Prothetik

Grauzone CAD/CAM

Die Technologien zur Fertigung von Zahnersatz entwickeln sich rasant und sorgen damit für genauere Ergebnisse und schnellere Arbeitsabläufe. In welchem Ausmaß auch Zahnärzte in Zukunft in diesen neuen Disziplinen ausgebildet werden sollen, erwähnt die 58 Jahre alte Ausbildungsvorschrift aber mit keinem Wort.



Die zurzeit gültige Approbationsordnung für Zahnärzte schreibt ausdrücklich vor, dass die Anwärter in der zahnärztlichen Prüfung die Herstellung eines Zahnersatzes leisten können müssen: „Der Kandidat hat seine theoretischen Kenntnisse über die Planung und Ausführung von Behandlungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Zahnersatzkunde nachzuweisen und sowohl herausnehmbaren wie festsitzenden Zahnersatz anzufertigen und einzugliedern“ (ZÄPrO II. D. § 50). Ein entsprechend großer Teil der deutschen Universitäten mit zahnmedizinischer Ausbildung verfügt folgerichtig über ein eigenes Zahntechniklabor und eigens für die Betreuung der Studenten angestellte Zahntechniker.

Eine Schieflage entsteht durch die Tatsache, dass die aktuell gültige Approbationsordnung im Januar 1955 ausgefertigt wurde: Die Anfertigung und Anpassung von Zahnersatz war damals ein komplett anderer Vorgang als heute. Die Ausbildungsvorschrift müsste ergänzt werden, sodass klar ersichtlich wird, welche Abläufe der Zahnarzt beherrschen muss und welche Aufgaben ausschließlich in den Aufgabenbereich des Zahntechnikers fallen – andernfalls könnte § 50 eine Grauzone schaffen, die jede Universität selbst interpretieren müsste.

Das würde – im extremsten Fall – in der Konsequenz zu sehr unterschiedlich ausgebildeten Zahnärzten führen. Daher muss klar geregelt werden, ob die zahntechnische Komponente innerhalb der zahnmedizinischen Ausbildung um die neuen Technologien erweitert wird oder ob dem Zahnarzt eine grundlegende Einführung reicht.

Führende Hochschulvertreter ziehen in dieser Frage prinzipiell an einem Strang: „Ich habe mir damals größten Ärger seitens des Freien Verbands eingehandelt, als ich den zahntechnischen Teil der Ausbildung quasi abgeschafft habe“, erinnert sich Prof. Dr. Manfred Wichmann, Direktor der Zahnklinik 2 – Zahnärztliche Prothetik am Universitätsklinikum Erlangen. Der Vorwurf damals: Das sei das Ende des Praxislabors. Doch Wichmann blieb hart.

Sicher sei es sinnvoll, den Studenten etwa im Rahmen der Phantomkurse die CAD/CAM-Technologien vorzustellen. „Sie sollen sie kennenlernen und damit wissen, was dabei vorgeht“, meint Wichmann. Alle zahntechnischen Arbeiten werden an der Universität Erlangen ins Labor geschickt: „Die Studenten dürfen gar nicht erst glauben, sie könnten Zahntechnik“, betont Wichmann pointiert. Diesen Bereich im Studium mit abzudecken, sei gar nicht möglich: „Dafür gibt es keinen Platz“, fügt Wichmann an. Wichmanns Lösung für Erlangen war das „Insourcing“ der Zahntechnik in die Hochschule: „Wir pflegen hier einen unglaublich engen Kontakt, und das ist genial.“ Zwei Zahntechniker stehen seiner Abteilung zur Verfügung, einer davon ist mit mehr als 50 Prozent seiner Arbeitszeit in der Studentenausbildung tätig – oder besser: in der „Studentenaufklärung“.

Und auch der Chirurg Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Henning Schliephake, Präsident der DGZMK, hält die Zeit des handwerklichen Aspekts zahntechnischer Arbeiten in der Studentenausbildung für endgültig vorüber. „Wir müssen die Anatomie und die Physiologie in den Vordergrund stellen, nicht die manuelle Ausbildung.“ Zwar benötige der Zahnarzt auch in Zukunft handwerkliches Geschick; das aber habe mit subtilen zahntechnischen Anforderungen nichts zu tun. Auch in Göttingen sind Zahntechniker in der Hochschule engagiert – für die Ausbildung und für die Umsetzung zahntechnischer Gewerke. Nicht unwichtig, so betont Schliephake, sei bei dieser Diskussion auch ein infrastruktureller Aspekt: Hochschulen täten sich nicht so leicht mit einer entsprechenden Ausstattung mit zahntechnischem Equipment; da spiele der Kostenfaktor doch eine eminente Rolle.

