Messung der Kaueffizienz

Kaufunktionstest für die Praxis

Die OREHAB MINDS GmbH bietet ein System, mit dem Zahnärzte in der Praxis die Kaueffizienz der Patienten messen können. Damit verstehen auch ältere Patienten, warum sich aufwendige Restaurationen lohnen. Wie der Kaufunktionstest funktioniert und welche Vorteile er bietet, erklärt Prof. Dr. Gregor Slavicek.


Werner – stock.adobe.com


Was versteht man überhaupt unter oraler Rehabilitation?
Slavicek:
Unter dem Begriff orale Rehabilitation werden oft ganz unterschiedliche rekonstruktive Maßnahmen verstanden. Das Verständnis für die Notwendigkeit solcher Behandlungen fehlt deshalb häufig.

Wie lässt sich die orale Rehabilitation verständlich erläutern?
Slavicek:
Maßnahmen im Rahmen einer oralen Rehabilitation dienen der Wiederherstellung der Funktionen des Kauorgans. An erster Stelle steht die Kaufunktion. Andere Funktionen wie die verbale (Sprache) und nonverbale (Ästhetik und Mimik) Kommunikation, das Zähneknirschen als Teil der Stressverarbeitung sowie Haltung und Balance gehören natürlich ebenfalls dazu. Allein dies zeigt die Komplexität. Schließlich werden alle diese Funktionen über die Okklusion ausgeführt und gesteuert, im Zusammenspiel mit dem neuromuskulären System und den Kiefergelenken. Faszinierend, wenn man bedenkt, wie wenige Quadratzentimeter die Okklusion insgesamt einnimmt – und welch immense positive Wirkungen rekonstruktive Maßnahmen auf Kauorgan, Psyche und Körper haben können. Orale Rehabilitation ist die umfassende Wiederherstellung der Zahnreihen inklusive Okklusion unter primärer Berücksichtigung der okklusalen Funktionen.

Ist orale Rehabilitation daher nur für sehr erfahrene Zahnärzte machbar?
Slavicek:
Die Komplexität ist sicherlich sehr hoch. Doch kommt dies nicht allein dadurch zustande, dass beide Zahnreihen in die Therapie eingebunden werden müssen. Auch orale Rehabilitation kann grundsätzlich als Abfolge von Planung – Vorbehandlung – Präparation von Zähnen – Abformung – Registrierung – Einprobe – Eingliedern gesehen werden. Während jedoch bei kleineren prothetischen Maßnahmen einige Parameter – wie zum Beispiel die Bisslage und die vertikale Dimension – nicht veränderbar sind, müssen diese Parameter bei der Wiederherstellung der Funktionen verändert werden. Also steigt die Entscheidungsnotwendigkeit an. Soll die Bisshöhe verändert werden? Falls ja, um wie viel? Soll die Bisslage verändert werden? Falls ja, welche ist die korrekte therapeutische Position? Wie sollen die okklusalen Parameter eingestellt werden – unter anderem Okklusionsebene, Okklusionsebenenneigung, Okklusionskonzept, Radius der Spee’schen Kurve. Diese Aspekte machen orale Rehabilitationen komplex.

Wie lässt sich das für den Behandler vereinfachen?
Slavicek:
Erhält das behandelnde Team Entscheidungssicherheit, indem die diagnostischen Unterlagen so aufbereitet werden, dass sofort verständliche und umsetzbare Daten und Informationen geliefert werden, so reduziert sich die Komplexität erheblich. Wird dazu noch auf der Basis der festgelegten funktionellen Parameter ein Behandlungsleitfaden festgelegt, so bricht die Komplexität auf und die Umsetzung erfolgt mit zahnärztlicher Routine. Auch einem jungen, nicht so erfahrenen Kollegen traue ich ohne Bedenken zu, einen klaren Behandlungsplan, der die funktionellen Parameter klar verständlich und umsetzbar enthält, zu realisieren. Der Schlüssel liegt in der Aufbereitung diagnostischer Befunde, die zur Logik in Behandlungsabläufen führen.

