Lignocaine 2 % ohne Adrenalin).

Pro Zahnwurzel sind etwa 0,2 ml Anästhetikum zu applizieren; größere Anästhetikummengen (0,25–0,30 ml pro Wurzel) erhöhen die Anästhesiedauer [Literatur 24].

Bei der intraligamentären Anästhesie ist das Anästhetikum in den Desmodontalspalt proximal des zu behandelnden Zahns zu injizieren. Es breitet sich entlang der Zahnwurzel und intraossär aus und erreicht in etwa 30 Sekunden das Foramen apicale (Abb. 3). Auf diese Weise werden sowohl die Pulpa als auch die zahnumgebenden Nervenendigungen desensibilisiert [Literatur 11, 29, 39].

Damit das Anästhetikum problemlos ins Desmodont diffundieren kann, muss es sehr langsam – den anatomischen Verhältnissen des Patienten angepasst – injiziert werden [Literatur 14, 31, 45, 48]. Die Injektionszeit beträgt:

bei der ersten Wurzel etwa 20 Sekunden, bei der zweiten Wurzel desselben Zahns 20 Sekunden und bei einer dritten Wurzel desselben Zahns ≥ 25 Sekunden.

Dadurch wird vermieden, dass es zu einer Depotbildung kommt, sich der Zahn minimal in der Alveole bewegt und ungewünschte Effekte nach Ende der Anästhesie generiert werden (Druckschmerz, Elongationsgefühl). Diese angepasst langsame Injektion ins Ligament beugt gleichfalls druckbedingten Gewebsveränderungen (Nekrosen) vor, die ggf. iatrogen sind [Literatur 20, 48].

Die intraligamentäre Anästhesie tritt unverzüglich ein und ist nach etwa 30 Sekunden in voller Tiefe ausgeprägt; bei entzündetem Gewebe kann sich der Anästhesieeintritt leicht (60–90 sec) verzögern, da das Anästhetikum durch den veränderten pH-Wert des Gewebes langsamer anflutet [Literatur 45, 46].

Nach circa 30 Minuten ist das Empfindungsvermögen wieder zurückgekehrt. Bei länger dauernden Behandlungen kann problemlos intraligamental nachinjiziert werden, ggf. in die Furkation.

Durch die kurze Anästhesiedauer ist die Dispositionsfähigkeit des Patienten nach Abschluss der Behandlung – gleich welcher Art – nicht eingeschränkt, im Gegensatz zu den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie [3].

Dr. Marc Prothmann hat Zahnmedizin an der Universität zu Berlin studiert und ist seit 2008 in eigener Praxis in Berlin niedergelassen.

Lothar Taubenheim ist Medizinjournalist. Seit 25 Jahren begleitet er die Entwicklung der intraligamentären Anästhesie und kommuniziert dieses Wissen in Fortbildungsveranstaltungen und wissenschaftlichen Publikationen.