Füllungsalternativen: Glasionomere im Fokus



Welchen Stellenwert haben Glasionomerzemente zurzeit in Deutschland?

Klinke: Grundsätzlich muss man zwischen unterschiedlichen Einsatzgebieten von Glasionomerzementen (GIZ) unterscheiden. Sie werden derzeit für die Befestigung von Brackets, als Befestigungsmaterial für Wurzelstifte, Kronen und Brücken und in der Kinderzahnheilkunde sowie als modifizierte Variante als Füllungsmaterial verwendet. Im internationalen Vergleich stellen Glasionomerzemente eine gute Füllungsalternative dar, in Deutschland hingegen werden sie laut Stellungnahme der DGZMK lediglich zur provisorischen Versorgung empfohlen, nicht aber als definitives Füllungsmaterial.

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie im Vergleich mit Komposit-Füllungen?

Klinke: Die Hauptvorteile liegen darin, dass keine aufwendige Adhäsivtechnik notwendig ist und dass die Bulk-Fill-Technik angewendet werden kann. Zu den Nachteilen zählen die Farbstabilität, die Oberflächenqualität und -güte und die geringere Festigkeit.

Kann man bei Glasionomerfüllungen tatsächlich von einem echten „Bulk-Filling“ sprechen? Und: Wie sieht das bei Kompositen aus?

Klinke: Unter „Bulk-Technik“ wird eine Fülltechnik verstanden, bei der eine Kavität mit dem Füllungsmaterial vom gereinigten Kavitätengrund kontinuierlich gefüllt wird. Dabei werden vorwiegend plastische Materialen verwendet, die durch Selbstaushärtung in die feste Phase übergehen. Glasionomerbasierte Materialien härten innerhalb der Aushärtungsphase von zwei bis drei Minuten selbstständig aus, ohne dass ein zusätzlicher Polymerisationsschritt – wie bei den Kompositwerkstoffen – notwendig ist. Bei der Aushärtung kommt es zu keinem Schwund wie bei der üblichen Lichtpolymerisation, der die Gefahr der Spaltbildung innerhalb der Verbundzone am Übergang von Füllungsmaterial und Kavitätenwand mit sich bringt.

Die in der ZHK verwendeten Kompositwerkstoffe sind lichthärtende Materialien, so dass nach Befüllung einer Kavität die lichtsensible Radikalbildung erfolgt und zu einer Aushärtung (Polymerisation) führt. Dualhärtende Füllungsmaterialien werden aufgrund der reduzierten Applikationszeit weniger häufig eingesetzt. Die physikalischen Grenzen der Lichtdurchdringung bei der Verarbeitung von Kompositen bedingen, dass nur dünne Schichtstärken schrittweise appliziert und polymerisiert werden können, um den Polymerisationsschrumpf auszugleichen.

Gibt es beim Bulk-Filling auch Risiken?

Klinke: Meist werden meist visköse Materialien verwendet, die ein gutes Fließ- und Adaptionsverhalten zur Oberfläche aufweisen, um die Kavität blasenfrei zu füllen, da ein „Nachstopfen“ bei dieser effektiven Technik unterbleibt. Gerade die Blasenfreiheit stellt bei dieser Technik eine Herausforderung dar.

Auch bei neuen Kompositwerkstoffen werden modifizierte Bulk-Fill-Techniken – bis ca. 4 mm Schichtstärke – verwendet, allerdings vornehmlich mit einem transparenten Material, das die praxisübliche, lichtbasierte Polymerisation ermöglicht. Das ästhetische Aussehen erhält die Füllung durch das Überschichten mit einem eingefärbten Kompositmaterial.

Glasionomere sollen sich besonders für Wurzelkaries eignen, warum?

