Pro und Contra allogenes Knochenersatzmaterial  

Allografts: ja oder nein?

Funktioniert allogenes partikuläres Knochenersatzmaterial besser als xenogenes? Reicht die Datenlage? Was wünschen sich die Patienten? Die Experten PD Dr. Dr. Peer Kämmerer und Dr. Dr. Markus Tröltzsch verraten ihren Standpunkt und begründen, wann und warum sie sich für oder gegen Allografts entscheiden.


Allografts allogenes Knochenersatzmaterial

Funktioniert allogenes partikuläres Material besser als xenogenes? Dr. Dr. Markus Tröltzsch (links) und PD Dr. Dr. Peer Kämmerer sind sich da uneinig. © privat


+ Pro: Allogenes Knochenersatzmaterial ist indikationsbezogen eine adäquate Alternative

PD Dr. Dr. Peer Kämmerer, Mainz

Ob autologer Knochen oder allogenes Knochenersatzmaterial zum Einsatz kommt, macht bei einigen Indikationen kaum einen Unterschied bei vergleichbaren Ergebnissen, während die konventionellen Knochenersatzmaterialien in diesen Fällen weniger gute Resultate zeigen. Dies scheint derzeit wohl nicht für die vertikale Augmentation ab einer gewissen Höhe zu stimmen, da bei ihr deutliche Vorteile des autologen Knochens beobachtet wurden. Allerdings existiert dazu nur eine sehr limitierte Evidenz durch die entsprechenden Studien.

Dass wir keine Entnahmemorbidität haben, ist natürlich der große Vorteil des allogenen Materials, das in großen Mengen aus der Packung entnommen werden kann. Das vielfach befürchtete Infektionsrisiko ist bei dem Material, das wir in Deutschland einsetzen, absolut unwahrscheinlich. Der allogene Knochen ist gereinigt und sterilisiert, bislang gab es keinen einzigen Fall einer Infektion oder einer allergischen, also immunologisch klinisch relevanter Reaktion.

DNA-Reste sind zwar noch enthalten, stören aber nicht. Allogenes Knochenersatzmaterial wird komplett in Eigenknochen umgebaut, wenn auch langsamer als der autologe Knochen. Das erklären wir unseren Patienten auch im Aufklärungsgespräch. Xenogene Materialien resorbieren dagegen deutlich weniger bis gar nicht. Die „toten“ Partikel bleiben immer vor Ort, was natürlich auch von Vorteil sein kann. Es zeigt sich einfach, dass die verschiedenen Materialien eben indikationsabhängig und patientenspezifisch eingesetzt werden sollten. Und so beraten wir die Patienten in unserer Klinik auch.

Je größer und je anspruchsvoller die Defekte werden, desto eher ziehe ich Allografts in Betracht, vor allem, wenn es sich um große laterale Defekte handelt. PD Dr. Dr. Peer Kämmerer

Der einfache, dreiwandige Defekt lässt sich sehr gut mit dem normalen, konventionellen Knochenersatzmaterialien lösen. Auch beim Sinuslift setzen wir weder Allograft noch Autograft, sondern synthetische und bovine Knochenersatzmaterialien ein – vielleicht mit einem geringen Anteil an bei der Präparation der Kavität gewonnenen Eigenknochen. Je größer aber und je anspruchsvoller die Defekte werden, desto eher ziehe ich Allografts in Betracht, vor allem, wenn es sich um große laterale Defekte handelt. Denn die klinischen Ergebnisse sind deutlich positiver. Das bestätigt auch die Literatur.

Mein Fazit: Je anspruchsvoller es wird, desto mehr tendiere ich zu partikulären Allografts und bespreche das mit dem Patienten. Die großen vertikalen Fälle lassen sich am ehesten – wie auch Dr. Dr. Markus Tröltzsch in seinem Review der Literatur schon gezeigt hat – mit autologen Knochenblöcken lösen.

