Das andere Porträt

„Wer Mist misst, misst Mist“

Seit fast 20 Jahren bestimmen Implantat-Abutment-Verbindungen und Co seinen Arbeitsalltag. Mit seiner Studie zu den Ursachen und Folgen von Mikrobewegungen am Implantat-Abutment-Interface sorgte er 2007 für Furore. Seither wartet Dipl.-Ing. Holger Zipprich mit immer neuen „Ideen“ auf.


Zipprich Porträt Implantatsysteme Implantat-Abutment-Verbindung

Dipl.-Ing. Zipprich zeigt den Versuchsaufbau, in dem die Röntgenvideos generiert werden. (© Barfuß, 4 Bilder)


Per Zufall – seiner Tochter wurden in der Uniklinik Frankfurt die Weisheitszähne gezogen – erfuhr Dipl.-Ing. Holger Zipprich von der freien Stelle in der Sektion Werkstoffkunde an der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Frankfurt a. M. Er bewarb sich, bekam den Zuschlag und widmet sich seither hauptsächlich der Untersuchung von Implantatsystemen. Die ersten Kontakte zur Uniklinik Frankfurt hatte er in der kieferorthopädischen Abteilung geknüpft. „In unserem Studentenprojekt von der TU Darmstadt entwickelten wir Sensoren für die ‚Zungendruckmessung bei Kindern‘, um mögliche Fehlstellungen der Zähne zu vermeiden.“ Noch spannender findet er aber die Implantologie. Speziell die Implantat-Abutment-Verbindungen haben es ihm angetan. Für heftige Diskussionen im Fach sorgten 2007 seine Röntgenvideos, mit denen er die Mikrobewegungen am Implantat-Abutment-Interface visualisierte.

„Die Existenz dieser Mikrobewegungen war damals bereits bekannt, auch dass sie zu Lockerungen führen konnten, wusste man“, sagt Zipprich. „Doch wie das genau aussieht, konnte sich ‚kein Mensch‘ vorstellen. Das zu veranschaulichen, hat mich fasziniert.“ Die Initialzündung dazu kam von Dr. Paul Weigl, damals OA an der Frankfurter Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik.

Zipprich im Kreuzfeuer der Kritiker

Zusammen mit Weigl, ZA Bodo Lange und Prof. Dr. Hans-Christoph Lauer machte Zipprich das „Innenleben“ von Implantaten lebendig und veranschaulichte „was da denn eigentlich passierte“. Von da an wurde die Dichtigkeit von Innenverbindungen kontrovers diskutiert. „Obwohl die Fakten längst bekannt waren“, erinnert sich Zipprich. Und es hagelte natürlich Kritik. Er habe den Konus von Ankylos- und Astra-Tech-‧Implantaten per Hand neu eingeschliffen, lautete nur ein Vorwurf. Die Studie sei eine Auftragsarbeit, hieß es weiter. Zipprich reagierte entspannt.

„Das Studiendesign, die komplette Technologie stammt von uns. Wir haben eigene Simulationsmaschinen aufgebaut. Und das kann nicht jeder!“ Und das alles auf gerade einmal 30 Quadratmetern, allein die Simulationsmaschine nimmt die Hälfte des Platzes ein. Nur ein Mitarbeiter, Dr. Christoph Ratka, unterstützt Zipprich bei seinen Versuchen – und selbstverständlich die Doktoranden. Derzeit betreut Zipprich mehr als 20 Doktorarbeiten.

„Natürlich bemühen wir uns auch stets um die Unterstützung von Herstellern, vielfach auch mit Erfolg. Studien oder Röntgenvideos von Implantatsystemen wurden ausschließlich von den produzierenden Herstellern in Auftrag gegeben. Studien und Röntgenvideos, welche Implantatsysteme betreffen, deren Hersteller diese nicht in Auftrag gegeben haben, wurden aus eigenem Forschungsinteresse durchgeführt.“

Dichte Verbindungen – eine Mär?

Heute, mehr als zehn Jahre später, spricht das Fach von der Mär der dichten Verbindung. Weder konische noch Stoßverbindungen seien dicht. Wieder reagiert Zipprich entspannt: „Es kommt nicht auf die absolute Dichtigkeit der Verbindung an, sondern auf den Grad der Dichtigkeit. Wir brauchen keine Dichtigkeit wie in einem Hochvakuumsystem einer Röntgenröhre. Eine Implantat-Abutment-Verbindung muss lediglich so dicht sein, dass KEINE Keime und Bakterien rein und rauskommen können, ob vereinzelte Atome (z. B. Gase) die Verbindung passieren können, ist dabei irrelevant. Selbst wenn vereinzelt Bakterien passieren könnten, bedarf es noch einer Kraft/einem Druck, dass diese tatsächlich transportiert werden. Bildet die Implantat-Abutment-Verbindung aber eine Mikropumpe, angetrieben durch das Kauen, werden Bakterien und Endotoxine aktiv rein- und rausgepumpt. Die entstehenden Bakterienkulturen können leben, sich vermehren und Schaden anrichten. Wer möchte schon eine Bakterienzucht im Implantat haben?“ Und genau das habe er mit den Röntgenbildern visualisiert.

