Prophylaxe

Schützt Kaugummikauen vor Karies?

Die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) hebt in ihren aktuellen Empfehlungen zur Basisprophylaxe auch die Rolle der Speichelstimulation durch Kaugummikauen hervor. Dennoch spielen zuckerfreie, sogenannte Kaugummis zur Zahnpflege in der Prophylaxe nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle. Sollte sich das ändern? Das DENTAL MAGAZIN fragte Prof. Dr. Joachim Klimek.



Karies entsteht durch die metabolische Aktivität eines bakteriellen Biofilms auf den Zähnen, sobald die Demineralisa‧tion an der Zahnoberfläche die remineralisierenden Einflüsse übersteigt. Lässt sich durch das Kauen von zuckerfreien Kaugummis nach Mahlzeiten das Entstehen von Karies verhindern?

Klimek: Durch Kaugummikauen allein lässt sich Karies sicher nicht verhindern. In der aktuellen DGZ-Mitteilung werden am Ende daher auch fünf zusammenfassende Empfehlungen gegeben, die entsprechend dem individuellen Kariesrisiko befolgt werden sollten. Dies sind neben der Stimulation des Speichelflusses, z. B. durch Kaugummikauen, das zweimal tägliche Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta, die Begrenzung der Anzahl der zuckerhaltigen Zwischenmahlzeiten auf maximal vier pro Tag, individuell abgestimmt Intensivfluoridierung und PZR sowie die Versiegelung von Fissuren und Grübchen bei entsprechender Indikation. Die Reihenfolge dieser Aufzählung soll keine Gewichtung der Empfehlungen sein.

Was bewirkt Kaugummikauen?

Klimek: Karies entsteht, wenn die Demineralisation an der Zahnoberfläche die schützenden und remineralisierenden Einflüsse übersteigt. Dabei spielen Co-Faktoren wie die Speichelfließrate, die normal, erhöht oder vermindert sein kann, eine zusätzliche Rolle. Speichel beeinflusst den Abtransport kariogener Nahrung aus der Mundhöhle, die sogenannte „Clea‧rance“, und die Neutralisierung der Säuren im Biofilm. Deshalb ist eine Stimulation des Speichelflusses, z. B. durch Kauen von zuckerfreien Kaugummis, gerade nach Mahlzeiten vorteilhaft und dient der Kariesprophylaxe.
Die Stimulation des Speichelflusses geschieht zum einen durch den reinen Kauvorgang (Mastikation), zum anderen durch die von den jeweiligen Inhaltsstoffen ausgelösten Geschmacksreize (Gustatorik).

Welche Studien belegen die Wirksamkeit des Kaugummikauens zur Speichelstimulation?

Klimek: In verschiedenen klinisch-experimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass das Kauen zuckerfreier Kaugummis sowohl den Speichelfluss als auch den Speichel-pH wesentlich erhöhen kann (Dawes und Kubieniec, 2004; Dawes und Macpherson, 1992; Edgar, 1998; Wang et al., 2012). Der Speichelfluss lässt sich aber auch durch andere gustatorische und mastikatorische Stimuli anregen. Infrage kommt z. B. das Lutschen zuckerfreier Bonbons oder Drops. Zu diesen Methoden der Anregung des Speichelflusses liegen aber keine klinischen Studien vor.

Welchen Patienten legen Sie das Kaugummikauen besonders ans Herz?

Klimek: Generell sollte jeder auch zwischendurch, etwa nach kohlenhydrathaltigen Snacks oder sauren Sportgetränken, an die eigene Zahnpflege denken. Da es häufig in unserer modernen mobilen Gesellschaft nicht möglich ist, tagsüber die Plaque durch Zähneputzen zu reduzieren, lässt sich durch Kaugummikauen immerhin der Speichel stimulieren. Der wiederum unterstützt eine rasche Säureneutralisation und kann so einem Zahnschmelzabbau vorbeugen. Insofern empfehlen wir allen unseren Patienten die Speichelstimulation als kleine Lösung, weil sie besser ist als keine Lösung. Darüber hinaus legen wir allen Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko das Kaugummikauen nach einer Mahlzeit besonders ans Herz. Dabei kann es sich um Kinder handeln, deren Kariesrisiko zeitweilig aufgrund von Ernährungsfehlern oder ungenügender Mundhygiene, z. B. in der Zeit des Zahnwechsels, erhöht ist. Genauso gut kann es sich aber auch um ältere Patienten handeln, deren Kariesrisiko durch verminderten Speichelfluss oder freiliegende Wurzeloberflächen, die schwer gereinigt werden können, erhöht ist.

