Implantologie

Minimalinvasive, preiswerte Alternative

Die Vierjahresüberlebensraten von Mini-Implantaten zur Stabilisierung von Totalprothesen liegen bei 95 Prozent und höher. Werden sich Minis als preiswerte Therapiealternative gerade bei geringem Knochenangebot durchsetzen? Das DENTAL MAGAZIN fragte nach. Im Gespräch mit PD Dr. Torsten Mundt.



Lange wurden Mini-Implantate geschmäht. Ist eine Trendwende in Sicht?

Mundt: Das Interesse an Mini-Implantaten nimmt zu. Die Zahl der wissenschaftlichen Tagungen und Beiträge in Fachzeitschriften, die Minis thematisieren, steigt stetig. Ebenso hat die Zahl der Hersteller in den letzten Jahren zugenommen. Doch man ist weiterhin skeptisch, nicht nur wegen der Frakturgefahr. Das erfahre ich auf jedem Kongress, wenn ich über Mini-Implantate referiere.

Wie ist das zu erklären?

Mundt: Die Vorbehalte haben verschiedene Gründe. Die momentan verfügbare wissenschaftliche Basis ist dünn. Und die Daten für den Unterkiefer sind besser als die für den Oberkiefer.

Manche Hersteller, aber auch Anwender verstehen Mini-Implantate als ideales Einsteigersystem für Newcomer. Aber ganz ohne Erfahrung geht es nicht. Der Einsatz der Mini-Implantate setzt Know-how im Umgang mit dem Knochen und grundlegende anatomische Kenntnisse der intraoralen Hart- und Weichgewebe voraus. Aus Unkenntnis und mangelnder Erfahrung resultieren wahrscheinlich auch die Misserfolge, an die die Kritiker erinnern. Dabei sind Frakturen relativ selten und treten nur bei den dünnsten Mini-Implantaten, < 2 mm Durchmesser, auf. Ein zu hohes Eindrehmoment kann beispielsweise zu Brüchen bei der Insertion führen. Spätfrakturen können auftreten, wenn Schraubenwindungen nur unzureichend von Knochen bedeckt sind, oder bei Überschreiten der Indikationsgrenzen.

Die Trendwende ist also eingeläutet?

Mundt: Definitiv! Minimalinvasive und preiswerte Implantattherapien werden mehr denn je verlangt. Höchstens zehn Prozent der Bevölkerung können (oder wollen) Therapievarianten mit Standardimplantaten bezahlen, die wir auf unseren Implantologiekongressen vorstellen. Mini-Implantate sind zudem eine vielversprechende Alternative, wenn wichtige natürliche Pfeiler verloren gehen. Denn sie lassen sich bestens in vorhandenen Zahnersatz integrieren. Grundsätzlich können und sollen Minis das Therapiespektrum der Standardimplantate jedoch nicht ersetzen, sondern insbesondere bei schmalem Knochen ergänzen.

Allerdings gibt es bislang kaum Studien, die einen Zeitraum von drei Jahren überschreiten …

Mundt: In der Tat sind aussagekräftige, prospektiv angelegte Studien zu einteiligen Mini-Implantaten immer noch sehr selten – und wenn, dann mit einer Beobachtungsdauer von weniger als fünf Jahren. Langzeitberichte (> 5 Jahre) stammen in der Regel von Praxisinhabern ohne unabhängigen Untersucher, sind retrospektiv und ohne Berücksichtigung des Knochenabbaus. Sie besitzen somit nur einen begrenzten Aussagewert.

In Greifswald wird aber auch retrospektiv „geforscht“ …

Mundt: Richtig, wir haben vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, die auch retrospektiv angelegt war, aber die Untersuchung erfolgte durch einen unabhängigen Zahnarzt (Promovend) in neun deutschen Zahnarztpraxen. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung wurden Röntgenbilder erstellt, die mit den postoperativen Bildern verglichen wurden. Die Vierjahresüberlebensraten der Mini Dental Implants (MDI, 3M ESPE) zur Stabilisierung totaler Prothesen lagen im Oberkiefer knapp unter 95 Prozent und im Unterkiefer sogar darüber. Die Knochenabbauraten wollen wir in Kürze veröffentlichen. Weiterhin haben wir an der Greifswalder Universität zusammen mit drei Zahnarztpraxen eine prospektive multizentrische Studie zur strategischen Pfeilervermehrung initiiert. Die ersten Patienten haben zur Stabilisierung ihrer Prothesen und Restzähne Mini-Implantate erhalten und werden jetzt weiter beobachtet. Weitere prospektive Studien laufen auch an anderen Universitäten in Bern, Montreal und Belgrad.

Speziell im Oberkiefer scheinen sich Misserfolge zu häufen. Warum?

Mundt: Zwei Studien berichten über Mini-Implantate zur Stabilisierung von totalen Oberkieferprothesen. Die Ergebnisse sind mit Verlustzahlen von 15 bis 47 Prozent und hohen Knochenabbauraten ausgesprochen ernüchternd.

Was ist passiert?

