Digitale Zahnheilkunde

„Wir müssen lernen, mit der neuen Technik umzugehen”

Digitale Bildgebung und Abformung, 3D-Druck – im Rahmen des World Dental Forum 2017 erklärte Referent Prof. Dr. Bernd Wöstmann (Universität Gießen), wie er die aktuellen Entwicklungen in der Zahnmedizin beurteilt und was in seinen Augen nötig ist, um mit den neuen Methoden gute Ergebnisse zu erzielen.


World Dental Forum

In der Podiumsdiskussion debattierten die internationalen Referenten des World Dental Forum 2017. Dazu gehörten (v.l.n.r.) Dr. Joerd van der Meer, Niederlande, Dr. Francis Coachman (Brasilien) und Prof. Bernd Wöstmann (Deutschland). © Hoffmann


Beim World Dental Forum der Modern Dental Group kamen im Oktober 2017 mehr als 800 interessierte Zahnärzte aus aller Welt in Peking zusammen, um sich über die digitale Zukunft der Zahnmedizin auszutauschen. Das Forum bot ein spannendes Vortragsprogramm mit namhaften Speakern aus verschiedenen Teilen der Erde.
Einer der Referenten war Prof. Dr. Bernd Wöstmann, Direktor der Zahnärztlichen Prothetik am Universitätsklinikum in Gießen. Er befasste sich in seinem Vortrag damit, was mithilfe digitaler Technologien vor allem im Bereich der zahnärztlichen Prothetik heute schon möglich ist. Im Interview sprach er mit dem DENTAL MAGAZIN außerdem über aktuelle Trends und das, was die Zukunft seiner Meinung nach für die Zahnmedizin noch bereit hält. Wöstmann konstatiert in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung der digitalen Technologien längst noch nicht abgeschlossen sei. Verfahren wie das intraorale Scannen brächten aber schon heute Vorteile für Diagnose und Behandlung. Voraussetzung sei dabei jedoch immer, dass der Behandler wisse, wie er mit der Technik umgehen muss, um ein optimales Ergebnis zu erhalten.

Herr Prof. Dr. Wöstmann, welche neuen Erkenntnisse haben Sie auf dem World Dental Forum 2017 mit den Zahnärzten geteilt?
Wöstmann: In diesem Jahr ist vor allem der Digitaldruck in aller Munde gewesen. Auf der IDS in Köln, der größten Dentalmesse weltweit, hatte fast jeder Aussteller einen dentalen Drucker im Gepäck. Ich bin mir nicht sicher, ob sich alle Systeme am Markt halten werden, aber es ist durchaus ein Hype zurzeit. Das Problem daran sehe ich im Material, das zwar gut genug für Schienen, individuelle Löffel und Bissschablonen ist, aber noch nicht für dauerhafte Restaurationen. Zahn‧ersatz ließe sich zwar prinzipiell drucken, allerdings hat das Material noch nicht die erforderliche Qualität für dauerhafte Versorgungen. Wir werden sehen, wohin die Reise geht.

Warum ist Ihrer Meinung nach die Umstellung von herkömmlichen Prozessen in einen digitalen Workflow wichtig?
Wöstmann: Mit digitalen Verfahren können wir verschiedenste Dinge verbessern, nicht nur in der zahnärztlichen Behandlung. Heutzutage arbeitet jeder Zahnarzt in seiner Praxis nach einem eigenen, ganz individuellen Ablauf – mit den Vor- und Nachteilen und allen Problemen. Mit einem digitalen Pfad werden Dinge sehr viel strikter festgelegt. Wenn man diesen festgelegten Arbeitsschritten folgt, werden Ergebnisse viel einfacher reproduzierbar. Der entscheidende Faktor dabei ist nicht, digital zu arbeiten, sondern eine standardisierte Arbeitsweise zu erlangen, um Fehler zu vermeiden. Dies lässt sich am besten durch Automatisierung umsetzen, die jedoch nicht ohne Software und digitale Lösungen im Hintergrund funktioniert. Wenn Sie sich beispielsweise die Autoindustrie ansehen: Die Unternehmen haben ihren Workflow so stark automatisiert und erzielen damit höchste Präzision und Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Dies ist eine der Chancen, die ich auch hier im Modern Dental Lab in Shen‧zhen erkannt habe: Jeder Techniker ist sehr spezialisiert auf seine Aufgabe und erledigt diese in einer hervorragenden Qualität. Wenn man die einzelnen Aufgaben nun über einen digitalen Weg noch weiter standardisiert, kann man die Qualität noch weiter erhöhen. Darüber hinaus haben wir mit den digitalen Verfahren so viel mehr Möglichkeiten als vorher. Denken Sie an die digitale Bildgebung und die aus ihr entstehenden Möglichkeiten für die geführte Implantologie und Chirurgie. Und es gibt noch wesentlich mehr Chancen, die diese Technik bietet.