Allografts sind im Vergleich zu normalen Knochenersatzmaterialien natürlich teuer. Doch es ist immer noch billiger, ein teures Material zu nehmen, als nach Misserfolgen mit herkömmlichen Knochenersatzmaterial noch einmal neu augmentieren zu müssen.

– Contra: Ohne ausreichende Datenlage kein Augmentieren mit Allografts!

Dr. Dr. Markus Tröltzsch, Ansbach

Die Diskussion „Allografts versus herkömmliches KEM“ wird sehr emotional geführt. Im Grunde wird kein Material angeboten, das per se nicht funktioniert. Entscheidend ist der indikationsentsprechende Einsatz. Viele Kollegen, die ich kenne und schätze, haben großen Erfolg mit Allografts, so auch PD Dr. Dr. Peer Kämmerer. Aufgrund der unterschiedlichen Aufbereitungsformen, die zum Teil historisch bedingt sind, ist die Datenlage aber sehr heterogen und bei Betrachtung der einzelnen Materialien in zahlreichen Indikationen sehr dünn. Die Evidenz reicht aus meiner Sicht klinisch in vielen Bereichen einfach nicht aus.

Ich persönlich arbeite aufgrund vieler offener Fragen und der Problematik der fehlenden wissenschaftlichen Grundlage nicht mit Allografts. Die Vorteile gegenüber den althergebrachten Materialien sind mir definitiv zu gering. Ausgewählte herkömmliche xenogene und auch synthetische Knochenersatzmaterialien haben dagegen eine hervorragende und langfristige Datenlage.

Bei großen Defekten entscheiden wir uns für autologe Knochenblöcke bzw. die Schalentechnik und nehmen die Entnahmemorbidität in Kauf, oder wir planen eine GBR mit individuell hergestellten Titangittern, vermeiden so den Entnahmedefekt und können hervorragend präzise und schnell arbeiten.

Ich bleibe bei validierten Materialien, auch wenn sich allogenes Knochenersatzmaterial klinisch bewährt haben. Ohne ausreichende Datenlage keine Allografts! Dr. Dr. Markus Tröltzsch

Die Risiken, die durch die Entnahme entstehen, müssen allerdings gerechtfertigt sein. Beim Sinuslift sind sie es beispielsweise eindeutig nicht. Der Sinuslift ist eine Domäne der xenogenen Knochenersatzmaterialien. Idealerweise kann man auf dem Weg in den Sinus, je nachdem, welche Technik man benutzt, Späne sammeln und als autogenen Zusatz einsetzen. Ein zusätzlicher Entnahmedefekt kann beim Sinus nur in Ausnahmefällen akzeptiert werden.

Individualisierte CAD/CAM-Blöcke aus allogenem Material sind für uns keine Alternative, auch wenn die Technik fasziniert: Man kann vorplanen, einen passenden vorgefertigten Block einsetzen. Und später reicht es, einfach nur die Schrauben zu entfernen. Eine tolle Idee. Doch wir wissen nicht, wie sich die allogenen Blöcke entwickeln. Einige Studien zeigen, dass die Einheilung langfristig eher weniger ideal ist.

Betrachtet man also die Evidenz, haben wir für die autogenen Materialien für große laterale und vertikale Augmentationen die beste Datenlage, gefolgt von titanverstärkten Barrieren, gefüllt mit partikularem xenogenem Material im Sinne einer GBR-Technik, und den autogenen Schalentechniken. Für allogene Materialien fehlen uns die langfristigen und wissenschaftlich hochwertigen Untersuchungen. Daher sehe ich im Moment keine Indikation, die einen Allografteinsatz rechtfertigen würde. Ich bleibe bei wissenschaftlich fundierten Materialien. Ohne ausreichende Datenlage kein Augmentieren mit Allografts!


Die Experten

PD Dr. Dr. Peer Kämmerer
Leitender OA/Stellvertretender Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der Universität Mainz.

Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Fachzahnarzt für Oralchirurgie und MKG-Chirurgie, niedergelassen in Zahnärztlicher Gemeinschaftpraxis in Ansbach, Vorsitzender der Akademie Praxis und Wissenschaft der DGZMK