Arbeit am Patienten essenziell wichtig

In einem Punkt sind sich alle Beteiligten jedenfalls einig: Egal was die neuen Technologien in Zukunft leisten können, das Gefühl für die Arbeit am Patienten wird der Zahnarzt immer benötigen. „Das handwerkliche Feeling ist am Stuhl und am Patienten essenziell wichtig, und das kann CAD/CAM dem Zahnarzt nicht abnehmen oder beibringen. Dadurch wird das Lehren des Basiswissens immer erhalten bleiben“, sagt Dr. Corinna Walter von der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Tübingen. Für Walter sind kleine Schritte im ersten Semester unumgänglich, der angehende Zahnarzt soll ein Gefühl dafür bekommen, wie ein Zahn aufgebaut ist und wie er funktioniert. Schließlich steht ganz zu Beginn der Ausbildung die Entscheidungsfindung darüber an, ob der Student überhaupt für die Arbeit am Patienten geeignet ist.

Walter nennt auch einen sehr praktischen Grund, warum dieser Schritt der Ausbildung unverzichtbar ist: „Vor allem im Studium ist das handwerkliche Arbeiten auch deshalb essenziell wichtig, weil es sonst für die Dozenten extrem schwierig wird, Bewertungskriterien anzulegen. Wenn der PC alles selbst macht und der Student ,nur‘ die Software bedienen muss, wird es sehr schwierig herauszufinden, wer tatsächlich genug Gefühl für den Beruf hat.“

Trotzdem wird CAD/CAM – wenn auch zunächst nur am Rande – an der Eberhard-Karls-Universität in die Lehre integriert. Die Dozenten besuchen mit den Studenten eine kommerzielle Zahntechnikfirma, um die Prozesse in der Praxis kennenzulernen. Obwohl die handwerkliche Grundausbildung also als unverzichtbar angesehen wird, werden in Tübingen erste Maßnahmen durchgeführt, um die Studenten doch zumindest an die softwaregestützten Abläufe heranzuführen.

Eine klarere Anweisung in der Approbationsordnung bezüglich CAD/CAM könnte der Universität Kosten sparen, würde man auf den Ausflug verzichten. Eine eindeutige Entscheidung zu diesem Schritt kann die Universität aber nur dann treffen, wenn in der Ausbildungsvorschrift festgehalten wird, dass CAD/CAM nicht zu den Lehrinhalten für Zahnärzte zählen soll.

Zahntechniker als Bindeglied erforderlich

An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gibt es ebenfalls speziell ausgestattete zahntechnische Laborräume, die zur Vermittlung der zahntechnischen Basisfertigkeiten genutzt werden. CAD/CAM wird bisher aber nicht als Schwerpunkt behandelt. „Die angehenden Zahnärzte sollen nicht zu dem fatalen Irrtum verleitet werden, die Verantwortung für Planung, Herstellung, Passgenauigkeit und okklusal funktionelle Gestaltung abgeben beziehungsweise dem Computer übertragen zu können“, sagt Dr. Petra Scheutzel, Koordinatorin Lehre im Bereich Zahnmedizin, und bekräftigt daher die Wichtigkeit der Grundausbildung: „Grundsätzlich gilt, dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Zahntechniker und die gezielte Auftragserteilung durch den Zahnarzt, der letztendlich mit der Inkorporation des Zahnersatzes auch die Verantwortung für diesen trägt, ohne grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten auf zahntechnischem Gebiet nicht möglich sind.“ Aber gilt das Gleiche dann nicht auch für den Bereich der softwaregesteuerten Techniken, wenn diese in Zukunft einen immer größeren Platz einnehmen?

Der Vorsitzende des Bundesverbandes der zahnmedizinischen Alumni in Deutschland e. V. (BdZA), Jan-Philipp Schmidt, studierte Zahnmedizin in Münster und empfindet in der Rückschau den zahntechnischen Bereich in seiner Ausbildung als durchaus hilfreich: „Man kann sagen, dass es im Praxisalltag vor allem bei der Beurteilung von zahntechnischen Arbeiten ein großer Vorteil ist, wenn man alle Fehlerquellen während der Ausbildung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch kennengelernt hat.“

Trotzdem glaubt auch Schmidt nicht, dass eine weitere Vertiefung in Sachen Zahntechnik in der Lehre nötig ist. „Für nicht mehr zeitgemäß halte ich es, wenn Studierende im klinischen Abschnitt des Studiums alle zahntechnischen Arbeiten für ihre Patienten anfertigen sollen – hierfür gibt es erfahrene Zahntechniker, die diesen Beruf gewählt haben. Zahnmediziner sollten prothetische Arbeiten kompetent beurteilen können – das routinierte Herstellen der Arbeiten bleibt Sache der Zahntechniker.“

