Auch beim Zahnarzt entscheidet das Bauchgefühl

Die Macht der Sinne

Die sogenannten Markenerlebnisse werden immer wichtiger, wird doch ein Großteil der Kaufentscheide durch das Bauchgefühl mitbestimmt. Genau diese subjektive Wahrnehmung ist auch in der Zahnmedizin von zunehmender Bedeutung. Deshalb empfiehlt es sich, die fünf Sinne gezielt positiv anzusprechen.



Der Artikel „So werden ihre Patienten zufriedener“ (DENTAL MAGAZIN, Ausgabe 2/2017) berichtete über die Patientenzufriedenheit als Voraussetzung für eine effektive Mundpropaganda und, in Folge, über ihre zunehmende Bedeutung als Erfolgsfaktor für Zahnarztpraxen. Entscheidend dabei war und ist die subjektive Wahrnehmung der Patienten während ihrer Besuche beim Zahnarzt. Diese individuellen Sinneseindrücke werden in der heutigen Zeit immer wichtiger – und sollen daher genauer beleuchtet werden.

Qualität statt Quantität

Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller dreht. Aus dem Medienkonsum von einst ist heute ein wahrer Medien-Tsunami geworden, bei dem täglich Tausende Botschaften auf uns einstürzen. Netzhaut und Hirnzellen filtern, zum Glück ganz ohne unser Bewusstsein, diesen Schwall an Informationen, trotzdem bleibt immer noch eine Flut an Nachrichten übrig, die auf uns einprasselt und uns ermüdet: TV-Spots und Radiojingles, Plakatwerbung und Inserate, Spam-Mails und Pop-ups, Werbeanrufe und Whats Apps – bis man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht. Die Überreizung der Menschen durch die große Auswahl an Produkten und Dienstleistungen, gepaart mit dieser Mediensättigung, hat in den vergangenen Jahren zu einem Umdenken bei den Marketing- und Werbeprofis geführt. Qualität statt Quantität beim Kundenkontakt lautet mehr denn je die Devise.

Brand Experience

Entstanden ist so der Begriff der „Brand Experience“, also des Markenerlebnisses, mit dem Unternehmen versuchen ihre Kunden zu binden. Dabei sollen rationale Kaufargumente wie Preis, Qualität oder Garantien durch ein emotionales Umfeld ergänzt werden mit dem Ziel, auch das Bauchgefühl der Konsumenten anzusprechen.

Gutes Beispiel dafür sind die weltweit mehr als 15 000 Starbucks Coffee Houses, in denen der Kaffee nicht einfach verkauft, sondern richtiggehend zelebriert wird – mit einer breiten Auswahl an Kaffeesorten und Röstereien, die den Duft bis nach draußen tragen, und gemütlichen Inneneinrichtungen, die zum Verweilen einladen. In seiner Philosophie spricht Starbucks denn auch davon, dass es sich bei den Coffee Houses um Häfen handelt, die Zuflucht vor den Alltagssorgen bieten, und um Orte, an denen man sich mit Freunden trifft. Hierzulande bewusst auf Gefühle und Wohlbehagen setzen aber auch jene Supermärkte, die zum Beispiel die Heißluftöfen, mit denen das Brot aufgebacken wird, aus den Hinterräumen rein in die Ladenflächen geholt haben.

„Eisberg-Theorie“

Schließlich wissen die Betreiber ganz genau, dass der überaus angenehme Duft von frischen Backwaren die Kaufstimmung steigert. Sie reagieren damit exakt auf das, was Psychologen schon lange wissen, nämlich, dass die Gefühlswelt bei den Kaufentscheidungen eine weitaus wichtigere Rolle spielt, als manchem bewusst ist oder er zugeben will. Warum sonst gibt es, um nur ein Beispiel zu nennen, vom Golf GTI ganze 36 verschiedene Farbvarianten? Auf rationale Argumente wie etwa Technik oder Fahrkomfort hat die Außenlackierung nun wirklich keinen Einfluss, auf die ungewollte Sinneswahrnehmung und das Bauchgefühl dafür umso mehr.
Auch wenn wir nie in der Arktis im Urlaub gewesen sind, so wissen wir doch, dass bei einem Eisberg nur die Spitze aus dem Wasser ragt, während der Großteil unter der Wasseroberfläche liegt. Genauso sieht es mit den Beweggründen des Menschen aus! Die sogenannte „Eisberg-Theorie“, die auf den Erkenntnissen von Sigmund Freud aufbaut, besagt denn auch, dass der Großteil der menschlichen Beweggründe und Entscheidungen stark von unbewussten Gefühlen beeinflusst wird. Ratio versus Emotio, Verstand versus Bauchgefühl.

Das Unterbewusstsein

Es mag zwar wie eine Binsenwahrheit klingen, es ist aber trotzdem überaus relevant: Emotionen stehen in direkter Korrelation mit den Sinnenwahrnehmungen des Menschen. Welche Einflüsse unsere fünf Sinne auf das Kaufverhalten haben, hat zum Beispiel die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zusammen mit der Marketingagentur Brandpuls untersucht.

Diese Studie wurde zwar nicht explizit für den Dentalmarkt erarbeitet, trotzdem sind die Resultate auch für Zahnarztpraxen durchaus interessant und regen zur Reflexion an: Wie wichtig sind die Gefühle des Patienten, wenn es etwa um die Vertrauensbildung zum Zahnarzt geht? Welchen Einfluss haben das Unterbewusstsein und das Bauchgefühl auf die Akzeptanz von Kostenvoranschlägen?

