EU-Medizinprodukte-Verordnung

MDR 2020: Was erwartet Zahnärzte ab Mai?

Seit der Verabschiedung der EU-Medizinprodukte-Verordnung am 5. April 2017 mussten rund 3000 Dentalprodukte hinsichtlich ihrer technischen Dokumentation überprüft und ggf. neu bewertet werden. Im Mai 2020 endet die dreijährige Übergangsfrist. Doch eine reibungslose Implementierung des neuen Regelwerks scheint noch in weiter Ferne: Zu viele notwendige Maßnahmen sind bislang nicht umgesetzt, zu viele Hürden bestehen weiterhin. Was bedeutet das für Zahnärzte und Hersteller?


MDR 2020

Am 26. Mai wird die neue Medical Device Regulation (MDR) rechtskräftig. Experten erwarten einen holprigen Start, denn noch immer bestehen Hürden bei der Implementierung. © Alexander Limbach – stock.adobe.com


Am 26. Mai 2020 ist Schluss: Dann endet die Übergangsfrist der neuen EU-Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation – MDR) und die 2017 beschlossene Neufassung der Verordnung (EU) 2017/745 tritt vollständig und verbindlich in allen EU-Mitgliedstaaten in Kraft. In nationales Recht umgesetzt werden muss die Verordnung nicht. Dennoch sind Anpassungen innerhalb des nationalen Medizinprodukterechts erforderlich, über die der Bundestag derzeit im „Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz“ debattiert.



Was will die EU mit der MDR erreichen?

Die MDR zielt in erster Linie auf die Industrie: Die EU möchte damit das europäische Medizinprodukterecht vereinheitlichen und Patienten vor fehlerhaften oder risikobehafteten Medizinprodukten schützen, nachdem Skandale um mangelhafte Brustimplantate oder Hüftprothesen das Vertrauen von Ärzten und Patienten in die Sicherheit von Medizinprodukten erschüttert hatten. Das Regelwerk sieht dazu unter anderem unangemeldete Audits bei den Herstellern, zusätzliche Prüfverfahren und eine bessere Rückverfolgbarkeit von risikoreichen Produkten vor (Artikel 10 MDR).

Strengere Richtlinien

Was sinnvoll klingt, sorgt bei den Herstellern von Medizinprodukten – und damit auch innerhalb der Dentalindustrie – aber schon seit Längerem für Bedenken: Zu groß ist der dokumentarische Aufwand, zu hoch sind die Kosten für die Umsetzung der MDR. Denn die neue Verordnung enthält eine weiter gefasste Definition für Medizinprodukte und verlangt eine Zuordnung in der europäischen Medizinprodukte-Datenbank (Eudamed) per eindeutiger Produktnummer, der sogenannten Unique Device Identification (UDI). Neu ist auch eine schärfere Bewertung des Risikopotenzials. Damit droht einer Vielzahl von dentalen Medizinprodukten die Einstufung als Hochrisikoprodukt.

Neue Risikoeinstufung in der MDR 2020…

Die finale MDR setzt ab 2020 zum Beispiel für alle Produkte, die Nanomaterialien enthalten – darunter etliche Dentalprodukte –, eine Beurteilung des sogenannten Expositionsrisikos voraus. Dieses schätzt ein, wie wahrscheinlich der menschliche Körper den im Produkt enthaltenen Stoffen ausgesetzt ist und wie wahrscheinlich daraus Folgen entstehen. Geprüft wird, in welche Risikoklasse die unterschiedlichen Medizinprodukte aufgrund ihres Potenzials für eine interne Exposition eingruppiert werden müssen: in Klasse IIa (vernachlässigbares Potenzial), in Klasse IIb (mittleres Potenzial) oder Klasse III (hohes Potenzial).

