Lachgassedierung bei Angstpatienten

Lachgas in der Zahnarztpraxis – wem hilft es?

Lachgas in der Zahnarztpraxis war lange "out", heute gewinnt das Verfahren aber wieder an Bedeutung und gilt als probates Mittel, um zahnärztlichen Behandlungen ihren Schrecken zu nehmen.



Mit der Markteinführung von Articain Mitte der 1970er Jahre verschwand das Lachgas, das bis dato zur Analgesie verwendet worden war, aus deutschen Zahnarztpraxen. Heute gewinnt das Verfahren wieder an Bedeutung.

Ein bevorstehender Zahnarztbesuch kann den Patienten extrem belasten. Je nach Neigung, Vorlieben, Veranlagung und Persönlichkeit reagieren Behandler sehr unterschiedlich auf die Ängste ihrer Patienten. Bedeutet doch die nervliche Anspannung des Patienten Stress und eine zusätzliche Belastung, der man sich nicht mehr als unbedingt notwendig aussetzen will. So wird in der Regel der Grad der Zuwendung, die Kollegen ihren angstgeplagten Patienten zukommen lassen, zu einer entsprechenden Patientenselektion und so zu einer Konzentration „schwieriger Fälle“ in einzelnen Praxen führen.

Das ist einerseits zu begrüßen, bedeutet andererseits aber erhebliche Belastungen einzelner Kollegen. Die Welle der Technisierung und Spezialisierung unseres Berufsstandes hat erstaunlicherweise nicht dazu geführt, ein breiteres Bewusstsein für die Zusammenhänge von Angst (des Patienten), Stressbelastung (des Behandlerteams), Behandlungsergebnis und Konsumverhalten (zahnärztlicher Leistungen) hervorzubringen. Fundierte Aus- und Fortbildungsangebote im Bereich Kommunikation – Angstmanagement – Patientenführung sind rar, obwohl jedem Kollegen einleuchtet, dass unsere Patienten die Qualität einer Behandlung in erster Linie emotional bewerten.

Der konkrete Fall

Eine Patientin Anfang 60 stellte sich in unserer Praxis vor. Die Terminvereinbarung erfolgte durch den Sohn aufgrund einer Empfehlung mit der gezielten Frage nach dem Angebot der Lachgassedierung, da seine Mutter keinesfalls eine Zahnbehandlung in allgemeiner Anästhesie (Vollnarkose) durchführen lassen wollte. Die allgemeine Anamnese war ohne Befund, die letzte zahnärztliche Behandlung lag 15 Jahre zurück.
Die Patientin litt unter einer Zahnbehandlungsphobie. Ihre Mundhygiene ließ zu wünschen übrig, der Zustand und die Ästhetik des Gebisses waren desolat, der Leidensdruck der Patientin hoch.

Die erste Sitzung dient mir primär dazu, durch gezielte Gesprächsführung Wünsche und Ängste des Patienten zu erfahren. Ich halte es für wichtig, Ängste ernst zu nehmen, ohne zu verharmlosen. Sehr oft geben Patienten traumatische Erlebnisse, die oft schon sehr lange zurückliegen, als angstauslösende Ursache an. Im Rahmen dieses ersten Gesprächs zeichnet sich für mich schon ab, ob es mir gelingt, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, ob die „Chemie“ stimmt, d. h., ob ich der richtige Behandler für diesen Patienten bin. Wie in diesem Fall von der Patientin gewünscht, wurden in der ersten Sitzung die Planungsunterlagen (Röntgendiagnostik, Planungsmodelle und Fotostatus) erstellt. Das Wunschziel der Patientin war ganz klar eine festsitzende Versorgung; finanzielle Aspekte spielten eine untergeordnete Rolle.

Reinigung unter Lachgassedierung

In der zweiten Sitzung wurde von der Dentalhygienikerin unter Lachgassedierung eine erste, sanfte Reinigung durchgeführt. Die spezielle Herausforderung war die ausgeprägte Klaustrophobie der Patientin. Klaustrophobie gilt als Kontraindikation für die Lachgassedierung. Mittels spezieller Einleitungstechniken (Speedeinleitung) können auch klaustrophobe Patienten mit Lachgas sediert werden. Begleitende antiinflammatorische Maßnahmen und eine detaillierte Mundhygieneunterweisung sollen an dieser Stelle entzündliche Prozesse zurückdrängen und das dentale Empfinden des Patienten verbessern. Die Patientin lernte die Lachgassedierung kennen und baute dadurch bereits Ängste ab. Aufgrund der Klaustrophobie, die eine relative Kontraindika‧tion für die inhalative Sedierung darstellt, wurde im Sinne einer Speedeinleitung titriert.

