Leserbrief zum beitrag „Unrichtige Diagnose“

„Unrichtige Diagnose“ – Vorwerfbar oder nicht?

Das Landgericht Zwickau hat sich mit Urteil vom 03.08.2020, Az.1 O 349/16, mit der Abgrenzung eines groben Diagnosefehlers im Sinne einer elementar unzutreffenden Fehlleistung bei der Diagnosestellung zu einem einfachen Diagnosefehler befasst, wie wir im DENTAL MAGAZIN 4/2021 berichteten. Die Autorin hat den beklagten Zahnarzt in beiden Verfahren vertreten.


Relevant für den positiven Ausgang der Verfahren war die Tatsache, dass mehrfach die Vitalität des Zahnes 47 überprüft und das Ergebnis dokumentiert worden ist. © Getty Images/Stockdisc


Der beklagte Zahnarzt hatte im März 2010 zwei Kronen 46 und 47 angefertigt. Aufgrund Entzündungen an den Wurzelspitzen wurden der Zahn 46 im April 2010 und der Zahn 47 im Juli 2010 entfernt. Mit der im Jahr 2016 eingelegten Klage wurde neben einem Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 € der Ersatz für die Kosten einer Implantatversorgung im Unterkiefer rechts gefordert. Der gerichtlich bestellte Sachverständige, Direktor eines Universitätsklinikums, hatte auf den OPG Aufnahmen aus August 2009 und April 2010 für beide Zähne 46 und 47 eine periapikale Aufhellung im Bereich der Wurzelspitzen erkannt.

Vitalitätsprüfung sprach gegen Parodontitis

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Ursache für den Verlust der Zähne 46 und 47 durch eine bereits zum Zeitpunkt der Überkronung bestehende, aber noch nicht entdeckte, Parodontitis apicalis war. Die röntgenologisch erkennbaren Anzeichen der Entzündungen seien übersehen worden. Eine Diagnose ergebe sich allerdings nicht nur aus der isolierten Analyse der Röntgenbilder, sondern auch aus den erhobenen klinischen Untersuchungen. Da der beklagte Zahnarzt mehrfach eine positive Vitalität des Zahnes 47 festgestellt und dokumentiert hatte, sei die Vermutung einer Parodontitis apicalis eher fernliegend. Ferner hieß es:

„Von einem grob unverständlichen Fehlverhalten im Sinne eines groben Diagnosefehlers wäre erst dann auszugehen gewesen, wenn kumulativ nicht nur die Röntgendiagnostik, sondern auch die klinische Untersuchung eindeutig in Richtung einer Parodontitis apicalis gewiesen hätte. Dieses hätte vorausgesetzt, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Schwellung sichtbar und die Vitalitätsprüfung negativ gewesen wäre. Auf dem Röntgenbild hätten die Aufhellungen im Wurzelbereich der Zähne 46 und 47 nicht nur angedeutet, sondern auch deutlich erkennbar sein müssen. In der Zusammenschau dieser Befunde hätte sich hieraus ein nicht zu übersehender Hinweis auf eine Parodontitis apicalis ergeben. Keines dieser drei Elemente lag jedoch schon 2009 und damit erst recht nicht kumulativ vor.“

Ergebnisse dokumentieren

Die Klage wurde abgewiesen. Das OLG Dresden hat die von der Klägerin eingelegte Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen (siehe Dental Magazin 2021 39 (4), S. 46–47).

Die Autorin hat den beklagten Zahnarzt in beiden Verfahren vertreten. Relevant für den positiven Ausgang der Verfahren war die Tatsache, dass mehrfach die Vitalität des Zahnes 47 überprüft und das Ergebnis dokumentiert worden ist. Richtigerweise führt das Landgericht aus, dass für eine Diagnose neben Röntgenbildern die klinischen Befunde berücksichtigt werden müssen. Eine Berücksichtigung kann jedoch nur erfolgen, wenn die klinischen Befunde auch dokumentiert sind.


Die Expertin

Foto: rehborn

Dr. jur. Dr. med. dent Astrid Windels-Pietzsch
ist als Rechtsanwältin in der Kanzlei rehborn.rechtsanwälte GbR in Dortmund tätig. Sie war als Zahnärztin von 1997 bis 1998 in eigener Praxis in Bochum niedergelassen.
vorz.a.windels-pietzsch@rehborn.com