Aus Beratersicht (Teil 28)

Tabuthema Überforderung

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Was die Großmutter schon wusste, kann nicht völlig falsch sein – oder? Tatsächlich sind Ausdauer und Zielstrebigkeit Voraussetzungen dafür, dass ein berufliches Unterfangen gelingt. Doch gerade Zahnärzte müssen, genau wie andere Selbstständige, oft erst am eigenen Leib erfahren, dass es sich rächt, die eigenen Bedürfnisse zu lange hintanzustellen. Mit einfachen Methoden zum Zeitmanagement kann der Praxisinhaber Zeitressourcen erschließen.


Überarbeitung

© Gina Sanders/fotolia


Work-Life-Balance“ lautet der Fachbegriff für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben. Für den Zahnarzt als Betreiber einer Praxis bedeutet dies vor allem eines: Er muss seine Beziehungen zu Mitarbeitern, Patienten und Familie so gestalten, dass er neben seinen vielen Pflichten Zeit für einen Ausgleich zum Beruf generieren kann.

Zahnärzte sind ohnehin bestimmten Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die vorwiegend mit der einseitigen Körperhaltung bei der Patientenbehandlung zusammenhängen. So gehören gravierende Wirbelsäulenschäden zu den häufigsten Gründen, warum Zahnmediziner ihren Beruf aufgeben müssen.

Burnout-Syndrom auch in den Heilberufen

Immer häufiger rücken in der Branche jedoch auch seelische Erkrankungen in den Mittelpunkt des Interesses. Permanente Überforderung führt zu den Symptomen des Burnout-Syndroms mit der bekannten Trias aus emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und Leistungseinbrüchen, was die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen stark beeinträchtigt. Das früher als typische „Managerkrankheit“ wahrgenommene Burnout-Syndrom ist inzwischen auch in den Heilberufen weit verbreitet. Erschwert wird diese Entwicklung durch eine Besonderheit: In dieser Berufsgruppe ist das Thema ein Tabu. Die Erkrankten verschanzen sich regelrecht hinter einer Wand aus Schweigen und Schamgefühl. Müssten sie doch eigentlich für ihre Patienten da sein und nicht selbst medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.

Keine Zeit fürs „Zeitmanagement“

Die Erkenntnis, dass Zeit ein kostbares Gut ist, wird so manchem Praxischef bewusst, wenn er versucht, zwischen Behandlungsstuhl und Schreibtisch noch seiner Familie, Freunden oder einfach nur sich selbst gerecht zu werden. Dennoch sind die dafür erforderlichen Stunden unbedingt nötig, um langfristig körperlichen und seelischen Schäden vorzubeugen. Gefragt ist also das vielbeschworene „Zeitmanagement“. Wer jetzt denkt „Für Zeitmanagement habe ich keine Zeit“, hat in gewisser Weise recht, denn die Faustregel lautet: Der Vorgang selbst muss im richtigen Verhältnis zum geschaffenen zeitlichen Freiraum stehen. Deshalb gilt der Grundsatz: „Keep it simple!“

Gut, dass effektive Methoden zum Zeitmanagement ebenso erlernbar sind wie komplexe Operationstechniken oder Bildbearbeitungsprogramme für Röntgenaufnahmen. Deshalb ermutigen Spezialisten, wie die OPTI Zahnarztberatung GmbH, ihre Kunden häufig, Schulungsveranstaltungen zum Thema Work-Life-Balance zu besuchen, die von Arbeitspsychologen geleitet werden. Idealerweise verfügen die Referenten über Erfahrungen in der Heilberufebranche und wissen deshalb um die besondere Situation. Die zunehmende Zahl gesetzlich geforderter Pflichten und wachsende Konkurrenz verschärfen den Leistungsdruck in den Praxen.

Gebirge und Präsident

Unter den bekannten Methoden zum Zeitmanagement finden sich einige, die sich bestens zur Umsetzung in der Zahnarztpraxis eignen. So zum Beispiel die „ALPEN-Methode“ für eine realistische Tagesplanung. Der Name ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben der einzelnen Schritte:

  • Aktivitäten und Aufgaben notieren
  • Länge, also Zeitdauer, abschätzen
  • Pufferzeit reservieren
  • Entscheidungen über Weglassen, Prioritäten etc. treffen
  • Nachkontrolle bzw. Unerledigtes auf morgen übertragen

Bei der „ALPEN-Methode“ ist es wichtig, alle anfallenden Tagesaufgaben schriftlich zu notieren – mit dem konkret erforderlichen Zeitbedarf und angemessenen Pufferzeiten. Die nun folgende Entscheidung über die Prioritäten macht den Erfolg des Zeitplans aus. Der häufigste Stolperstein dabei liegt in der menschlichen Natur. Wer ungeliebte Pflichten zugunsten von Aufgaben, die er gerne erledigt, aufschiebt, hebt die Wirksamkeit der Methode auf. Die Nachkontrolle dient auch dazu, genau dies zu vermeiden. Das mag mühsam erscheinen, aber die Vorgehensweise ist leicht zu verinnerlichen, so dass der geübte Anwender meist nur noch die wichtigsten Tätigkeiten aufschreiben muss.