Klinke: Den Bemühungen der lebenslangen Prophylaxe ist es zu verdanken, dass Zähne auch bis ins höhere Alter erhalten werden können. Dies führt zu einem Anstieg der Wurzelkaries. Derzeit muss laut der deutschlandweiten Gesundheitsstudie festgestellt werden, dass bei älteren Patienten (65 bis 74 Jahre) eine Progredienz der Wurzelkaries von 29 Prozent zu verzeichnen ist. Glasionomere stellen ein gutes Füllungsmaterial für die Behandlung der Wurzelkaries dar. Sie sind unempfindlich gegen Feuchtigkeit, haben einen WAK-Wert entsprechend dem des Dentins, und sie verfügen durch die Fluoridabgabe über eine kariesprotektive Wirkung. Der chemische Verbund zum Wurzeldentin über die Polyarcylsäure stellt eine Alternative zur aufwendigen Adäsivtechnik in diesem schwer zugänglichen Bereich dar.

Die größten Nachteile der Glasionomere liegen in der geringen Biegefestigkeit und Abrasionsresistenz. Coatings sollen das Abrasionsproblem lösen können. Welche aktuellen Studien belegen das?

Klinke: Gerade die Biegefestigkeit ist bei dieser Materialgruppe das Hauptproblem, das in vielen Untersuchungen beschrieben wird. Sie liegt mit ca. 15 bis 20 N/mm² unterhalb der Biegefestigkeit von Kompositfüllungen. Marginale Absplitterungen und Füllungsfrakturen können auch in der auf fünf Jahre angelegten, deutschlandweiten Studie, die durch die Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnheilkunde und medizinische Werkstoffkunde der Universitätsmedizin Greifswald initiiert wurde, beobachtet werden. Wir freuen uns darüber, dass wir mit den Kolleginnen und Kollegen in der Praxis das Material hinsichtlich der Alltagstauglichkeit prüfen können. Im Fall der Fraktur, der Absplitterung oder des Füllungsrisses muss die Indikation der Füllung kritisch hinterfragt werden. Laut Hersteller ist das Material, das als EQUIA seit 2007 im Dentalmarkt für Seitenzahnfüllungen verfügbar ist, für kleine ein- und zweiflächige Füllungen zugelassen. Dabei ist die Füllungsgröße entscheidend, deren Isthmus nicht größer als die Hälfte des Interkuspidalabstands betragen darf. Größere, außerhalb der Indikation liegende Füllungen (im sog. „Off-Label-Use“) haben ein deutlich höheres Frakturrisiko. Viele Untersuchungen durch die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Ulrich Lohbauer, Erlangen, zeigten, dass mit einer adäquaten Verarbeitung des Materials mit dem Aufbringen des nanogefüllten, extrem niedrig viskosen Coatings oberflächliche Porosität und Risse effektiv verschlossen sowie in einem ungestörten Nachhärtungsprozesses die mechanischen Eigenschaften signifikant gesteigert werden konnten.

Sind Glasionomere heute der ideale Amalgamersatz?

Klinke: Betrachten wir die Füllungsmöglichkeiten im Seitenzahnbereich, so hat sich die Häufigkeit der Versorgung mit Amalgam deutlich zu den weitaus ästhetischeren Versorgungen mit qualitativ hochwertigen Kompositen oder indirekten Füllungen hin verschoben. Im Sinne einer als „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „notwendig“ bezeichneten Versorgung wird von den Krankenkassen eine „Regelversorgung“ mit Amalgamen empfohlen. Gerade die ästhetischen Versorgungsoptionen bedürfen durch die aufwendigere Technik immer noch der Zuzahlung durch den Patienten. Füllungsmaterialien auf der Basis der Glasionomere stellen meines Erachtens keinen Amalgamersatz dar. Sie sind vielmehr eine zusätzliche Füllungsalternative, die es dem Praktiker erlaubt, aus der Vielfalt der Füllungsmaterialien ein Material zu wählen, das der Indikation, dem Wunsch und nicht zuletzt den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Patienten entspricht.

 Dr. Thomas Klinke
ist OA an der Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnheilkunde und medizinische Werkstoffkunde der Universitätsmedizin Greifswald und Leiter einer deutschlandweit angelegten Fünfjahresstudie. Er sprach mit dem DENTAL MAGAZIN über das neue Studiendesign und die Bedeutung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis.
Kontakt: klinke@uni-greifswald.de