Parodontologie

DGParo: Ältere Patienten im Fokus

Müssen wir unser dentales Behandlungs- und Versorgungsspektrum ändern? Welche Informationen ziehen wir aus der Anamnese unserer älteren Patienten? Auf welche Medikamente müssen wir bei unserer Behandlung achten? Diese Fragen stehen im Fokus der Jahrestagung der DGParo vom 19. bis 21. September in Erfurt. Tagungspräsident Prof. Dr. Thomas Kocher veranschaulicht an einem konkreten Fallbeispiel das Kongressthema.



Aufgrund der stetig wachsenden Zahl älterer Menschen nehmen deren Probleme ein größeres Feld in der zahnärztlichen Tätigkeit in Anspruch. Wir Zahnärzte müssen uns häufig die Frage stellen, welche Therapie ist noch adäquat, was muss gemacht werden und welche Therapie kann außer Acht gelassen werden.

Häufig sind diese älteren Patienten multimorbid, nehmen verschiedene Medikamente ein und werden im Laufe des Lebens immer gebrechlicher und in ihren Bewegungen eingeschränkt. Diese Gegebenheiten können unsere Behandlungsmöglichkeiten beeinflussen (Böhm et al. 2009). Anhand der Behandlungsabfolge unseres Patienten, der uns mit 70 Jahren erstmals konsultierte, möchte ich einige dieser Probleme schildern.

Der konkrete Fall

Der Patient gab in der Anamnese an, dass er gerne alle Zähne behalten möchte und dass er mit seiner Prothese zurechtkomme. Er war seit fünf Jahren in Rente und früher in einer Autowerkstatt tätig. Der Patient machte einen sehr rüstigen Eindruck und war gut orientiert. Bei ihm wurde bisher keine Parodontalbehandlung durchgeführt und er verwendete keine interdentalen Hilfsmittel.

Er hatte bis vor zehn Jahren geraucht, war übergewichtig (BMI von 32, 173 cm, 95 kg), und Diabetiker (Diabetes mellitus Typ II, der schlecht eingestellt war, HbA1c 8,1 %, Behandlung mit Metformin). Sein hoher Cholesterinspiegel wurde mit Statinen und der hohe Blutdruck mit Amlopidin behandelt. Seine Rente war knapp bemessen, er wünschte günstigen Zahnersatz.

Von klinischer Seite bestanden keine großen Auffälligkeiten, er hatte im Durchschnitt 5 bis 6 mm Sondierungstiefe außer an Zahn 14, der auch stark gelockert war. Der Zahn 14 konnte nicht erhalten werden. Der Patient wurde in Mundhygiene unterwiesen, ein Deep Scaling durchgeführt und eine neue Einstuckgussprothese angefertigt. Trotz schlechter Blutzuckereinstellung war das parodontale Behandlungsresultat günstig (Demmer et al. 2012), die Sondierungstiefen wurden auf durchschnittlich auf 3 bis 4 mm reduziert.

Die weitere Behandlungsabfolge war unfällig, der Patient kam zwei- bis dreimal im Jahr zur Erhaltungstherapie. Einmal im Jahr wurde die Anamnese erneuert und dabei zeigte sich, dass der Patient jetzt mit Rivaroxaban (Xarelto) zur Vermeidung von Vorhofflimmern antikoaguliert wurde. Wie gehen wir Zahnärzte mit diesem neuen Gerinnungshemmer um, was müssen wir darüber wissen (Bayer 2013)?

Mit 78 Jahren bekam unser Patient einen Prostatakarzinom, das operativ entfernt wurde. Drei Jahre später erhielt er wegen Metastasen Bisphosphonate. Durch Zufall bekamen wir dies mit: Er sprach darüber mit einer unserer Prophylaxehelferinnen.

Bisphosphonattherapie

Wie müssen wir Zahnärzte auf diese Information reagieren? Macht es einen Unterschied, ob wir parodontal erkrankte oder parodontal behandelte Patienten vor uns haben, die wegen eines metastasierenden Tumors Bisphosphonate bekommen oder bekommen sollen (Grötz et al. 2012)?

Bis zu seinem 85. Lebensjahr kam es durch seine gute Mitarbeit zu keinem weiteren Verlust an Zahnhalteapparat und der Patient verlor keinen weiteren Zähne. Seine Mundhygiene wurde jedoch schlechter, dem Patienten fiel es zunehmend schwerer, Interdentalbürsten zu gebrauchen, und auch auf den Glattflächen fanden sich häufig Beläge. Welche Maßnahmen müssen unsere Helferinnen in den Erhaltungsssitzungen bei diesen Patienten durchführen? Ist es noch angebracht, hochbetagte Patienten auf Mundhygienedefizite hinzuweisen, oder entfernen wir die Beläge, ohne dies weiter zu kommunizieren? Wie gehen wir und das gesamte Praxispersonal damit um, dass unsere betagten Patienten schwerhöriger, langsamer und auch vergesslicher werden? Wie sollen diese Patienten angesprochen werden von unserem Praxispersonal?

Nach seinem 85. Lebensjahr kam der Patient nicht mehr zu uns in die Praxis. Seine Tochter rief an und sagte, dass er inzwischen stark gehbehindert sei und aus diesem Grund die Praxis nicht mehr aufsuchen könne. Sie berichtete, dass ihr Vater über lockere Zähne in der Unterkieferfront klage und fragte, ob wir nicht die Behandlung bei ihm zu Hause vornehmen könnten.