Dennoch stellt sich weiterhin die Frage, ob Zahnärzte mögliche Fehler im Produktionsablauf tatsächlich erkennen und einordnen können, wenn sie die Grundlage der Fertigungsmethode nicht genau kennen. Auch Prof. Dr. Bernd Wöstmann, Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Gießen, hält die Aufnahme der CAD/CAM-Technologie in den Lehrplan nicht für nötig. „Der Stellenwert der Zahntechnik in der Branche wird weiter steigen, im Studium macht eine intensive Beschäftigung mit den neuen Technologien aber keinen Sinn und wird daher in Gießen nicht ausgebaut.“

Wöstmann nennt auch wirtschaftliche Gründe aus Sicht der Zahnarztpraxis als Ausschlusskriterium: „Zu der Zeit, als die aktuelle Approbationsordnung verabschiedet wurde, konnten sich Zahnärzte die meisten Gerätschaften für ihre Praxis noch leisten. Deshalb mussten sie auch detaillierte Kenntnisse in den jeweiligen Bereichen haben. Heutzutage ist der hoch spezialisierte Beruf des Zahntechnikers als Bindeglied erforderlich.“

Der Generalsekretär des Verbandes der Deutschen Zahntechniker-Innungen (VDZI), Walter Winkler, geht ebenfalls davon aus, dass der Umfang des neuen Wissens für den Zahnarzt nicht relevant ist: „Im Allgemeinen folgt dem Wachstum des Wissens in langfristiger Perspektive die fachliche Spezialisierung und Arbeitsteilung, im Fachbereich selbst und zwischen den Berufen. Insofern ist auch in der Zahnmedizin zu erwarten, dass sich in der Aus- und Fortbildung die Schwerpunkte beim Zahnmediziner bei steigendem Wissen in die medizinische Richtung und nicht in Fertigungstechnologien verändern und dies auch nicht sollten.“ Die Rolle des Zahntechnikers sei klar.

Generell spricht man sich im Fach dafür aus, dass der Zahntechnikerberuf das komplette Wissen bezüglich der neuen Technologien umfassen soll. Zahntechnik sei Handwerk, und der Zahntechniker stehe dem Zahnarzt damit als kompetenter Partner auch zum Thema CAD/CAM zur Verfügung. Doch wiederum bleibt hier die Frage offen, wer oder was regelt, wie die oben erwähnten Veränderungen und anderen Schwerpunkte in der Aus- und Fortbildung für den Zahnarzt genau auszusehen haben.

Niemand stellt also infrage, dass die Zahntechnik eine wichtige Rolle spielen muss – es gibt nur keine konkrete Empfehlung, den Teilbereich CAD/CAM zu unterrichten. Und das wird in den Universitäten unterschiedlich gehandhabt. Nach momentanem Stand würden Zahnärzte, die beispielsweise in Münster ihren Doktor machen, am Ende ihrer Ausbildung weniger Kenntnisse in CAD/CAM haben als Zahnärzte, die etwa in Tübingen promovieren.

Arbeitskreis soll Lehrinhalte festlegen

Da auch in der neuen Approbationsordnung keine konkreten Lernziele diskutiert werden, wurde der Arbeitskreis „Weiterbildung und Lehre in der Zahnmedizin“ gegründet. Der „Kompetenzbasierte Nationale Lernzielkatalog Zahnmedizin“ (KNLZ), dessen erste Version wohl noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen wird, soll den Universitäten eine Orientierungshilfe geben. Der Katalog definiert, was ein Abgänger nach dem Studium wissen soll und über welche Kompetenzen er verfügen muss. „Das ist ein großer Schritt, da der Arbeitskreis die Erfahrungen der bundesweiten Standorte zusammenträgt. Diese Erfahrungen mit verschiedenen Curricula fließen dann in die Umsetzung des Katalogs mit ein“, sagt Prof. Dr. Peter Rammelsberg von der Lenkungsgruppe des Nationalen Lernzielkatalogs Zahnmedizin des Medizinischen Fakultätentags.

Lernzielkatalog als Leitfaden

Schon seit Jahren gebe es beachtliche Unterschiede bei der Ausgestaltung der Ausbildung und den Kompetenzen der Studienabgänger zwischen den jeweiligen Universitätsstandorten, betont Rammelsberg: „CAD/CAM wird auch in der Zukunft eine Rolle spielen, die Universitäten entscheiden aber nach wie vor selbst, welche Schwerpunkte sie setzen.“ Der Lernzielkatalog schreibt nichts vor – er versucht nur, die Lernziele aufgrund der Erfahrungen der Universitäten zu formulieren und somit als Leitfaden zu fungieren, wie Rammelsberg betont.

Sobald die fertige novellierte Approbationsordnung in Kraft tritt, wird sich zeigen, ob sich die Universitäten in puncto Lernziele wieder annähern. Der Lernzielkatalog Zahnmedizin wird jedenfalls nicht über 50 Jahre auf eine Novellierung warten müssen – das Hilfsmittel soll regelmäßig aktualisiert werden und kann damit auf neue Entwicklungen reagieren.