Wie sieht es mit Patienten aus, die aufgrund einer systemischen Erkrankung Medikamente einnehmen müssen, die als Nebenwirkung Mundtrockenheit verursachen können?

Klimek: Im Rahmen der zahnärztlichen Anamnese sollten Patienten gefragt werden, ob sie Medikamente gegen erhöhten Blutdruck, Medikamente gegen Allergien (Antihistaminika), bestimmte Schmerzmittel (Spasmolytika), Antirheumatika oder Antidepressiva einnehmen. Diese Wirkstoffe können Mundtrockenheit verursachen und dadurch das Kariesrisiko erhöhen. Abgesehen davon kann Mundtrockenheit für die Patienten unangenehm sein und die Compliance (Einnahmetreue) gefährden. Allerdings ist eine regelmäßige Einnahme aufgrund der Grunderkrankung meist unverzichtbar. In diesen Fällen können wir den Patienten empfehlen, zusätzlich ihre Speichelfließrate vor allem nach kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten zu erhöhen und dadurch einem erhöhten Kariesrisiko entgegenzuwirken.

Zahnpflegekaugummis mit dem Wirkstoff Xylit sollen die wirksamsten sein? Ist das korrekt?

Klimek: Hinsichtlich ihrer Wirkung beim Kaugummikauen sind die Zuckeraustauschstoffe, also z. B. Xylit, Sorbit oder Mannit, vergleichbar. Alle können – anders als Zucker – von Bakterien im Zahnbelag nicht zu Säuren verarbeitet werden, die eine Entstehung von Karies begünstigen, und sind somit nicht kariogen. In einigen Studien konnte gezeigt werden, dass der regelmäßige Genuss von Xylit darüber hinaus zu einer Verminderung von Kariesbakterien (Mutans-Streptokokken) in der Zahnplaque und im Speichel führt. In klinischen Studien, in denen über zwei oder drei Jahre die Hemmung der Karies durch regelmäßiges Kaugummikauen nach den Mahlzeiten beobachtet wurde, konnte aber insgesamt kein überlegener Effekt von Xylit im Vergleich zu Sorbit nachgewiesen werden (van Loveren, 2004). Xylit als ein die Karieshemmung fördernder Inhaltsstoff wurde aktuell in einer großen klinischen Studie mit 691 erwachsenen Probanden, die täglich fünfmal 1 g Xylit oder ein Placebo als Lutschtablette erhielten, untersucht. Verglichen mit der Placebogruppe ließ sich keine signifikante Verminderung der Karies durch Xylit nach einer Beobachtungszeit von 33 Monaten nachweisen (Bader JD et al., 2013).

Es ist also wichtig darauf hinzuweisen, dass die kariesprophylaktische Wirkung zuckerfreier Kaugummis in erster Linie auf der mechanischen Stimulation des Speichelflusses basiert und nicht auf spezifischen Wirkungen der Zuckeraustauschstoffe oder anderer Inhaltsstoffe.

Wie sieht demnach für Sie ein perfekter Zahnpflegetag aus?
Klimek: Morgens sollten nach dem Frühstück zwei Minuten die Zähne mit einer altersgerecht fluoridierten Zahnpasta geputzt werden. Zwischendurch nach dem Mittagessen, einer Limonade oder auch nach der Kaffeepause mit Kuchen empfiehlt sich als Zahnpflege die Speichelstimulation mit zuckerfreien Kaugummis. Abends steht dann wieder gründliches, mindestens zweiminütiges Zähneputzen mit fluoridierter Zahnpasta an, evtl. erfolgt zusätzlich die Reinigung der Zahnzwischenräume mit Zahnseide.
Alle weiteren Prophylaxemaßnahmen sollte das Praxisteam mit dem Patienten individuell abstimmen, z. B. zusätzliche Fluoridierungsmaßnahmen, Fissurenversiegelung, chemische Plaque-Kontrolle, PZR.

 Prof. Dr. Joachim Klimek
war von 1990 bis April 2014 Professor und Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Präventive Zahnheilkunde des Medizinischen Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität, Gießen. Er studierte Zahnmedizin in Marburg und war dort bis 1990 Oberarzt der Abt. für Zahnerhaltung.
 Joachim.Klimek@dentist.med.uni-giessen.de