Finanzen

Ende der Liberalisierung ist noch nicht erreicht

Moderne Kooperationsformen bieten Möglichkeiten, den Balanceakt zwischen Konkurrenz- und Kostendruck sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu bestehen. Die richtige Form der Berufsausübung ohne rechtliche Beratung zu finden wird aber immer schwerer.



Das Gesundheitssystem unterliegt einem stetigen Wandel. Über Jahre hinweg haben sich auch das Berufsbild und das Selbstverständnis des Berufsstandes des Zahnarztes erheblich geändert. Diskutierte man 1996 noch über die Frage der Zulässigkeit einer Homepage für Zahnarztpraxen, stellt das Internet mittlerweile eine allgegenwärtige Werbeplattform auch für zahnärztliche Praxen dar. War das 20. Jahrhundert noch von einem weitgehenden Werbeverbot geprägt und entsprach das Gebot kollegialen Verhaltens noch dem zahnärzt‧lichen Selbstverständnis, ist mittlerweile eine Vielzahl von Werbeverboten durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Beispielsweise wird über Plattformen wie 2te-Zahnarztmeinung.de in einer Weise um Patienten geworben, die vor wenigen Jahren noch undenkbar erschien. Bezogen auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen stellte das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) eine wichtige Zäsur dar. Liberalisierungen im Vertragszahnarztrecht wie die Möglichkeit der ortsübergreifenden Kooperationen, die Gründung von Zweigpraxen und die erweiterten Anstellungsmöglichkeiten waren die Folge. Die zahnärztliche Berufsausübung ist von einer zunehmenden Liberalisierung in berufsrechtlicher und vertragsarztrechtlicher Hinsicht geprägt. Das Ende dieser Entwicklungen dürfte noch nicht erreicht sein.
Gleichzeitig lässt sich bei Patienten, Krankenkassen und privaten Krankenversicherern ein zunehmendes Kostenbewusstsein feststellen. Der selbstbewusstere Patient holt Zweitmeinungen ein, private Krankenversicherer navigieren Patienten, Krankenkassen gründen Eigeneinrichtungen und kooperieren mit Zahnärzten im EU-Ausland. Außerdem steht das Thema Bürgerversicherung – je nach Wahlausgang – demnächst wieder auf der Agenda. Für den Zahnarzt in der Niederlassung wird es immer schwieriger, sich im Wettbewerb zu behaupten und seine Praxis zukunftsfähig zu machen. Damit dies auch in Zukunft gelingt, muss der Zahnarzt die Spielregeln kennen und zu seinen Gunsten auslegen. Dazu gehört die Beobachtung des Marktes ebenso wie eine am aktuellen Stand der Wissenschaft orientierte Zahnheilkunde und Einrichtung der Praxis. Der Zahnarzt muss die sich bietenden Freiräume zum Positionieren der eigenen Praxis nutzen. Die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten ist dazu unerlässlich. Ohne entsprechende Beratung kommt eine Zahnarztpraxis künftig kaum zurecht.