Eisenhowers Methode

Ebenfalls bewährt hat sich eine Technik zum Selbstmanagement, die nach ihrem Erfinder, Dwight Eisenhower, benannt ist. Der ehemalige amerikanische Präsident gehörte vermutlich zu den Menschen mit einer Dominanz der linken Gehirnhälfte. Solche „Linkshirner“ haben eine Vorliebe für Logik und treffen Entscheidungen vorzugsweise auf der Basis von Zahlen, Daten und Fakten. To-do-Listen und klare Strukturen helfen ihnen, ihren Alltag zu organisieren.

Damit Eisenhowers Methode auch bei Menschen mit eher geringer Neigung zur Selbstorganisation funktioniert, ist diese sehr einfach aufgebaut: Die anfallenden Aufgaben werden zunächst in die Kategorien „wichtig“ und „unwichtig“ sowie „eilig“ und „nicht eilig“ eingeteilt. Grafisch umgesetzt entsteht ein Koordinatensystem mit vier Feldern: Wichtig, Unwichtig, Eilig und Nicht eilig. Die unwichtigen, nicht eiligen Aufgaben können erledigt werden, wenn die Zeitressourcen komfortabel sind. Eilige, weniger wichtige Aufgaben werden delegiert, während wichtige, nicht eilige Pflichten im Kalender eingetragen werden. Wichtige und eilige Aufgaben sollte der Zahnarzt noch am selben Tag erledigen.

„Stille Stunde“

Ohne Koordinaten und Listen kommt das Prinzip der sogenannten „stillen Stunde“ aus. Selbst wenn der Praxischef konkret nur eine halbe Stunde für diese Methode veranschlagt, kann sie zu sehr guten Ergebnissen führen – vorausgesetzt, er praktiziert sie im wörtlichen Sinne.

Das bedeutet, er muss sicherstellen, dass Beeinträchtigungen wie Telefonanrufe oder Anfragen jeglicher Art während der „stillen Stunde“ zuverlässig abgeblockt werden. Nur wenn ihn sein Team und seine Kollegen dabei unterstützen, kann er sich innerhalb der festgelegten Zeit Aufgaben widmen, die seine volle Konzentration erfordern. Der Zahnarzt weiß selbst am besten, welche Uhrzeit besonders gut geeignet ist. Dabei können sowohl die Abläufe in der Praxis als auch die individuelle Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen. Diese Stunde ist kostbar und sollte deshalb nicht für „Lieblingsaufgaben“ verschwendet werden.

Eigene Werte prüfen

Fest steht, dass der Zahnarzt Zeitressourcen erschließen und Belastungen reduzieren muss. Wie viel Ausgleich zur Arbeit genau nötig ist und welche Aktivitäten sich dazu eignen, kann wiederum individuell sehr verschieden sein. Der Praxischef muss in sich gehen und seine Werte überprüfen. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von Freundschaft, Familie oder „anderen zur Seite stehen“ bis hin zu Autorität oder Wettbewerb. Ob ein Zahnarzt also seinen Gegenpol zum Praxisalltag in einer bestimmten Sportart findet, sich besonders intensiv seinen Kindern widmet oder sich im Rahmen eines Ehrenamts engagiert, bleibt ihm überlassen, solange der Ausgleich Zufriedenheit herbeiführt.

Alles in Balance

Arbeitspsychologen sehen den Schlüssel zu einer guten Work-Life-Balance in einem Gleichgewicht zwischen zentralen Lebensbereichen. Dazu zählen beispielsweise Arbeit und Finanzen, Soziales, Gesundheit und Fitness, Spiritualität oder Altruismus. Sind ein oder mehrere Bereiche unzureichend besetzt oder im Ungleichgewicht, kann dieser Zustand langfristig zum Risikofaktor werden.

Den Betroffenen fällt es schwer, sich selbst zu motivieren, sie zweifeln am Sinn ihres beruflichen und privaten Daseins oder entwickeln im schlimmsten Fall eine Depression. Wenn der Zahnarzt sich fühlt, als passten die einzelnen Komponenten seines Lebens nicht mehr zueinander, ist es höchste Zeit, sich aktiv um die eigene Psychohygiene zu kümmern.

Denn wer in zentralen Lebensbereichen Neues dazulernt, gewinnt zusätzliche Einblicke und Impulse, die er auch in den Praxisalltag einbringt. Stellt er die richtigen Fragen an sich selbst, wird es ihm gelingen, Freude am Leben wieder bewusst wahrzunehmen – ein wichtiger Schritt zum Gleichgewicht zwischen Privat- und Berufsleben.

Thies Harbeck
leitet als Mitglied der Geschäftsleitung das operative Geschäft der OPTI Zahnarztberatung GmbH. OPTI unterstützt Praxen deutschlandweit in den Bereichen Betriebswirtschaft, Organisation, Marketing, Praxisanalyse, Führung und Personal.
harbeck@opti-zahnarztberatung.de