Versuchen Unternehmen und Marken mittels der „Brand Experience“ emotionale Bande zu ihren potenziellen Kunden aufzubauen, so sind diese (unbewussten) Sinneswahrnehmungen für die Dentalpatienten noch einen Tick wichtiger. Denn, man mag es wahrhaben oder nicht, der Besuch beim Zahnarzt ist für 99,9 Prozent der Patienten emotional negativ besetzt.

Angenehm wie möglich

Gerade in einem negativ geladenen Umfeld sind die Menschen besonders feinfühlig und ihre Sinne sind besonders wach. Genau aus diesem Grund sollte man sich mit den Gefühlseindrücken seiner Patienten auseinandersetzen und bewusst alles daran setzen, den Praxisbesuch so angenehm wie möglich zu gestalten – und zwar für alle fünf Sinne.

Damit werden nicht nur die subjektive Wahrnehmung und die Zufriedenheit des Patienten und somit die Möglichkeit erfolgreicher Mundpropaganda gefördert, sondern auch das Unterbewusstsein wird positiv angesprochen, das für die Akzeptanz von Behandlungsplänen und Kostenvoranschlägen so entscheidend ist.

Die fünf Sinne

Wie könnte man die Studie über den Einfluss der fünf Sinne auf den Kaufentscheid eines Menschen für die Zahnarztpraxis interpretieren? Nachfolgend ein paar Ideen …

Sehen

Die meisten Patienten haben Mühe, die Zahnmedizin und vorgeschlagene Behandlungen wirklich zu verstehen – zu wissenschaftlich, zu kompliziert. Da aber das Sehen die wichtigste Sinneswahrnehmung des Menschen ist, sollte man bei Beratungsgesprächen ganz bewusst auf Visualisierungshilfen setzen, von der von Hand gezeichneten Skizze über Röntgenbilder oder Modelle bis hin zu den Applikationen für Tablets oder der Intraoralkamera. Ganz nach dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Nachholbedarf besteht oftmals auch im Bereich der Inneneinrichtungen der Zahnarztpraxen, in denen das Weiß noch überwiegt. Warum eigentlich? Die weiße Wandfarbe hat ihren Ursprung im vorletzten Jahrhundert, als Beweis für Sauberkeit, für das Fehlen von Schimmelflecken. Heute ist Hygiene selbstverständlich, weshalb durchaus warme, beruhigende Farben verwendet werden könnten.

Riechen

Auch der Geruchssinn beeinflusst die Menschen. Was riecht der Patient, wenn er die Zahnarztpraxis betritt? Desinfektionsmittel, die an einen Operationssaal erinnern? Oder gar den Geruch von verbranntem Zahnschmelz von der letzten Kariesbohrung?
Egal ob ein frischer Blumenstrauß, ein Duftstick aus der Drogerie oder eine spezielle Geruchsnote, die von einem auf Duftmarketing spezialisierten Unternehmen eigens entwickelt worden ist: Der Geruch gehört zu den wichtigsten Aspekten des ersten Eindrucks einer Zahnarztpraxis und wird in jedem Fall vom Patienten zumindest unterbewusst wahrgenommen.

Hören

Das Thema Hören ist in der Zahnmedizin etwas komplizierter zu handhaben, gibt es doch für die meisten Durchschnittspatienten kein unangenehmeres Geräusch als das eines Dentalbohrers. Dieses lässt sich zwar kaum vermeiden, aber durchaus herabmindern. Genau aus diesem Grund sollte eigentlich ein Behandlungszimmer, wenigstens jedoch die Tür, schallisoliert sein, sodass den Patienten nicht schon im Wartezimmer der Angstschweiß über die Stirn läuft.
Der Laser ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein zahnmedizinisches Präzisionsgerät, sondern auch eine interessante Alternative im Hinblick auf das akustische Wohlbefinden der Patienten.

Tasten und Schmecken

Auch diese beiden Sinne sind in einer Zahnarztpraxis nicht einfach zu beeinflussen. Eine Weinhandlung mit edlen Rotweinen oder ein Herrenschneider mit feinem, englischem Zwirn haben es da bei den Patienten wesentlich einfacher. Und trotzdem … Es gibt wohl kaum einen schaleren Geschmack im Mund und auf der Zunge als den von Latexhandschuhen, und daher sind mittlerweile Gummihandschuhe mit einer Duftnote erhältlich. Wer die diesjährige IDS in Köln besucht hat, konnte diese Produkte überall finden. Sie sind zwar etwas teurer, aber unter Umständen dennoch eine gute Investition in die sinnesorientierte Wahrnehmung und Zufriedenheit der Patienten. Das Gleiche gilt für das Mundspülwasser am Behandlungsstuhl, das eigentlich immer mit einer Geschmacksnote angereichert sein sollte.

Tipp: Freundlichkeit

Last but not least: Schweizer, Österreicher und Deutsche sind zweifelsohne weniger kontaktfreudig als etwa die Südeuropäer.
Trotzdem ist es nicht nur ein Zeichen eines guten Umgangstons, sondern auch ein weiterer Mosaikstein bei der Bildung der Brand Experience, wenn der Zahnarzt beim Betreten des Behandlungszimmers seinen Patienten mit einem freundlichen Handschlag begrüßt. Selbstverständlich ohne Latexhandschuhe, sonst spürt man den zwischenmenschlichen Kontakt ja nicht richtig.

Daniel Izquierdo Hänni
ist Marketing- und Kommunikationsprofi, Referent und Autor im Bereich der Zahnmedizin und Gründer von www.swissdentalmarketing.com
info@swissdentalmarketing.com