Veröffentlichung der neuen Parodontitis-Leitlinie

„Der große Wurf“ in der Parodontitis-Behandlung

Das Jahr 2021 begann wohl mit einer der sicherlich wichtigsten zahnmedizinischen Publikationen: Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DG PARO) veröffentlichte die deutsche Implementierung der S3-Leitlinie „Treatment of Stage I-III Periodontitis“ der European Federation of Periodontology (EFP) – ein 157 Seiten umfassendes, evidenz- und konsensbasiertes Werk.


Parodontitis Behandlung

Neue Leitlinien für die Parodontitis-Behandlung bieten umfangreiche Empfehlungen für die Therapie von Patienten mit Parodontitis in den Stadien I bis III. © zlikovec/stock.adobe.com


Verschiedene Expertengruppen überprüften die Originalempfehlungen der EFP-Leitlinie, die im Juli 2020 vorgestellt wurde, auf ihre Anwendbarkeit im deutschen Gesundheitssystem. An der deutschen Version der Leitlinie zur Parodontitis-Behandlung beteiligten sich 36 Fachgesellschaften, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) sowie Patientenorganisationen. Dass diese Version nur wenige Monate nach Erscheinen der Originalleitlinie möglich war, stellte für alle Beteiligten einen Kraftakt dar. Dabei fiel die Entscheidung klar gegen eine reine Übersetzung, vielmehr wählte man eine Adaption mit Blick auf das deutsche Gesundheitssystem, wie der Leitlinienbeauftragte Prof. Dr. Moritz Kebschull, Birmingham, betont.

Die neue S3-Leitlinie ersetzt zudem zwei DG PARO-Leitlinien aus dem AWMF-Register: die Leitlinie zur subgingivalen Instrumentierung sowie die Leitlinie zum adjuvanten Einsatz von systemisch wirksamen Antibiotika in der Parodontaltherapie. Gültigkeit besitzen weiterhin die beiden DG Paro-Leitlinien zur Therapie und Prävention der Gingivitis mittels mechanischem sowie chemischem häuslichen Biofilmmanagement.

Der Stufenplan der Parodontaltherapie

Nach der Diagnose sollten Patienten nach einem stufenweise ablaufenden, aufeinander aufbauenden Therapiekonzept behandelt werden. Dabei sind die Therapiestufen vom Schweregrad abhängig, und jedes Stadium bedarf unterschiedlicher Interventionen. Es gibt eine deutliche Unterscheidung zwischen den Phasen der aktiven Parodontaltherapie (APT) in den Therapiestufen eins bis drei und der Phase der unterstützenden Parodontaltherapie (UPT). Die wichtigste Empfehlung ist und bleibt allerdings die kontinuierliche Anleitung zu häuslichen Mundhygienemaßnahmen, denn das mechanische Biofilmmanagement, sowohl häuslich als auch professionell, gilt als Rückgrat. Doch auch die individuellen Risikofaktoren eines Patienten wie beispielsweise die Rauchentwöhnung und Diabeteskontrolle bilden einen wichtigen Bestandteil.

Ich habe die Hoffnung, dass wir durch diese Leitlinie einen großen Wurf gemacht haben. Prof. Dr. Moritz Kebschull

  • In der ersten Therapiestufe, der Initialbehandlung, liegen die Schwerpunkte zum einen bei der Verhaltensänderung des Patienten und zum anderen auf der Entfernung des supragingivalen Biofilms sowie der Besprechung der Risikofaktoren.
  • In der zweiten Therapiestufe, der antiifektiösen Therapie (AIT) steht die ursachenbezogene Behandlung im Vordergrund. Die subgingivale Instrumentierung soll mit Hand- oder maschinell-betriebenen Instrumenten entweder alleine oder in Kombination durchgeführt werden – beides ist also sinnvoll und empfehlenswert. Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Bonn, weist in diesem Zusammenhang jedoch auf die deutliche Kontraindikation zur systemischen Antibiotikagabe hin. Ein routinemäßiger Einsatz sei wegen der Bedenken bezüglich der Gesundheit des Patienten und den Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht sinnvoll.
  • Konnte in den ersten zwei Stufen das Therapieziel nicht erreicht werden, folgt in der dritten Therapiestufe die chirurgische PA-Therapie (CPT). Hier kann ein wiederholtes subgingivales Instrumentieren, ein parodontalchirurgisches Vorgehen oder/und resektive oder regenerative PA-Chirurgie durchgeführt werden. „Eine chirurgische Therapie macht nur Sinn, wenn der Patient eingebunden werden kann“, resümiert Arbeitsgruppenleiter Prof. Dr. Peter Eickholz, Frankfurt. „Und diese Eingriffe sollten dann nur bei Resttaschen größer als sechs Millimeter und von dafür qualifizierten Zahnärzten durchgeführt werden!“
  • Die vierte und letzte Therapiestufe stellt schließlich die UPT dar. Sie soll die guten Ergebnisse stabilisieren und die Motivation des Patienten hochhalten. Kebschull betont, dass eine Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient durch regelmäßiges Einbestellen, Schulung und Motivation die besten Ergebnisse erziele.

Verbesserungen im Praxisalltag

Durch dieses Stufenschema der neuen S3-Leitlinie soll sich auch für den Praktiker eine Verbesserung im Praxisalltag einstellen. „Das Schema hilft uns sehr, diese verschiedenen Phasen der Parodontaltherapie in ein vernünftiges Korsett zu gießen“, erklärt Kebschull. Außerdem enthält die Leitlinie detaillierte Empfehlungen für verschiedene technische Abläufe, darunter auch, welche chirurgischen Verfahren mit welchen Materialien, in welcher Reihenfolge und bei welchen Patienten durchgeführt werden sollten. Insgesamt kamen so 62 Schlüsselempfehlungen für den Praxisalltag der Behandler zustande. „Ich habe die Hoffnung, dass wir durch diese Leitlinie einen großen Wurf gemacht haben“, wagt Kebschull einen Blick in die Zukunft. Die Leitlinie solle die Behandlung der Parodontitis in Deutschland erheblich verbessern und deutlich zeitgemäßer machen.

Das Stufenschema hilft uns sehr, diese verschiedenen Phasen der Parodontaltherapie in ein vernünftiges Korsett zu gießen.Prof. Dr. Moritz Kebschull

Um den Eingang der neuen S3-Leitlinie in die Praxis zu erleichtern und zu beschleunigen, stellt die DG PARO kurze Erklär-Videos direkt von den Autoren zur Verfügung. Dort werden sowohl die Entstehung und Bedeutung der Leitlinie selbst als auch jede Therapiestufe einzeln vorgestellt. Die Videos findet man auf dem YouTube-Channel der DG PARO. Die Inhalte der neuen S3-Leitlinie Parodontitis Stadium I bis III sind außerdem auf den Internetseiten von AWMF, DGZMK und DG PARO zugänglich.

 


Der Experte

Digitale Praxis

Foto: Privat

Prof. Dr. Moritz Kebschull

Chair of Restorative Dentistry, University of Birmingham.