Rezessionsdeckung

Koronaler Verschiebelappen oder Tunneltechnik?

Für Rezessionen, die nicht deutlich über die mukogingivale Grenze hinausgehen, empfiehlt Dr. Jochen Tunkel stets den koronalen Verschiebelappen. Die Technik sei einfach und für Zahnärzte geeignet, die erste Schritte auf dem Gebiet der Rezessionsdeckung machen wollen, erklärt er im Interview mit dem DENTAL MAGAZIN. Aber auch tiefe und multiple Rezessionen lassen sich mit der koronalen Verschiebung decken.


Rezessionsdeckung koronaler Verschiebelappen Ausgangssituation

Ausgangssituation im Oberkiefer mit Cairo-Klasse-I-Rezessionen, die nicht über die mukogingivale Grenze hinausgehen. © Tunkel (8 Bilder)


Herr Dr. Tunkel, warum favorisieren Sie zur Rezessionsdeckung den koronalen Verschiebelappen?

Tunkel: Der koronale Verschiebelappen ist deutlich einfacher zu präparieren als die Tunneltechnik. Und mit Blick auf die Invasivität unterscheiden sich die beiden Techniken nur marginal. Denn ein koronaler Verschiebelappen funktioniert bei der Rezessionsdeckung auch ohne Entlastung.

Meinen Sie ohne Entlastungsschnitte? Bitte konkretisieren Sie das.

Tunkel: Richtig. Heute wird nach der von Zucchelli beschriebenen Methode komplett auf Entlastungsinzisionen verzichtet. Das garantiert Narbenfreiheit, und die Ergebnisse sind genauso gut wie mit Inzisionen. Zudem kommt es deutlich seltener zu Schwellungen im Gesicht. Die Durchführung, speziell die Lappenbildung, ist einfach sauberer und die Ergebnisse sind besser. Auch Studien zeigen etwas bessere Resultate bei der koronalen Verschiebung als beim Tunnel.

Welche zum Beispiel?

Tunkel: Zwei schöne klinische Studien von Salhi aus dem Jahr 2014 und Santamaria aus 2016 haben übereinstimmend gezeigt, dass die mittlere Wurzeldeckung, vor allem aber der Anteil der vollständigen Wurzeldeckungen, beim koronalen Veschiebelappen höher liegt als bei der Tunneltechnik.


Ihr Tipp für Newcomer?

Tunkel: Ich empfehle Kollegen, mit ihrer ersten koronalen Verschiebung im Oberkiefer zu starten. Das ist einfacher, da das Gewebe dicker ist. Weder die Tunneltechnik noch die laterale Verschiebung halte ich für anfängergerecht. Beide Techniken sind deutlich aufwendiger als der koronale Verschiebelappen.

Für welche Indikationen eignet sich ein koronaler Verschiebelappen zur Rezessionsdeckung am besten?

Tunkel: Grundsätzlich für alle Cairo-Klasse-I-Rezessionen, die nicht über die mukogingivale Grenze hinausgehen, so dass sich keratinisiertes Gewebe auch wirklich nach oben verschieben lässt.

<strong>Aus Miller-Klasse wird Cairo</strong>

Cairo I = Miller-Klasse I & Miller-Klasse II

  • Miller-Klasse I: Die Rezession reicht nicht bis zur mukogingivalen Grenze. Interdentales Gewebe (Weichgewebe, Knochen) ist nicht verloren. Eine vollständige Wurzelabdeckung wird erwartet. Prognose: sehr gut
  • Miller-Klasse II: Die Rezession erreicht oder überschreitet die mukogingivale Grenze. Interdentales Gewebe (Weichgewebe, ‧Knochen) ist nicht betroffen. Eine weitgehende Wurzelabdeckung kann therapeutisch erreicht werden.

Cairo II = Miller-Klasse III

  • Miller-Klasse III: Die Rezession erreicht oder überschreitet die mukogingivale Grenze; sie zeigt einen leichten approximalen Gewebeverlust (partieller Verlust der Interdentalpapille). Daher ist die vollständige Abdeckung der Wurzeloberfläche ausgeschlossen, partielle Deckung möglich.

Cairo III = Miller-Klasse IV

  • Miller-Klasse IV: Schwere Rezession, die teilweise weit über die mukogingivale Grenze reicht, mit einem gleichzeitigen Weich- wie Hartgewebeverlust, meist um den ganzen Zahn herum. Eine chirurgische Bedeckung der Wurzeloberfläche ist nicht zu erwarten.

Ist die Indikationsbreite damit schmaler als bei der Tunneltechnik?

Tunkel: Nein, die Indikationsbreite ist im Großen und Ganzen identisch.

Die Tunneltechnik wird heute allerdings ausgedehnt auf Miller-Klasse-II- und sogar auf Klasse-III-Rezessionen, also auf Rezessionen mit Attachmentverlust …

Tunkel: Richtig, aber in der klassischen Indikation, der Miller-Klasse I, die ich auch empfehle, lassen sich beide Techniken anwenden. Und weil die Verschiebetechnik einfacher und genauso minimalinvasiv ist, rate ich auch bei tiefen Rezessionen zur koronalen Verschiebelappentechnik kombiniert mit Emdogain und Bindegewebstransplantat – vorausgesetzt, es ist noch keratinisierte Gingiva vorhanden.

<strong>Auf einen Blick</strong>
  • Beim koronalen Verschiebelappen wird das Zahnfleisch aus Richtung der Wurzelspitze zur Zahnkrone gezogen. Voraussetzung dafür ist eine ausreichend breite und befestigte Gingiva unterhalb der Rezession. Ein koronaler Verschiebelappen eignet sich dann auch für die Rezessionsdeckung bei multiplen und tiefen Rezessionen.
  • Eine klassische Periostschlitzung entfällt; man arbeitet unterhalb der mukogingivalen Grenze teilschichtig, um das Gewebe zu mobilisieren.
  • Die Tunneltechnik und die laterale Verschiebung sind deutlich aufwendiger als die koronale Verschiebetechnik.
  • Der koronale Verschiebelappen wird in der Regel mit Emdogain und einem Bindegewebstransplantat kombiniert
  • Als alleinige Technik wird die koronale Verschiebung in der Praxis kaum eingesetzt.

Der Experte

Dr. Jochen Tunkel
ist seit 2007 niedergelassen in spezialisierter Praxis für Parodontologie, Implantologie & Oralchirurgie zusammen mit Dr. Carolin Tunkel, Fachzahnärztin für Kieferorthopädie, in Bad Oeynhausen, Ostwestfalen.