Implantologie

Keramik: Einteilig, verschraubt, zementiert?

Schnelle Wundheilung, gute Anhaftung des Weichgewebes, hohe Patientenzufriedenheit – Keramikimplantate sind en vogue. Neue zweiteilige Varianten könnten den Trend zur Metallfreiheit weiter verstärken. Welche Oberfläche garantiert die Osseointegration? Wie steht es mit der Sofortimplantation plus Versorgung? Welche Herstellungstechnik wird den heutigen Ansprüchen gerecht? Ist möglicherweise die Einteiligkeit doch noch vorzuziehen? Wir fragten die Regensburger Oralchirurgen Dr. Emanuel Käser und Dr. Michael Dehen.


Keramikimplantate minimalinvasive Freilegung

Situation nach minimalinvasiver Freilegung © Käser


Die Forschungen laufen auf Hochtouren, zweiteilige Keramikimplantate sind gefragt wie nie. Inzwischen sind etliche Produkte auf dem Markt, doch nicht alle erfolgreich. Wo liegen die Unterschiede?
Käser: Die Unterschiede sind enorm – anders als bei den Titanimplantaten. Das beginnt bereits bei der Herstellung. Wir verwenden Implantate, die konventionell subtraktiv erzeugt werden. Der Vorteil ist die hohe Präzision. Allerdings geht der Trend zu Spritzgussverfahren, wohl vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Wenn es aber gelingt, damit ein gleichwertiges Implantat ohne weitere Nachbearbeitung zu produzieren, ist dieser Weg die Zukunft. Die richtige Oberflächenbearbeitung und vor allem die Anätzung sind extrem wichtig für die Osseointegration und den Langzeiterfolg. Auf die Rauigkeit allein kommt es nicht an. Daher kommt für uns ein Großteil der Keramikimplantate, die auf dem Markt sind, nicht in Betracht. Die ZLA-Oberfläche stellt momentan das Optimum dar.

Wie steht es mit dem Design?
Dehen: Das Design der Keramikimplantate gleicht dem von Titanimplantaten. Doch die Variabilität bezüglich der Durchmesser ist bei den meisten Systemen momentan noch bescheiden und vor allem mit Blick auf größere Durchmesser deutlich ausbaufähig. Hinsichtlich des Materials hat sich yttriumstabilisiertes TZP bewährt. Das gängige Vorurteil der Frakturanfälligkeit über Keramikimplantate können wir bei diesem Material bisher nicht bestätigen. Dennoch schreckt es noch viele Behandler ab. Vor allem das alte Tübinger Sofortimplantat aus Aluminiumoxid ist für diesen Ruf mitverantwortlich, obwohl es eigentlich ein visionäres Implantat war.

Marco Gadola, CEO Straumann, im Interview mit Anne Barfuß zum ersten Implantat für Sofortversorgungen von Straumann.

Kommen wir zur Innenverbindung.
Käser: Genau, das ist der Dreh- und Angelpunkt. Verklebte Abutments kommen für uns wegen der Gefahr der Lockerung der Abutments und vor allem wegen der Klebefuge nicht infrage. Auch bei den verschraubten Varianten sind wir noch sehr zurückhaltend. Die Frakturanfälligkeit der Keramikimplantate im Schulterbereich vor allem bei Zugspannung wird bei Beweglichkeit des Abutments sofort klinisch relevant. Und da konnte uns bisher noch keine Verschraubung, egal ob aus Karbon oder Metall, hundertprozentig überzeugen. Es fehlen auch einfach die Langzeitergebnisse. Vor allem zeigt sich, dass reine Zirkondioxidlösungen bei den zweiteiligen Implantaten nicht realisierbar sind. Es geht materialtechnisch einfach nicht. Das ist natürlich etwas ernüchternd. Wir vertrauen jetzt der zweiteiligen Variante von Straumann mit einer starken Implantatschulter, haben aber noch wenige Fälle vorzuweisen und auch keine Langzeiterfahrung.