…aber unklare Bewertungskriterien

Doch wie eine solche Einstufung konkret erfolgen soll, ist unklar. Denn bis heute fehlen Kriterien und messbare Grenzwerte für die Bewertung der Potenzialstufen. Hersteller von Medizinprodukten und ihre Verbände seien somit nach wie vor genötigt, eigene Bewertungsansätze zu suchen, kritisiert Mark Stephen Pace, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Deutschen Dental-Industrie e. V. (VDDI) (siehe Interview). Mit den nötigen Rechtsakten, Leitlinien, Normen oder gemeinsamen Spezifikationen wäre eine Implementierung der MDR wesentlich einfacher, da einheitliche Definitionen und vor allem Interpretationshilfen bestünden, ist sich Pace sicher. Bislang aber hat die EU-Kommission von den mehr als 40 nach der MDR möglichen Rechtsakten erst drei verwirklicht.

Engpässe bei Kontrollinstanzen

Herstellerverbänden wie dem VDDI ist klar: Alle Beteiligten erwartet mit dem Inkrafttreten der MDR im Mai 2020 ein holpriger Start. Denn nicht nur der Mangel an verbindlichen Richtlinien sorgt für Probleme bei der Implementierung der MDR. Ab einer Einstufung in die Risikoklasse II darf ein Medizinprodukt nämlich künftig nur noch in Kooperation mit einer Benannten Stelle – wie TÜV oder DEKRA – CE-gekennzeichnet und in den Markt gebracht werden. Für Medizinproduktehersteller ist das teuer und verursacht einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Doch Pace bereitet noch etwas anderes Sorgen: Die Zahl der Benannten Stellen, die die Zertifizierungen von neuen und die Rezertifizierung von bereits auf dem Markt erhältlichen Produkte durchführen könnten, ist viel zu gering.

“EU-Kommission hat Entwicklung falsch eingeschätzt”

Zudem müssen die Benannten Stellen zunächst selbst einen Zertifizierungsprozess durchlaufen, um nachzuweisen, dass sie die verschärften Anforderungskriterien der MDR erfüllen. Bislang hätten aber nur 44 Benannte Stellen dazu einen Antrag gestellt, so Pace. Lediglich neun Stellen seien bereits nach neuem Recht notifiziert – aus seiner Sicht viel zu wenig, um bis zum Geltungsbeginn der MDR 2020 alle Produkte neu zu bewerten. Wie sehr die Kommission die Entwicklungen falsch eingeschätzt habe, zeige sich an ihrer Mitteilung Mitte September 2019, man sei sich sicher, bis Ende 2019 etwa 20 Benannte Stellen notifizieren zu können, sagt Pace.

Eudamed erst 2022 einsatzbereit

Und noch an anderer Stelle hapert es: So ist die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) noch nicht voll einsatzbereit. In ihr sollen künftig alle Medizinprodukte, die herstellenden Unternehmen, Zertifikate samt den Benannten Stellen, die diese erteilt haben, Daten zu klinischen Prüfungen, schwerwiegende Ereignisse sowie behördliche Maßnahmen der Marktüberwachung gelistet werden. „Erst im Oktober 2019 hat die Kommission die Reißleine gezogen und die volle Funktionstüchtigkeit von Eudamed auf frühestens Mai 2022 verschoben“, sagt der VDDI-Vorstandsvorsitzende. Die Eintragungen in die bisherige Form der Eudamed übernimmt vorerst weiterhin das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI).

Nur Big Player können sich rasch eine aufwendige und teure Zertifizierung ihrer Medizinprodukte leisten. <span class="su-quote-cite">Christian Berger</span>

Dentalhersteller wegen MDR 2020 in Sorge

Auf die Medizinprodukteindustrie – und damit auch die Dentalproduktehersteller – kommen unruhige Zeiten zu. Die finanziellen Aufwendungen für zusätzliches Personal und die hohen Zertifizierungsgebühren sind enorm. Während die großen Hersteller die gestiegenen Anforderungen und die damit verbundenen Kosten stemmen können, geraten die vielen kleinen und mittleren Unternehmen im mittelständisch geprägten Markt durch die regulatorischen Hürden in Bedrängnis.