Während einer 14-tägigen Behandlungspause wurde der Behandlungsplan wie folgt erstellt:

  • Extraktion aller nicht erhaltungswürdigen Zähne, Eingliederung eines Interimsersatzes
  • Navigierte Implantation und Versorgung mit festsitzenden Langzeitprovisorien im Sinne eines Immediate Loading
  • Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz aus Zirkon auf individuellen Zirkonabutments. 

Eine erste Kostenschätzung relativiert an dieser Stelle häufig die Wünsche der Patienten. In einer erneuten Beratungssitzung war die Patientin deutlich entspannter, so dass man konkret einzelne Behandlungsschritte besprechen konnte. Die Patientin wünschte die Zahnbehandlung in möglichst wenigen Sitzungen durchführen zu lassen, „möglichst viel auf einmal, um es hinter sich zu haben“. Da die Lachgassedierung bis zu vier Stunden Behandlungszeit ermöglicht, war dieser Weg gangbar. Weil unter Lachgassedierung die Suggestibilität der Patienten deutlich erhöht ist, setze ich gerne zusätzlich Techniken der Hypnose ein. Dazu ist es hilfreich zu wissen, welche Situationen/Bilder im Patienten positive Gefühle auszulösen vermögen. Im Beispiel berichtete die Patientin von einem neuen Wohnmobil, einer geplanten Italienreise und einem Glas Weißwein bei Sonnenuntergang.

Extraktion und Planung

Unter Lachgassedierung wurden die nicht erhaltungswürdigen Zähne extrahiert, wobei 23 und 33, 34, 43 und 44 zur besseren Retention von Röntgen- und Bohrschablone zunächst belassen wurden. Eine suffiziente Lokalanästhesie ist eine conditio sine qua non, da das Lachgas zur Sedierung, jedoch nicht zur Analgesie eingesetzt wird. Vor der fraktionierten Injektion wird eine Oberflächenanästhesie mit 6%igem Lidocaingel appliziert. Aufgrund der immer noch ausgeprägten Entzündungen im Bereich der Unterkieferfront kam es während der Extraktion zu Schmerzreizen und entsprechend heftiger Reaktion der Patientin, was durch das Evozieren positiver Bilder (s. o. Italien, Weißwein, Sonnenuntergang usw.) gemanagt werden konnte. Der Interimsersatz für Ober- und Unterkiefer wurde eingegliedert.

Sechs Wochen post extractionem wurden erneut Abformungen und ein Bissregistrat erstellt. Die ästhetische Planung im Sinne einer Aufstellung mit röntgensichtbaren Zähnen wurde durch den Zahntechniker umgesetzt. Die dreidimensionale Bildgebung ermöglicht die Planung der korrekten Implantatpositionen im Verhältnis von Knochenangebot und ästhetischer Planung, da wir auf Augmentationen verzichten wollten. Die geplanten Implantatpositionen wurden auf ein Modell übertragen und mittels CAD/CAM-Verfahren wurde ein festsitzendes Provisorium zur Sofortversorgung erstellt.

Setzen der Implantate

Unter Lachgassedierung wurden die Implantate im Sinne einer verzögerten Sofort‧implantation inseriert. Aufgrund der guten Lagestabilität der Bohrschablone konnte im Oberkiefer transgingival vorgegangen werden, im Unterkiefer wurde unter Sicht nach Präparation von Mukoperiostlappen implantiert, gegebenenfalls wurde, zur Schaffung einer ausreichend breiten Zone befestigter Gingiva, eine Verschiebeplastik durchgeführt. Nach der geführten Implantation wurden die Zähne 23 und 33 extrahiert und dort wurde im Sinne einer Sofortimplanta‧tion jeweils ein Implantat eingesetzt, 23 wurde zur gedeckten Einheilung mit einer Verschlussschraube versehen, 33 in die temporäre Versorgung einbezogen. Auf allen übrigen Implantaten wurde auf Stegaufbauten und Titanklebebasen (Passive-Fit) der temporäre Brückenersatz mit Flow-Komposit aufpolymerisiert.