Fallbeispiel 1:


Es gibt derzeit kaum Studien, die den Erfolg zweiteiliger Keramikimplantate belegen. Auf dem ITI World Symposium warnte zum Beispiel Prof. Daniel Buser vor mangelhafter Evidenz. Er selbst inseriere Keramikimplantate, auch zweiteilige, nur bei absoluten Metallgegnern. Welche Erfahrungen machen Sie?
Dehen: Zumindest bei den einteiligen Keramikimplantaten sehr positive. Wir setzen seit 2014 das Straumann PURE Implantat als Monotype und seit diesem Jahr auch als zweiteilige Variante. In unserer Praxis hatten die Keramikimplantate immer eine Nische bei den erwähnten Metallgegnern, aber das Straumann Monotype war für uns dann der berühmte Game Changer. Die Behandlungsergebnisse mit den Keramikimplantaten seit 2014 sind wirklich sensationell. Das führt dazu, dass wir Keramikimplantate vor allem in der ästhetischen Zone aufgrund der zahlreichen Vorteile für das Weichgewebe den Patienten zunehmend empfehlen. Dabei ist für uns die Einteiligkeit nicht unbedingt ein Nachteil. Die Monotypes sind chirurgisch schon etwas anspruchsvoller, und ein abgewinkelter Aufbau manchmal trotzdem notwendig. Insofern erweitert das zweiteilige Implantat mit den abgewinkelten Abutments das Indikationsspektrum. Das kann man an den Positionsindikatoren während der OP gut erkennen und spontan entscheiden.

Fallbeispiel 2:


Wie ist die Resonanz der Patienten?
Dehen: Erstaunlich positiv. Immer mehr Patienten fragen aktiv danach. Natürlich spielt vorwiegend die Metallfreiheit eine große Rolle, aber durch Aufklärung kann man den Patienten auch die Vorteile für das Weichgewebe sehr gut nahelegen. Die Studienlage ist insgesamt noch sehr übersichtlich, aber bezüglich der einteiligen Straumann-Implantate decken sich deren Ergebnisse komplett mit unseren Praxisbeobachtungen. Für die zweiteiligen Implantate gibt es gleichwertige Studien derzeit nicht, dafür sind die Systeme noch zu kurz auf dem Markt. Da sind wir noch nicht so euphorisch, und die Patienten werden natürlich entsprechend von uns aufgeklärt. Fakt aber ist: Bei uns haben die Keramikimplantate den Kreis der Metallgegner auf jeden Fall durchbrochen.

Welche Kontraindikationen gibt es?
Käser: Wir haben festgestellt, dass sich erstaunlich viele Situtationen mit Keramikimplantaten lösen lassen. Da wir auch bei Titan weder hinter Sofortversorgungen noch hinter All-on-four-Lösungen stehen, läuft die Planung bei festsitzendem Zahnersatz für uns analog zu den Titanimplantaten, das gilt also für Risikopatienten, auch übrigens Bruxismuspatienten gleichermaßen. Patienten mit mäßiger Mundhygiene weisen sogar gingival bessere Ergebnisse bei Keramikimplantaten auf, da sich weniger Plaque anlagert. Kronen und klein segmentierte Brücken sind mit den Monotypes in der Regel gut realisierbar. Bei herausnehmbarem Zahnersatz sind wir noch zurückhaltend. Mit einteiligen Keramikimplantaten ist das für uns ausgeschlossen. Bei den zweiteiligen Implantaten sind herausnehmbare Lösungen laut Hersteller möglich, allerdings können wir noch keine Fälle vorweisen. Wir lassen übrigens alle einteiligen Implantate für die ersten sechs Wochen durch eine Schiene oder ein Provisorium geschützt einheilen, die Zweiteiligen geschlossen.

Fallbeispiel 3:


Keramik leitet keine Wärme. Was bedeutet das fürs Setzen von Keramikimplantaten? Worauf muss man im Gegensatz zu Titanimplantaten achten, um Komplikationen zu vermeiden?
Dehen: Wir halten uns natürlich ans chirurgische Protokoll und drehen die Implantate etwas langsamer als Titanimplantate ein. 15 Umdrehungen pro Minute sind empfohlen. Ansonsten gelten dieselben Prinzipien wie bei den Titanimplantaten. Reaktionen bzw. Komplikationen infolge Überhitzung hatten wir bei den Keramikimplantaten noch nicht. Generell unterscheidet sich die Komplikationsrate nicht von der der Titanimplantate. Sie ist eher geringer.