Produktvielfalt leidet aufgrund MDR 2020

Wie viele Hersteller daran letztlich scheitern und ihre Produkte vom Markt nehmen müssen, sei bislang noch nicht absehbar, so Pace. Für Wirtschaftsexperten wie den VDDI-Chef ist aber klar, dass die bisherige Produktvielfalt und damit auch die Produktauswahl durch die MDR künftig eingeschränkt sein werden. Auch Christian Berger, Präsident des Bundesverbands der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa e. V. (BDIZ EDI) und Präsident der Landezahnärztekammer Bayern, befürchtet: Eine aufwendige und teure rasche Zertifizierung von Medizinprodukten werden sich in Zukunft nur große Hersteller leisten können. Lohnt sich der Aufwand für ein Unternehmen nicht, könnten viele Produkte einfach vom Markt verschwinden, so Berger.

Übergangsregelung bis Mai 2024

Immerhin: Es gibt eine Übergangsregelung, um Engpässe auf dem Markt zu vermeiden (Artikel 120 MDR). Sie könnten entstehen, wenn die Produkte der Hersteller aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Benannten Stellen nicht rechtzeitig nach dem neuen MDR-Regelwerk geprüft werden können. Der Gesetzgeber hat daher vorgesehen, dass alle Zertifikate, die die Hersteller schon besitzen, bis zu dem im Zertifikat genannten Ablaufdatum gelten. Bis zum 26.05.2020 ist zudem noch eine Zertifizierung nach geltendem Recht möglich, die maximal bis zum 26.05.2024 Gültigkeit behält. In die Übergangsregelung eingeschlossen hat die EU auch Produkte, die zurzeit noch in die Risikoklasse I fallen, aber von einer Höherstufung betroffen wären – etwa wiederverwendbare Instrumente oder auch Produkte, die Nanomaterial enthalten, z. B. Abformmaterialien.

MDR: Konsequenzen für Zahnärzte ab Mai 2020

Auch Zahnärzte sind von den strengeren Anforderungen der MDR betroffen. Vor allem Zahnmediziner, die in ihrer Praxis chairside Zahnersatz mittels CAD/CAM herstellen, stehen vor der Frage, ob sie mit ihren Erzeugnissen nun bereits als „Hersteller“ gelten oder ob ihre Arbeiten in die Kategorie der „Sonderanfertigungen“ fallen. Die MDR regele diesen Fall in Artikel 2, Absatz 3, erklärt VDDI-Vorstandsvorsitzender Pace: Sofern ein Medizinprodukt eigens für einen namentlich genannten Patienten geschaffen wird, spezifischen Auslegungsmerkmalen genügt und den angestrebten therapeutischen Nutzen entfaltet, gilt es als „Sonderanfertigung“. Wesentliches Merkmal einer Sonderanfertigung sei die Herstellung des Produkts aufgrund einer Verordnung von einem qualifizierten Berufsträger, z. B. einem Zahnarzt, so der Experte. Dabei sei es nicht von Belang, ob die Herstellung manuell oder mittels eines industriellen Verfahrens erfolgt.

Zahnärzte müssen die in Anhang XIII der MDR angeführten Informationen zur Konformität der Sonderanfertigung beifügen. <span class="su-quote-cite">Mark Stephen Pace</span>

Informationen zur Konformität von Sonderanfertigungen beifügen

Solange ein Zahnarzt also ausschließlich Sonderanfertigungen herstellt, ist er von einer CE-Kennzeichnungspflicht und damit auch von den Pflichten, die von Herstellern gefordert werden, befreit. Ganz losgelöst von Pflichten sind Zahnmediziner damit aber nicht: Sie müssen in jedem Fall ab Mai 2020 die in Anhang XIII der MDR angeführten Informationen zur Konformität der Sonderanfertigung beifügen. Aufatmen können Zahnärzte auch in der Frage der Weiterverwendung bereits gekaufter und in der Praxis gelagerter Produkte und Verbrauchsmaterialien. Alle Medizinprodukte, die Praxen und Labors bis zum 25. Mai 2025 erwerben, dürften gemäß Paragraf 120, Absatz 4 der Verordnung nach den Regeln sowohl der MDD als auch der MDR in Verkehr gebracht worden sein, erklärt der Wirtschaftsexperte. Erst Produkte, die Zahnärzte nach Ablauf dieser Frist kaufen, müssten entsprechend den MDR-Regularien in Verkehr gebracht worden sein.