Wenn Sie die Ergebnisse von konventionellen und digitalen Abformverfahren vergleichen, wo liegen die Unterschiede?
Wöstmann: Derzeit sehe ich in den Ergebnissen keine großen Unterschiede. Die digitalen Systeme haben die Qualität der herkömmlichen Verfahren erreicht. Manchmal übertreffen sie diese, manchmal nicht. Für mich steht momentan beides auf dem gleichen Level. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die digitalen Systeme herkömmliche Arbeitsweisen überholt haben. Ähnlich war es mit den Digitalkameras vor einigen Jahren. Zunächst hat niemand daran geglaubt, dass die Fotos an die Qualität von analogen Kameras wie einer Spiegelreflex herankommen. Heute ist die digitale Fotografie Standard im professionellen und privaten Gebrauch. In der Zahnmedizin wird es genauso sein. Es ist nur schwierig zu sagen, wie lange es dauert.

Sie haben in Ihrem Vortrag auch Probleme bei der digitalen Abformung erwähnt. Welche sind das konkret und wie können Zahnärzte sie vermeiden?
Wöstmann: Wie mit jeder neuen Technik, muss man auch hier lernen, mit ihr umzugehen, wie mit der Bedienung eines Smartphones zum Beispiel. Die digitale Abformung benötigt einfach Training, wie auch die konventionelle Abdrucknahme. Allerdings ist die Lernkurve sehr viel steiler – es geht schneller, sich die Fähigkeiten anzueignen. Heutzutage lernen Studenten die digitale Abformung bereits in den klinischen Kursen. Wenn sie dann in der eigenen Praxis sind, werden sie daran festhalten. Wahrscheinlich braucht es eine Generation von Zahnärzten, bis all die digitalen Technologien in der Praxis angekommen sind.

Wie wichtig ist das Gewebemanagement bei der digitalen und herkömmlichen Abformung?
Wöstmann: Das hängt weniger von der Frage digital oder konventionell ab, sondern vielmehr vom individuellen Fall. Wenn Sie eine leicht zugängliche Behandlungssituation haben, dann ist das Gewebemanagement weniger bedeutsam. Umso schwieriger ist es jedoch bei Situationen im gingivalen Bereich. Ohne adäquates Gewebemanagement können Sie momentan weder mit optischen Scannern noch mit traditioneller Abformmasse einen genauen Abdruck nehmen – denn in beiden Fällen kann nur abgebildet werden, was man auch sieht. Vielleicht wird sich das irgendwann ändern, wenn wir die Magnetresonanz- und Ultraschallverfahren für die digitale Abformung weiterentwickeln. Das Gewebemanagement überflüssig zu machen wäre die größte Chance der beiden Verfahren. Denn ich denke, dort liegt heutzutage der entscheidendste, aber auch anspruchsvollste Arbeitsschritt in der festsitzenden Prothetik und Abformung natürlicher Zähne. Und wenn das Gewebemanagement nicht sorgfältig durchgeführt wird, funktioniert es weder mit einer guten konventionellen Abformtechnik noch mit einem guten Scanner. Mit den Technologien der Zukunft – Ultraschall und MRT – können wir „durch“ das Gewebe hindurchschauen.

Was kann Ihrer Meinung nach das World Dental Forum für den globalen Austausch der Dentalwelt tun?
Wöstmann: Ich glaube, das World Dental Forum ist eine gute Plattform, um Ideen auszutauschen und Ansätze kennenzulernen, die nicht nur die Referenten, sondern auch die teilnehmenden Zahnärzte aus dem Ausland mitbringen. Man kann von den Gesprächen und den Podiumsdiskussionen lernen, wenn man den Fragen der Zahnärzte zuhört. Die Dentalindustrie arbeitet nicht für sich selbst und stellt irgendwelche Produkte her – sie muss den Bedürfnissen der Anwender gerecht werden. Und das World Dental Forum hilft sehr dabei, diese Bedürfnisse besser zu verstehen. Aber natürlich bietet die Veranstaltung auch eine gute Gelegenheit, den Kunden weltweit zu zeigen, was China leisten kann. Industrie und Zahnärzte lernen also voneinander. Ich denke, dass ist auch der Hauptgrund für die meisten, am Forum teilzunehmen.