Welche Auskünfte benötigt der Patient, um die Notwendigkeit einer oralen Rehabilitation zu erkennen und diese noch dazu auf sich oder die Situation seines Angehörigen zu beziehen?
Slavicek:
Es ist eine der schwierigsten medizinischen Aufgaben, fachlich korrekte Informationen so weiterzugeben, dass der Patient diese versteht. Dies gelingt tatsächlich meist nur dann, wenn zu der allgemeinen Information ein persönlicher Bezug entsteht, der verständlich präsentiert wird. Wie kann ein Patient die Funktionen des Kauorgans verstehen? Wie soll ein Patient erfassen, dass eine oder mehrere Funktionen des Kauorgans reduziert sind – wie zum Beispiel eine reduzierte Kauleistung? Bei der Ästhetik ist dies oft kein Problem – die Notwendigkeit wird auf jeder Fotografie oder bei jedem Blick in den Spiegel erkannt. Da muss auch noch ganz klar abgegrenzt werden: Der Verlust oder die Einschränkung von okklusalen Funktionen darf nicht gleichgesetzt werden mit dem klar definierten Krankheitsbild der kranio-mandibulären Dysfunktion (CMD). In diesem Fall erkennt der Patient aufgrund der auftretenden Symptome (Schmerzen, Bewegungseinschränkungen des Unterkiefers etc.) die Notwendigkeit. Hingegen wird eine Einschränkung der Funktionen üblicherweise nicht vom Patienten erkannt. Es gilt daher zu visualisieren – das funktionelle Defizit muss dargestellt werden.

Beispiel eines Kaufunktionstests (© Slavicek)

Wie lässt sich das mit Blick auf die Kaufunktion realisieren?
Slavicek:
Mit einem standardisierten Kaufunktionstest. Ein Zahnverlust kann nur teilweise durch den Zahnersatz kompensiert werden. Und das müssen wir messen. Wesentlich sind dabei zwei Dinge. Erstens: Die Aufbereitung muss auch für einen Laien verständlich und begreifbar sein; und zweitens muss der Patient seine funktionelle Leistung vergleichen können – und zwar mit Normen, die der individuellen Gegebenheit entsprechen. Dazu gehören unter anderem das Alter, das Geschlecht, der Zahnstatus, der prothetische Status. Nur dann wird das Testergebnis den gewünschten Effekt auslösen. Es gilt also: messen – visualisieren – motivieren. Vor zehn Jahren sind die ersten Testkörper produziert worden auf einer Fruchtgummibasis, die mit verschiedenen Zugaben von Gelatine in unterschiedlichen Härtegraden und Größen (1 cm hoch, 2 cm im Durchmesser) vorliegen. Fruchtgummimasse ist aufgrund ihrer Elastizität eine große Herausforderung für das Kauorgan, deshalb werden keine Nüsse und keine Kaugummis zur Testung eingesetzt.

Sie haben auf der IDS einen entsprechenden Test vorgestellt. Wie lässt sich damit die Kaufunktion überprüfen?
Slavicek:
Für einen Kaufunktionstest gibt man dem Patienten etwas zum Kauen: Bei uns sind das Kaufunktionsteile auf der Basis von Fruchtgummi. Anhand von standardisierten Fotografien werden Zahl und Größe der Teile bestimmt. Wichtig ist es, das Ergebnis des Kaufunktionstests in verständlicher Form darzustellen, sodass der Patient direkt sehen und nachvollziehen kann, dass er für eine normale Kaufunktion eine gewisse Zahl an Einzelteilen in einer festgelegten Zeit produzieren muss.

Wie sieht denn ein optimales Ergebnis im Kaufunktionstest aus?
Slavicek:
Grundsätzlich gilt: je mehr Teile, desto besser. Und auch, wenn man nur auf der rechten oder der linken Seite kaut, sollten dabei gleich viele Teile herauskommen. Zusätzlich haben wir noch weiche, mittelharte und harte Teile – bei einem sehr guten Kauvermögen sollten alle Härtegrade gleichmäßig zerkleinert werden.

Was ist das Besondere an diesem Test?
Slavicek:
Neu ist, dass man diesen Test aus der Wissenschaft inzwischen auch in die tägliche Praxis integrieren kann. Die Zahnärzte bekommen von uns eine Box zur Verfügung gestellt, mit der sie eine standardisierte Aufnahme machen können. Anhand dieser Aufnahme kann der Zahnarzt dem Patienten genau zeigen, wie weit er von einem optimalen Ergebnis entfernt ist. So versteht der Patient auch leichter, dass eine neue Prothetik nötig ist. Auf dieser Basis können Patient und Zahnarzt gemeinsam einen Behandlungsplan entwickeln. Der Kaufunktionstest sagt aber noch nicht, wie die Okklusion zu gestalten ist. Das entscheidet der Zahnarzt dann im nächsten Schritt bei der Planung der Restauration.

Welche Folgen kann eine schlechte Kaufunktion für den Patienten haben?
Slavicek:
Unter anderem ist die Vitaminaufnahme reduziert, und es werden mehr Kalorien aufgenommen. Außerdem erhöht sich die Gastritishäufigkeit, und es gibt Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System. Zudem lässt sich bei gutem Kauvermögen ein dementer Verfall verzögern.

 

Der Experte

Prof. Dr. Gregor Slavicek ist Leiter des Steinbeis-Transfer-Instituts Biomedical Interdisciplinary Dentistry, Stuttgart.