Mundt: Die Implantate wurden unabhängig von der Knochenqualität in jedem Fall sofort belastet, das heißt, die Matrizen (Housings) wurden unmittelbar nach der Insertion in die Prothese einpolymerisiert. Die sehr hohe Verlustrate von 47 Prozent bei insgesamt neun Patienten resultierte wahrscheinlich daraus, dass die Prothesenbasis in diesem Therapiearm von Anfang an palatinal reduziert war.

Der Hersteller und viele langjährige Anwender empfehlen, dass im Oberkiefer mit schlechterer Knochenqualität, also weitmaschige Spongiosa, dünne Kortikalis, geringes Eindrehmoment, Mini-Implantate nicht sofort voll belastet werden dürfen, sondern die Prothesen zunächst weichbleibend unterfüttert werden müssen. Die Reduktion der Basis sollte – wenn überhaupt – erst nach drei bis vier Monaten, also nach erfolgreicher Osseointegration, erfolgen.

Mini-Implantate sind einteilige Implantate. Worauf muss man beim Setzen achten?

Mundt: Mini-Implantate haben ein selbstschneidendes Gewinde und deshalb für die Sofortversorgung eine ausreichende primäre Stabilität bieten. Ähnlich wie bei Holzschrauben erfolgt die Aufbereitung des Implantatlagers unvollständig in Breite und Tiefe mit einem dünnen Pilotbohrer. Die Präparationstiefe hängt von der Knochenqualität ab. Je weicher der Knochen, desto flacher sollte die Pilotbohrung sein.

Gibt es auch Kontraindikationen?

Mundt: Bei sehr weichem Knochen, Grad 4, „Styropor“, sind Mini-Implantate kontraindiziert. Sie eignen sich auch nicht in Verbindung mit Augmentationen, da sie nicht belastungsfrei einheilen können. Schon an der Insertionsposition sollte das Implantat zervikal allseitig von Knochen umgeben sein. Dies ist eigentlich nur zu gewährleiten, wenn der Knochen eine ausreichende Dicke aufweist.

Aber dünner Knochen ist keine Kontra‧indikation?

Mundt: Nein, bei dünnem Knochen empfiehlt es sich aber, zumindest einen kleinen Mukoperiostlappen, einen Mini-Flap, zu bilden, um die Übersicht zu behalten. Gegebenenfalls kann der Knochen krestal etwas planiert werden, aber ein Teil der Kortikalis sollte möglichst erhalten bleiben, um die primäre Stabilität nicht zu gefährden.

Wird die Bedeutung der „Kleinen“ in den nächsten fünf Jahren zunehmen?

Mundt: Ich denke schon! Sie eignen sich aufgrund ihrer minimalen Invasivität und der geringen postoperativen Morbidität als Alternative für ältere Patienten und für Patienten mit Grunderkrankungen. Implantattherapien werden nicht nur wegen der hohen Kosten abgelehnt, sondern auch aus Angst vor dem operativen Eingriff. Die häufig notwendigen Augmentationen schrecken vor allem ältere Patienten ab. Mit Blick auf die Alterspyramide ist es sehr wahrscheinlich, dass der Bedarf an minimalinvasiven und dazu preiswerten Alternativen zu Standard-Implantaten steigen wird.

Auch die Hygienefreundlichkeit und das einfache Handling sprechen dafür. Denn die manuellen und visuellen Fähigkeiten nehmen im Alter ab. Die Lebensqualität der Patienten mit totalen Prothesen wird erhöht, dazu gibt es inzwischen nicht nur von uns, sondern auch aus den Universitäten Kairo, Belgrad und Montreal deutliche Hinweise. Mini-Implantate als strategische Pfeiler zur besseren Abstützung von vorhandenen Teilprothesen sind – wie schon erwähnt – eine äußerst interessante Therapieoption. Die Kugelverankerung benötigt nur wenig Platz und ist so konstruiert, dass die Matrize durch den Austausch eines Silikonrings leicht aktiviert werden kann. Durch den speziellen Retentionsmechanismus zeigt auch die Kugelpatrize kaum Abnutzungserscheinungen wie bei anderen Kugel‧ankersystemen.

Ihr Fazit?

Mundt: Neuanwender sollten sich zunächst informieren und Kurse besuchen, die Grundsätze der Anwendung und die Indikationsrichtlinien umfassen. Diese Kurse werden von den Herstellern angeboten. Diagnostik und Kenntnisse der Anatomie sind auch bei Minis die Grundlage für Erfolge. Gerade minimal‧invasives Arbeiten bedeutet: mehr Diagnostik, vielfach auch mit einer dreidimensionalen Bildgebung. Wir Greifswalder haben zunächst bei einem erfahrenen Anwender zugeschaut. Die ersten Insertionen von Minis erfolgten unter einer Supervision, so dass der qualifizierte Kollege hilfreich eingreifen und korrigieren konnte. Mein Tipp: Die ersten Minis sollten Einsteiger im zahnlosen Unterkiefer interforaminal setzen. Denn dort sind die anatomischen Gegebenheiten am übersichtlichsten. Und: Patienten, die Minis zur Stabilisierung ihrer totalen Unterkieferprothesen erhalten, sind die dankbarsten.

PD Dr. Torsten Mundt
ist Oberarzt in der Poliklinik für zahnärzt‧liche Prothetik, Alterszahnmedizin und Werkstoffkunde, Universitätsklinik Greifswald.
Kontakt: mundt@uni-greifswald.de