Sozialversicherungspflicht bei der Gemeinschaftspraxis?

Augen auf bei Gesellschaftsverträgen

Achtung: Laut aktuellem Gerichtsbeschluss kann trotz vertragszahnärztlicher Zulassung und Genehmigung der Gemeinschaftspraxis eine Sozialversicherungspflicht für einzelne Gesellschafter bestehen.



Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat am 23. November 2016 (Az.: L 5 R 1176/15) eine Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg bestätigt, wonach die rechtliche Einordnung einer Tätigkeit nach dem Vertrags(zahn)arztrecht beziehungsweise nach dem (zahn)ärztlichen Berufsrecht keine Bindungswirkung für die Festlegung des sozialversicherungsrechtlichen Status hat. So kann von einer Genehmigung für eine vertragszahnärztliche Gemeinschaftspraxis nicht darauf geschlossen werden, ob einzelne Gesellschafter selbstständig oder abhängig beschäftigt sind.

13 400 Euro Nachforderung

Verhandelt wurde die Klage eines Zahnarztes, die sich gegen eine Nachforderung von Sozialabgaben in Höhe von knapp 13 400 Euro richtete. Diese Summe sollte der Zahnarzt nach einer Betriebsprüfung für eine Zahnärztin zahlen, die er bis dato, entsprechend dem mit ihr geschlossenen Gesellschaftsvertrag, als Gesellschafterin mit 30-prozentiger Gewinnbeteiligung verstand. Der zuständige Sozialversicherungsträger ordnete seine Kollegin jedoch nicht als selbstständig Tätige, sondern als Beschäftigte des Klägers ein, wodurch rückwirkend die Sozialabgaben fällig wurden. Nach Ansicht des Klägers sei für die Einordnung ausschließlich das Vertragszahnarztrecht beziehungsweise das zahnärztliche Berufsrecht relevant. Dem widersprach das Gericht. Entscheidend sind die allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung zwischen beschäftigten und selbstständigen Tätigkeiten, die in § 7 Abs. 1 SGB IV normiert sind. Untergeordnet können dabei Aspekte aus dem Vertrags(zahn)arztrecht und aus dem (zahn)ärztlichen Berufsrecht, wie hier die Genehmigung für eine vertragszahnärztliche Gemeinschaftspraxis, berücksichtigt werden.

Nach § 7 Abs. 1 SGB IV spricht für eine selbstständige Tätigkeit, dass ein eigenes Unternehmerrisiko getragen wird, eine eigene Betriebsstätte vorhanden ist und dass die Tätigkeit und Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestaltet werden können. Für eine abhängige Beschäftigung hingegen, dass der Beschäftige in die betriebliche Organisation eingegliedert ist und die Weisungsbefugnis über Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit bei einer anderen Person (dem Arbeitgeber) liegt.

Wann beginnt Abhängigkeit?

Unterlegt man diese Kriterien im vorliegenden Sachverhalt der Ausgestaltung des Gemeinschaftspraxisvertrags, so lässt sich die Einordnung der Kollegin des Klägers als abhängige Beschäftigte nachvollziehen: Die gesamte Praxiseinrichtung gehört zum Sondervermögen des Klägers, wodurch seine Kollegin das Inventar kostenlos und ohne Kapitalrisiko nutzen kann. Die laufenden Kosten und die Begleichung sämtlicher Praxisausgaben obliegen dem Kläger, die dieser aus seinem 70-prozentigen Gewinnanteil bezahlt, sodass die Zahnärztin auch kein Unternehmensrisiko trägt. Der festgelegte 30-prozentige Honoraranteil begründet kein Unternehmensrisiko, da auch abhängig Beschäftigte in manchen Fällen durch mehr oder weniger Arbeit ein höheres oder niedrigeres Arbeitsentgelt erhalten. Zwar hat die Zahnärztin ihre Tätigkeit frei von Weisungen ausgeübt, aber das ist auch bei angestellten Ärzten generell der Fall. Die Abrechnung erfolgt ausschließlich durch den Kläger, wodurch die Zahnärztin im Außenverhältnis gegenüber Patienten, Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen nicht in Erscheinung tritt. Im Weiteren würde im Falle einer Kündigung einer Vertragspartei stets die Zahnärztin ausscheiden, wobei ihre Zulassung darüber hinaus in der Gemeinschaftspraxis verbliebe. Schließlich darf die Kollegin ihre Dienste nicht auf Dritte delegieren und im Krankheitsfall werden Vertreter allein durch den Kläger ausgewählt. Diese Eckpunkte des Sachverhalts zeigen, dass die Zahnärztin eher in eine fremde Betriebsorganisation eingebunden ist, statt selbstständig neben dem Kläger zu agieren.

Aus all dem folgt im Allgemeinen, dass eine Zulassung einer Gemeinschaftspraxis kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen einer abhängigen oder einer selbstständigen Tätigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts ist, sondern allenfalls bei der Anwendung der allgemeinen und entscheidenden Kriterien nach § 7 Abs.1 SGB IV Berücksichtigung finden kann.

Scheingesellschaftsstellung

Zu verweisen ist an dieser Stelle auch auf zwei Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. November 2015 (Az. VIII R 62/13 und VIII R 63/13). Der BFH nahm in diesen Verfahren eine Scheingesellschaftsstellung an, obwohl die Gemeinschaftspraxis vom Zulassungsausschuss genehmigt war. In dem einen Urteil wurde die betreffende Gesellschafterin daher nicht als Mitunternehmerin angesehen (Az. VIII R 63/13). Im anderen Urteil wurden die von der betreffenden Gesellschafterin erwirtschafteten Einkünfte für die anderen Gesellschafter als gewerblich eingestuft (Az. VIII R 63/13, siehe auch Karch in: Dentalmagazin 2016; 34 (7)).

Strafrechtliche Risiken

Es bleibt festzuhalten, dass bei der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen für Berufsausübungsgemeinschaften den oben beschriebenen Aspekte allergrößte Aufmerksamkeit zu widmen ist. Andernfalls drohen Sozialversicherungsnachforderungen (LSG BW L 5 R 1176/15), die Rückforderung von Honoraren (BSG Urt. v. 23.06.2010, Az.: 6 KA 7/09 R), die Zahlung von Gewerbesteuer (BFH Urt. v. 03.11.2015, Az. VIII R62/13) und nicht zuletzt drohen auch strafrechtliche Risiken wie der Vorwurf des Vorenthaltens von Arbeitsentgelten (§ 266a StGB) oder des (Abrechnungs-)Betrugs (§ 263 StGB).

RA Jens-Peter Jahn
ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei DR. HALBE RECHTSANWÄLTE in Köln mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im Zahnarztrecht.
koeln@medizin-recht.com