Durchmesserreduzierte und kurze Keramikimplantate sind problematisch, heißt es. Ab welchen Durchmessern und Längen raten Sie von Keramikimplantaten – egal ob ein- oder zweiteilig – ab?
Käser: Das einteilige Straumann-Implantat beginnt mit 3,3 mm Durchmesser und 8 mm Länge, das zweiteilige gibt es momentan nur mit 4,1 mm Durchmesser. Schmaler als 3,3 mm muss ein Implantat unserer Ansicht nach nicht sein, es stellt also ein unnötiges Risiko dar. Wir fänden im Gegenteil die Erweiterung zu größeren Durchmessern für den Seitenzahnbereich notwendig. Bei den zweiteiligen Keramikimplantaten wird die Frakturanfälligkeit einer dünnen Schulter mit Sicherheit zum Problem und schließt kleinere Durchmesser aus. Auch ein ungünstiges Kronen-Implantat-Längenverhältnis halten wir bei Keramikimplantaten für noch riskanter als bei Titanimplantaten.

Senken Keramikimplantate das Periimplantitisrisiko und sind sie aus diesem Grund Titan vorzuziehen?
Dehen: Entscheidend ist die deutlich geringere Plaqueanlagerung, wodurch das Periimplantitisrisiko erheblich sinkt. Die Weichgewebe profitieren enorm vom Verzicht auf Titan. Das ist natürlich ein Argument. Aber es kommt einfach auf die Oberfläche der Implantate an, und da trennt sich, wie bereits erwähnt, die Spreu vom Weizen. Bei den vor 2014 verwendeten Keramikimplantaten anderer Hersteller haben wir immer wieder trotz reizfreier Gingiva und fehlender klinischer Entzündungsparameter röntgenologisch massive Knocheneinbrüche beobachtet. Das war der Hauptgrund, warum wir uns bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht weiter vorgewagt haben. Erst seit der Einführung der ZLA-Oberfläche hat sich für uns auch dieses Problem vollständig gelöst.

Fallbeispiel 4:


Ein Blick in die Zukunft: Werden Ihrer Ansicht nach einteilige Keramikimplantate über kurz oder lang vom Markt verschwinden und durch zweiteilige ersetzt?
Käser: Interessant wird vor allem, wie sich die Keramikimplantate auf Dauer gegenüber den Titanimplantaten positionieren, und da ist mit Sicherheit noch viel Luft nach oben. Momentan hat man das Gefühl, dass vor allem bei den zweiteiligen Implantaten die Versuchung groß ist, möglichst schnell auf den Zug aufzuspringen, und dass teilweise aufgrund der Materialeigenschaften des Zirkondioxids offensichtlich Fehler in das Produkt einbaut werden, die bei den Titanimplantaten längst der Vergangenheit angehören. Das schafft natürlich kein Vertrauen beim Behandler. Generell wäre es in der Implantologie eine wünschenswerte Entwicklung, dass vonseiten der Industrie nicht mit aller Macht versucht wird, ein möglichst großes Behandlerspektrum anzusprechen. Das einzelne Produkt bleibt dabei auf der Strecke. Wir sind tatsächlich nicht der Meinung, dass das einteilige Keramikimplantat überholt ist, nur weil das chirurgische Handling als etwas schwieriger gilt. In unserem Kopf ist es momentan die Zukunft und hat das Titanimplantat ersetzt. Bezüglich des Außendesigns und der Gestaltung des Aufbaus gibt es noch viel Potenzial; auch Scanner und 3D-Drucker können dabei eine große Rolle spielen. Das Monotype wird also hoffentlich nicht vom Markt verschwinden. Im Gegenteil, vielleicht kommen wir irgendwann zur Erkenntnis, dass verschraubte Lösungen überholt sind.

 

Dr. Emanuel Käser und Dr. Michael Dehner sind seit 25 Jahren in einer oralchirurgischen Praxis in Regensburg niedergelassen.