Kieferorthopädie

Brackets ade mit dem Myobrace-Konzept?

Mit der Therapie myofunktioneller Habits wie Zungenpressen, Mundatmung und falschem Schlucken lassen sich festsitzende Zahnspangen vermeiden. Wie das gelingt, erklärt die Kölner Zahnärztin und zertifizierte Myobrace-Expertin Carola Engelberts im Interview.


Myobrace

Abb.1a Sechs Jahre und fünf Monate alter Patient mit Zungenschub und falscher Zungenposition in Ruhestand, Behandlung mit der Apparatur: Myobrace for Kids K1 (Einstellung der Nasenatmung) und dem Myobrace-Aktivitäten-Programm © myoresearch


Frau Engelberts, Sie schwören seit mehr als zwölf Jahren auf das Myobrace-Konzept und schulen inzwischen auch Kolleginnen und Kollegen. Aus welchem Anlass haben Sie sich mit dem damals vor allem in den USA verbreiteten Konzept befasst?

Engelberts: Der Anlass war der Zahnengstand meiner Tochter vor zwölf Jahren. Ich wollte ihre Behandlung auf keinen Fall bis ins Teenager-Alter verschieben und habe nach Alternativen zur klassischen KFO gesucht. Bei meinen Recherchen bin ich schließlich in den USA auf das australische Myobrace-Konzept von Myofunctional Research Co. (MRC) gestoßen, das bei der Ursachenbekämpfung der kieferorthopädischen Probleme ansetzt und nicht bei der Symptombehandung. Myobrace-Apparaturen arbeiten komplett anders als Zahnspangen. Wir trainieren damit aktiv die orofaziale Muskulatur, die Atmung und die Haltung. Selbst wenn Angewohnheiten wie Zungenpressen und falsches Schlucken sich bereits über einen längeren Zeitraum etabliert haben, lässt sich ein erfolgreiches Behandlungsergebnis erreichen.

Ist die Behandlung somit auch für Erwachsene sinnvoll bzw. möglich?

Engelberts: Durchaus! Uns ist es zum Beispiel gelungen, mit dem Myobrace-Training das Extrahieren bleibender Zähne wegen extremen Engstands zu verhindern. Seine Stärken spielt das Myobrace-Konzept aber klar bei Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 15 Jahren aus, das die Wachstumsphase die Behandlung unterstützt.

Wie genau funktioniert die Therapie?

Engelberts: Die Myobrace-Behandlung umfasst vier Stufen:

  1. Korrektur von Habits,
  2. Entwicklung des Zahnbogens,
  3. Korrektur der Zahnstellung und
  4. die Retention.

Die Therapie erfolgt über drei oder mehr aufeinander folgende Myobrace-Apparaturen. Ich gebe ganz individuell vor, wann welche Myobrace-Apparatur zum Einsatz kommt und wie oft sie gewechselt werden muss.

Von entscheidender Bedeutung sind das kontinuierliche Tragen – ein bis zwei Stunden tagsüber und die ganze Nacht – und das regelmäßige Trainieren der Übungen. Ansonsten funktioniert das Konzept nicht!


Ist das Konzept zumindest im Ansatz mit der Aligner-Therapie zu vergleichen?

Engelberts: Nein, definitiv nicht. Aligner-Schienen korrigieren wie Zahnspangen nur die Symptome, begradigen also die schiefen Zähne. Doch die Ursachen-Behandlung der myofunktionellen Störungen bleibt auf der Strecke. Und gerade die gilt es bei Kindern und Jugendlichen zu allererst zu therapieren. Denn die Symptome der myofunktionellen Störungen – Schlafstörungen, Infektanfälligkeit, Haltungsdefizite, reduzierter Muskeltonus sowie Unkonzentriertheit – beeinflussen die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen enorm. Wichtig ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit. HNO- und Kinderärzte sollten unbedingt in das Konzept miteinbezogen werden. Je nach Compliance der Kinder und Jugendlichen kann sich nach einer Myobrace-Therapie die KFO-Behandlung komplett erübrigen.