Nach entsprechender extraoraler Nachbearbeitung konnten die Provisorien verschraubt und die Schraubkanäle entsprechend verschlossen werden. Wir entschieden uns in diesem Fall für das CAMLOG-Guide-System, da mit diesem System sowohl die Position als auch die Bohrtiefe exakt vorgegeben werden, so dass die eigentliche Implantation zügig durchgeführt werden konnte. Die Patientin wurde angewiesen nur weiche Kost zu sich zu nehmen und mit Chlorhexidinlösung zu spülen. Nach dreimonatiger Einheilung wurde wieder unter Lachgassedierung die temporäre Versorgung abgenommen und das Implantat 23 freigelegt. Nach Einfügen des Gingivaformers wurde das Provisorium nochmals 14 Tage bis zur Abformung eingegliedert. Die temporäre Versorgung wurde abgenommen, die Abformpfosten wurden eingesetzt, die Osseointegration wurde mittels Klopfschall bestätigt und der korrekte Sitz der Abformpfosten röntgenologisch kontrolliert. Mit den Pfosten wurde ein arbiträres Übertragen des Oberkiefers durchgeführt und es wurde ein Bissregistrat erstellt. Das Blattimplantat im Unterkiefer rechts wurde konventionell mit der geschlossenen Abformung der Implantate abgeformt.

Die exakte Planung ermöglichte eine sofortige Fertigstellung der Restauration. Auf individuellen Zirkonabutments wurde der Ersatz in Form einzelner Brücken aus monolitischem Zirkon (Brux-zir) gefertigt, wobei anterior die Ästhetik durch Cut-Back optimiert wurde. Das Blattimplantat erhielt zum Ausgleich eventueller Differenzen und Spannung ein Ausgleichsteleskop und wurde als Brückenpfeiler in die Konstruktion miteinbezogen. Nach minimalen Korrekturen von Okklusion und Laterotrusion wurde die Versorgung mit Temp-Bond (Kerr) semipermanent eingegliedert und eine abschließende Röntgenkontrolle durchgeführt. Nach zwei Tagen wurde die Patientin zur Kontrolle und gegebenenfalls zur Durchführung von Korrekturen nochmals einbestellt und erhielt durch die Dentalhygienikerin eine detaillierte Mundhygieneunterweisung. Ein dreimonatiges Kontrollintervall soll den Behandlungserfolg langfristig sichern.

Fazit

In zahlreichen Ländern (USA, Australien, Südafrika, Japan usw.) ist die Lachgassedierung integraler Bestandteil der täglichen zahnärztlichen Arbeit. War Lachgas in Deutschland bis Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in zahlreichen zahnärztlichen Praxen vertreten (damals zur Analgesie in hohen Dosierungen eingesetzt), verschwand es mit der Markteinführung von Articain von der Bildfläche. Die vielen Vorteile des Verfahrens führten in den vergangenen Jahren zu einem starken Anwachsen des Interesses der Kollegen und zu einer zunehmenden Verbreitung der Lachgassedierung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sicherlich kein Allheilmittel, stellt die inhalative Sedierung in kundiger Hand ein probates Mittel dar, um zahnärztlichen Behandlungen ihren Schrecken zu nehmen und Zahnärzten ihre tägliche Arbeit zu erleichtern.

Die Tatsache, dass in der Regel nur minimale Sedierungen durchgeführt werden, der Patient dabei ansprechbar bleibt und keine Amnesie erlebt, stellt besondere Anforderungen an die Empathie des Behandlers, anders als bei anderen Verfahren hat der Patient die Möglichkeit, seine Angst zu überwinden
Da derzeit von Seiten der Bundeszahnärztekammer (noch) keine verbindlichen Leitlinien zur Lachgasanwendung in Zahnarztpraxen vorliegen, werden teilweise recht gegensätzliche Auffassungen Einzelner bezüglich der erforderlichen Weiterbildung und ihrer wünschenswerten Inhalte publiziert.
Unstrittig dürfte hingegen sein, dass grundsätzlich zahnärztliche Weiterbildung unter der Leitung von Zahnärzten stehen soll, um den erforderlichen Praxisbezug sicher zu gewährleisten.

ZA Wolfgang Lüder © Privat

ZA Wolfgang Lüder
ist seit 2006 niedergelassen in eigener Praxis in Rosenheim. Seit 2009 ist er als Lachgastrainer für das Institut für zahnärztliche Lachgassedierung tätig.
info@rosenheim-zahnaerzte.de