Was kann bei der aufsuchenden Behandlung gemacht werden, welche Organisationsmöglichkeiten gibt es dabei? Soll die Tochter weiterhin die Zähne ihres Vaters putzen, soll sie die Prothesen reinigen? Sind diese Maßnahmen reine Kosmetik oder haben sie auch auf die allgemeine Gesundheit eine Auswirkung?

Japanische Kollegen konnten zeigen, dass auch Patienten in Pflegeheimen von einer regelmäßigen Zahnreinigung und Mundhygienemaßnahmen profitieren. Die behandelten Patienten bekamen im Vergleich zu Kontrollgruppen seltener eine Pneumonie und die Mortalitätsrate war während des zweijährigen Beobachtungszeitraums reduziert.Viele dieser Fragen, die ich angerissen habe, werden auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie, die vom 19. bis 21. September 2013 in Erfurt stattfindet, behandelt werden.

Die Krankengeschichte und die Abbildungen sind von zwei verschiedenen Patienten.

Interview mit Prof. Dr. Thomas Kocher

Müssen Zahnärzte angesichts der demografischen Entwicklung ihr Behandlungs- und Versorgungsspektrum ändern? Ist die Zahnärzteschaft dafür gewappnet? Der kommende DGParo-Kongress stellt den alten Patienten in den Mittelpunkt. Das DENTAL MAGAZIN sprach mit Tagungspräsident Prof. Dr. Thomas Kocher über die Highlights.

Hat man sich in Deutschland bislang zu wenig mit der Versorgung alter Patienten befasst?

Ich denke schon, wir sollten uns in jedem Fall intensiver damit auseinandersetzen als bislang. Wir müssen die epidemiologischen Daten kennen. Wir müssen wissen, wo wir im Jahr 2020 stehen, wie hoch dann der Anteil der Heimbewohner ist und ob er weiter ansteigen wird.

Machen Sie das im September zum Thema?

Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse aus Heidelberg wird die demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft skizzieren. In einem weiteren Vortrag wird zum Beispiel gezeigt, dass es auf dem flachen Land, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Arztbesuche älterer Menschen allein an der schlechten Infrastruktur scheitern können. Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Greifswald, beschreibt die Herausforderungen im Jahr 2020. Er legt dar, dass hier mit öffentlichen Verkehrsmitteln ein Arztbesuch an einem Tag nicht immer zu bewältigen ist.

Ist man in anderen Ländern schon weiter?

Schweden ist meiner Ansicht nach Vorreiter in puncto Alterszahnheilkunde. Während man zum Beispiel in Deutschland alte Patienten in erster Linie mit Prothesen versorgt, zeigen uns die Schweden, wie gut auch verkürzte Zahnreihen funktionieren können.

Zum Medikamentenkonsum: Was kommt auf Zahnärzte zu?

Wir haben in den letzten Jahren immer neue Gerinnungshemmer bekommen. Laut Herstellerangaben kann man nach Absetzen am Vortag am nächsten Morgen einen operativen Eingriff vornehmen. Doch beim alten Menschen mit Nierenproblemen funktioniert das nicht so einfach. Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake beschreibt die Probleme von zahnärztlichen chirurgischen Eingriffen und Antikoagulantien

Auch Bisphosphonate sind problematisch …

Und zwar vor allem für Tumorpatienten. Eigentlich sollten sie bereits vor Beginn der Therapie ihre Zähne in Ordnung bringen lassen. Doch die Zusammenarbeit mit den Ärzten klappt selbst bei uns in Greifswald nicht. Die Urologen oder Gynäkologen schicken uns die Patienten frühestens nach begonnener Therapie. Diesem Thema wird sich Prof. Dr. Dr. Knut Grötz aus Wiesbaden widmen. PD Dr. Bettina Dannewitz aus Weilburg skizziert die Folgen der Calziumantagonisten-Therapie. Hier muss man einfach wissen, wann tiefe Taschen auf Hypoplasien zurückzuführen sind und wann auf einen großen Attachmentverlust.

Nennen Sie Ihr persönliches Kongress-Highlight.

Ich höre auf Fortbildungsveranstaltungen immer wieder, dass man Zähne älterer Patienten möglichst früh extrahieren sollte, um die Patienten früh an den herausnehmbaren Zahnersatz zu gewöhnen. Diese Ansicht ist noch enorm weit verbreitet. Prof. Dr. Frauke Müller, Genf, greift das Thema auf und bezieht eine Gegenposition. Das wird zu interessanten Diskussionen führen.

Prof. Dr. Thomas Kocher studierte Zahnmedizin in Tübingen und ist seit 1995 Leiter der Abteilung für Parodontologie der Universität Greifswald. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Epidemiologie der Parodontitis, die Wurzeloberflächenbearbeitung sowie die Interaktion Parodontitis/Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Kontakt: kocher@uni-greifswald.de

Literatur

1. Bayer Vital Information zu Xarelto für Zahnärzte, Postsendung Zahnärzte April 2013

2. Böhm et al Gesundheit und Krankheit im Alter, RKI 2009

3. Demmer RT et al The influence of type 1 and type 2 diabetes on periodontal disease progression: prospective results from the Study of Health in Pomerania (SHIP). Diabetes Care. 2012

4. Grötz K.A. et al Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose (BP-ONJ) und andere medikamenten-assoziierte Kiefernekrosen S 3 Registernummer 007 – 091 Leitlinie AWMF online http://www.awmf.org

5. Yoneyama et al Oral Care Reduces Pneumonia in Older Patients in Nursing Homes J Am Geriatr Soc 2002.