Populäre Praxisgemeinschaften

Voraussichtlich wird sich auch im zahnärztlichen Bereich eine Entwicklung hin zu größeren Strukturen einstellen. Ende 2010 waren rund 18,7 Prozent aller zahnärztlichen Praxen Berufsausübungsgemeinschaften. Rund ein Drittel aller niedergelassenen Zahnärzte übt seinen Beruf in einer dieser Berufsausübungsgemeinschaften aus [KZBV Jahrbuch 2011, S. 166]. Über die Zahl von Praxisgemeinschaften gibt es keine so konkreten Statistiken. Dieser Zusammenschluss auf rein organisatorischer Ebene ist jedoch gerade zwischen Zahnärzten eine ebenfalls sehr populäre Kooperationsform. Der Verfasser geht davon aus, dass sich dieser Anteil in Zukunft noch erhöhen wird. Die sich stetig weiterentwickelnde Zahnmedizin löst einen gewissen Investitionsdruck aus. Rohstoffpreise, Mieten und sonstige Kosten steigen. In einer Kooperation aber können Praxisstrukturen effizienter genutzt, und so trotz steigender Kosten bei nur bedingt steigenden Honoraren höhere Gewinne erwirtschaftet werden. Ein Gerät (CAD/CAM, DVT o. Ä.), dessen Anschaffung sich für eine Einzelpraxis nicht lohnt, kann aber etwa im Rahmen einer Berufsausübungsgemeinschaft hinreichend ausgelastet und damit wirtschaftlich genutzt werden.
Darüber hinaus muss sich die Zahnarztpraxis künftig häufiger im Wettbewerb mit Billiganbietern und Praxisketten behaupten. „Zahnersatz zum Nulltarif“ ist das Stichwort. Hier gilt es, Patienten einerseits klarzumachen, dass Qualität im Mund auch etwas wert ist. Andererseits aber müssen Zahnärzte im Wettbewerb die Ausrichtung der eigenen Praxis bestimmen und sich dabei auch mit dem Aspekt „Auslandszahnersatz“ auseinandersetzen.

Frauenanteil steigt

Neben den Rahmenbedingungen, die sich aus steigendem Wettbewerb und Kostendruck ergeben, wird der steigende Frauenanteil Auswirkungen auf die Zukunft der Praxen haben. 2007 waren laut Statistik der Bundeszahnärztekammer von 56.567 niedergelassenen Zahnärzten insgesamt 22.253 und damit 40 Prozent Frauen.
Die prognostizierten Zahnarztzahlen sagen bis 2030 eine Umkehrung dieses Verhältnisses voraus [Statistisches Jahrbuch der Bundeszahnärztekammer 2011/2012, Seite 91]. Hier bestätigt sich der Trend der vergangenen Jahre. Seit 2000 stieg der Frauenanteil bei Existenzgründern von damals 31 Prozent auf im Jahre 2010 43 Prozent stetig an [Statistisches Jahrbuch a. a. O., Seite 116]. Dieser Aspekt sowie die Tatsache, dass junge Existenzgründer allgemein mehr Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis von Berufs- und Privatleben, das heißt eine für sie tragbare „Work-Life-Balance“, legen, werden die Zahnarztpraxis der Zukunft prägen. Unter Berufung auf aktuelle wissenschaftliche Umfragen des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK) sowie der Hamburger Zahnärztekammer (ZÄK Hamburg) stellt auch die Bundeszahnärztekammer in ihrem Memorandum zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen der zahnärztlichen Berufsausübung fest, dass zahnärztliche Berufsausübung zahlenmäßig ganz überwiegend und unverändert in selbständiger Praxisniederlassung erfolgt, wozu aber flexible Berufsausübungsformen, die eine familienfreundliche Niederlassung für junge Zahnarztfamilien möglich machen, gefördert werden müssen [Memorandum der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen der zahnärztlichen Berufsausübung vom 29. Juni 2011].

Vereinbarkeit Beruf und Familie

Diesen Balanceakt zwischen Konkurrenz- und Kostendruck sowie der Vereinbarkeit von selbständiger Niederlassung und Familie müssen Zahnärztinnen und Zahnärzte täglich aufs Neue wagen, um die Zukunft der eigenen Zahnarztpraxis zu sichern. Eine ständige Information über die aktuellen Rahmenbedingungen ist dabei ebenso unerlässlich wie die Kommunikation mit Gleichgesinnten, um den eigenen Platz in einem sich ständig wandelnden Markt dauerhaft zu finden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen lassen solche modernen Kooperationsformen bereits zu. Um die für die eigene Person richtige Form der Berufsausübung zu finden, bedarf es eines Überblicks über die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten, den der Zahnarzt ohne entsprechende Beratung nur schwerlich erlangen kann.

Autor:
Dr. Bernd Halbe Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Lehrbeauftragter für Medizinrecht der Universität zu Köln; Vorsitzender des Vorprüfungsausschusses bei der Rechtsanwaltskammer Köln für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung „Medizinrecht“.
Kontakt: dr.halbe@medizin-recht.com