Stichwort interdisziplinäre Zusammenarbeit: Kieferorthopäden verordnen in der Regel auch logopädisches Training, um beispielsweise das Zungenpressen abzustellen. Bringt das denn nichts?

Engelberts: Wenig – denn die individuellen Diagnosen für eine logopädische Behandlung müssen von einem Arzt erfolgen, was man nicht im Studium lernt. Somit geben wir die genaue Diagnose und Therapie komplett in die Hände der Logopäden!

Diese alternative Behandlung wird allerdings von so manchem Kieferorthopäden auch als ineffektiv bezeichnet. Man vergleicht Myobrace mit einem altmodischen Aktivator. Wie kommt es zu dieser Kritik?

Engelberts: Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Myobrace-Therapie ausschließlich mit dem Tragen des Gerätes verbunden wird und nicht mit dem kompletten Konzept! Dazu benötigen sie geschulte Mitarbeiterinnen, die die Kinder betreuen und in den individuellen Übungen anleiten können. Dazu ist es bei guter Compliance natürlich nicht so lukrativ für den Behandler wie eine Bracket-Behandlung. Ich führe die kritische Haltung aber auch darauf zurück, dass Kieferorthopäden in Deutschland kaum Kinder unter zehn oder elf Jahren behandeln. Ich gehe aber davon aus, dass sich das über kurz oder lang ändern wird.


Braucht es nach einer Myobrace-Therapie tatsächlich keine Bracket-Therapie mehr?

Engelberts: Das hängt von der Compliance der Kinder und dem Einsatz der Eltern ab. Haben Eltern zu wenig Zeit, das Konzept mit ihren Kindern im Alltag umzusetzen, halte ich die klassischen Brackets in Kombination mit dem Myobrace-Konzept für den richtigen Weg.

Ihr Fazit?

Engelberts: Myobrace ist für mich ein schlüssiges Konzept. Es enthält verschiedene Trainingsgeräte, kindgerechte Atem-, Schluck-Zungenpositions-Übungen sowie eine interessante Motivationstool-App. In unserem Kölner Myobrace-Zentrum für myofunktionelle Kieferorthopädie bieten wir Eltern die Möglichkeit, die gesunde Entwicklung des Kiefers und der Zähne Ihrer Kinder früh zu fördern.

Myobrace ist eine natürliche kieferorthopädische Vorbehandlung, die die Zähne viel früher und ohne feste Spange gerade richten kann. Genutzt wird die Kraft der Muskulatur von Zunge und Wangen durch ein gezieltes Training.

Gleichzeitig hilft die Wachstumsphase die Stellung der Zähne in die richtigen Bahnen zu lenken anstatt abzuwarten, wie es oft üblich ist. Neben den positiven Auswirkungen auf die Kieferbogen und Zahnstellung verbessert sich auch die Konzentration, die Körperhaltung und die Atmung der Patienten, was beispielsweise das Schnarchen verhindert. Richtige Mundraumfunktionen sind für mich die Basis für eine gesunde Entwicklung der Kinder.


<strong>Korrektur myofunktioneller Habits</strong>
  • Das Myobrace-System besteht aus einer Reihe von Intraoralschienen, die tagsüber für ein bis zwei Stunden und nachts beim Schlafen getragen werden.
  • Die Schienen unterstützen die Korrektur schädlicher Angewohnheiten und erweitern den Zahnbogen; gleichzeitig üben sie leichte Kräfte aus, um Zähne und Kiefer korrekt auszurichten.
  • Je nach dem Alter der Patienten und der Art des kieferorthopädischen Problems werden verschiedene Apparaturen
  • Zusätzlich gibt es ein Programm zur Patientenführung („Übungen mit dem Myobrace“) zur weitergehenden Korrektur der myofunktionellen Habits, die zur fehlerhaften Zahn- und Kieferentwicklung fü
  • Die Übungen müssen zweimal täglich neben dem Tragen der Myobrace-Apparatur durchgeführt werden und bestehen aus einer Reihe von Einzelübungen zum Atmen und Schlucken sowie für Zunge, Lippen und Wangen.