Zipprich: “Konus ist nicht gleich Konus”

Danach bestehe bei nahezu allen Stoßverbindungen der Pumpeffekt durch die Implantat-Mikrobewegungen, nicht aber bei richtig dimensionierten konischen Verbindungen. Einige der konischen Verbindungen zeigen jedoch auch Undichtigkeiten gegenüber Flüssigkeiten, denn Konus ist nicht gleich Konus. Und Zipprich forscht weiter. Hierzu wurden an der Uni Frankfurt gleich mehrere Doktorarbeiten durchgeführt. „Wir können nachweisen, dass Flüssigkeiten in konische Verbindungen einfach nicht eindringen. Wir haben auch Bakterienundichtigkeitsuntersuchungen durchgeführt. Man sieht, dass bei vielen Stoßverbindungen schon nach den ersten Belastungen Bakterienundichtigkeiten entstehen, bei konischen teilweise bis 200N unter 30° keine.“


Penibel messen

Die Messungen sind allerdings nicht einfach. Arbeitet man nicht exakt, sind die Ergebnisse unbrauchbar. „Wer Mist misst, misst Mist“ – den Lieblingsspruch seines Messtechnik-Professors von der TU Darmstadt hat er stets vor Augen. Penibles Arbeiten und Messen, exakte Versuchsaufbauten seien das A und O. Wer Kräfte auf Proben appliziert, aber nicht prüft, ob und wie diese auch tatsächlich querkraftfrei ankommen, misst infolgedessen Mist.

Befüllt man etwa das Implantinnere mit bakteriellen Lösungen, die aber den Implantatfuß nicht erreichen, wird das Innenlumen überfüllt/überpresst und die tatsächlich bakteriendichte konische Verbindung wird als undicht klassifiziert.

Grundidee für N1-Implantatsystem…

Nach den spektakulären Röntgenvideos wurde es etwas ruhiger um die Zipprich-Forschungen. Aber nur vorübergehend. Zipprich und sein Team warten derzeit regelmäßig mit spannenden Ideen auf. Ein Beispiel ist die Erkenntnis, Konus und Index nicht mehr zu trennen, sondern zusammenzuführen, die Geburtsstunde des „triovalen Konus“, der das Abutment in die Endlage rotiert. Das bei Standard-Konus-Verbindungen mit separatem Index übliche Rotationsspiel ist damit vom Tisch.

Kombiniert mit einem triovalen Außendesign legte Zipprich die Grundlage für ein komplett neues Implantatsystem. Nobel Biocare griff die Ideen auf, ergänzte dies mit einem Tool zur Implantatbettaufbereitung, welches schneidet und kondensiert und brachte es mit dem N1-Implantatsystem zur Serienreife. Einer der Clous: Eine Knochendichtemessung entfällt, die Implantatlageraufbereitung funktioniert ohne Kühlung.

… und GalvoSurge

Wer seinen Arbeitsalltag Implantatoberflächen widmet, kommt natürlich am Thema Periimplantitis nicht vorbei. Einfache Becherglasversuche lieferten die Grundidee für „GalvoSurge“, einem ganz einfachen, neuen Verfahren der Implantat-Oberflächenreinigung: Ein Elektrolyt (Salzlösung) wird um die Implantate gespült, eine anschließend angelegte sichere Kleinspannung erzeugt Wasserstoffblasen auf der Implantatoberfläche, die den Biofilm ablösen. Das klinisch anwendbare Medizinprodukt wurde von der GalvoSurge Dental AG aus der Schweiz entwickelt.

Heute widmet sich Zipprich vor allem thermischen Messungen. Denn beim Bohren und Inserieren wird der Knochen deutlich wärmer als bislang angenommen, wie er unterstreicht. Besonders schwierig zu messen ist die Wärmeentwicklung beim Bohren mit Kühlung. Zipprich: „Da sind wir dran.“ Künftig möchte er mehr als bisher die Implantat-Insertion und Keramikimplantate unter die Lupe nehmen.

 

Die dichte Verbindung – eine Mär?
  • Es ist insbesondere eine Frage nach dem Grad der Dichtigkeit. Entscheidend ist die bakterielle Dichtigkeit und nicht die absolute, wie sie für den Aufbau eines Hochvakuumsystems nötig ist. Bei der Überprüfung hierzu ist es ebenfalls wichtig, dass die Belastungskräfte klinisch nah sind und auch tatsächlich in der gewünschten Höhe und Belastungsgeometrie am Prüfkörper ankommen.
  • Die Messung von Un-/Dichtigkeiten erfordert entsprechende Messinstrumente, die auch den entsprechend zu messenden Messbereich gut auflösen können. Weiterhin muss ausgeschlossen werden, dass eventuelle Undichtigkeiten nicht am Ende messsystembedingt sind, sondern auch tatsächlich die Undichtigkeit der Implantat-Abutment-Verbindung widerspiegeln.
  • An der Uni Frankfurt wurde in den vergangenen Jahren eine Messtechnik aufgebaut und validiert, welche die Undichtigkeit der Implantat-Abutment-Verbindung zuverlässig und reproduzierbar messen kann. Hierzu laufen derzeit mehrere Doktorarbeiten, wobei deren Ergebnisse die der bereits publizierten Röntgenvideos von 2007 und 2018 eindeutig bestätigen können. Es gibt tatsächlich dichte Implantat-Abutment-Verbindungen.

 


Der Experte

Dipl.-Ing. Holger Zipprich
studierte Elektrotechnik, seit 2001 in der Sektion Werkstoffkunde, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Frankfurt a. M.