Interview mit Zahnmedizin-Studentin Julia Quintus aus Mainz

#LehreamLimit: “Patienten sind bei uns Mangelware“

Mehrere hundert Studierende der Human- und Zahnmedizin in Mainz wünschen sich eine bessere Lehre. Für ihre Ziele gehen sie initiativ auf die Landesregierung Rheinland-Pfalz zu und machen unter dem Hashtag #Lehreamlimit auf sich und ihre Probleme aufmerksam. Die Hintergründe erklärt Mitorganisatorin Julia Quintus im Interview.


#lehreamlimit Zahnmedizin Patientenmangel

Über 500 Studenten der Zahn- und Humanmedizin sind in Mainz auf die Straße gegangen, um die Öffentlichkeit auf die großen Probleme in der Lehre aufmerksam zu machen. © Lukas Schmülling


Frau Quintus, Sie sind Mitorganisatorin der Initiative #LehreamLimit. Anfang des Jahres haben Sie und andere Studierende der Zahn- und Humanmedizin einen offenen Brief an die Landesregierung geschrieben. Worum ging es da?

Julia Quintus: Wir haben diesen offenen Brief formuliert, weil nicht nur wir, sondern auch der Fachbereichsrat Medizin der Meinung sind, dass die Universität in Mainz unterfinanziert ist. Laut einer Empfehlung des Wissenschaftsrates kostet ein Studienplatz für die Human- und Zahnmedizin jährlich 33.400 Euro. Das Land Rheinland-Pfalz hat allerdings vergangenes Jahr nur 27.500 Euro pro Studienplatz bezahlt, sodass sich da eine Differenz von 6.000 Euro pro Studierendem ergibt. In Mainz sind wir über 3.000 Studierende in der Human- und Zahnmedizin. Wenn man das hochrechnet, macht das pro Jahr ein Defizit von 20 Millionen Euro aus. Dieses Geld fehlt der Universität Mainz für eine qualifizierte Lehre.

Welche Probleme ergeben sich für Studierende der Zahnmedizin? Was fordern Sie mit #LehreamLimit?

Julia Quintus: In der Zahnmedizin ist unser Hauptproblem, dass wir zu wenige Patienten haben. Die Zahnmedizin ist ein sehr praktisch orientiertes Studium. Wir sind darauf angewiesen, dass wir Patienten haben, die sich bei uns im Studierendenkurs behandeln lassen. Aber in den letzten Jahren ist die Zahl der Patienten, die dazu bereit waren, immer mehr zurückgegangen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Behandlung für die Patienten nicht mehr finanziell attraktiv ist. Früher war die Zahnbehandlung bei uns im Studierendenkurs billiger – das war für viele Patienten ein Anreiz, die Behandlung von Studierenden durchführen zu lassen. Aber heutzutage kostet eine Behandlung bei uns genauso viel wie bei einem niedergelassenen Zahnarzt, weil es sich die Zahnklinik nicht leisten kann, den Eigenanteil für die Patienten so weit zu reduzieren, dass eine Behandlung durch Studierende attraktiv wird.

Hat das Auswirkungen auf den Ablauf oder die Dauer Ihres Studiums?

Julia Quintus: Auf die Dauer bisher noch nicht. Aber wenn wir nicht genug Patienten haben, leidet einfach die Qualität der Lehre darunter. Studierende habe nicht genug Möglichkeiten zu üben. Das führt dazu, dass wir Kursziele generell schwerer erreichen können. Als Reaktion darauf setzen die Dozenten momentan die Anforderungen für das Erreichen der Kursziele herunter, aber das kann nicht Sinn der Sache sein. Außerdem versuchen wir, selbst Patienten aus dem Freundes- oder Familienkreis zu rekrutieren. Fast jeder von uns hat bereits Eltern, Geschwister, Freunde oder Kommilitonen eingeladen, sich von uns behandeln zu lassen, damit wir unsere Kursziele erreichen können. Studierende, die auf BAföG oder ein Stipendium angewiesen sind, bangen natürlich besonders darum, die Kurse zu bestehen – für sie kann es finanziell schnell eng werden, wenn sich das Studium verlängert.

Wenn Sie niemanden aus dem Freundes- oder Familienkreis gewinnen können, woher nehmen Sie dann die Patienten?

Julia Quintus: Wir sind darauf angewiesen, dass wir über die Universität Patienten bekommen. Das ist an sich auch kein Problem. Es gibt genug Patienten in der Zahnklinik, die sich vorstellen und die eine Behandlung brauchen. Allerdings entscheiden sich über die Hälfte dieser Patienten aus finanziellen Gründen gegen eine Behandlung durch uns Studierende. Das ist schade, denn eine Behandlung durch Studierende ist auf keinen Fall schlechter als bei den niedergelassenen Kollegen. Aber sie dauert länger, da wir einerseits sehr vorsichtig arbeiten und andererseits Behandlungsschritte immer dem jeweiligen Dozenten vorzeigen müssen. Und die Dozenten müssen dafür natürlich auch Zeit finden. Das Betreuungsverhältnis liegt derzeit bei eins zu zwölf. Da kommt es immer wieder zu Wartezeiten, wenn alle versorgt und betreut werden müssen. In der neuen Approbationsordnung für Zahnärzte (AOZ), die ab dem Wintersemester 2020/21 gelten soll, wird ein deutlich besseres Betreuungsverhältnis gefordert. Allerdings wird dafür auch wieder mehr Lehrpersonal benötigt, das zusätzlich von der Landesregierung finanziert werden muss.

Wie läuft so eine Behandlung im Studierendenkurs ab?

Julia Quintus: Wir Studierende sind bei der Behandlung unter Aufsicht und müssen immer wieder Behandlungsschritte vorzeigen, bevor wir weiter behandeln dürfen. Betreut werden wir von einem Assistenzarzt und dem Kursleiter, einem Oberarzt. Außerdem sind wir mindestens zu zweit am Patienten, einer behandelt, der andere assistiert. Früher hatten wir allerdings mehr Behandlungseinheiten. Mittlerweile sind wir zu dritt an einem Stuhl. Einer behandelt, einer assistiert und der Dritte kann im Grunde nur zusehen. Aber insgesamt sind dadurch mindestens immer vier oder sechs Augen beim Patienten, durch das Vorzeigen der Behandlungsschritte sogar noch mehr. Eine schlechtere Behandlung als bei einem niedergelassenen Zahnarzt erhält der Patient also nicht.

Vor zwei Wochen haben Sie auch eine Demonstration unter dem Motto #LehreamLimit organisiert. Wie zufrieden sind Sie damit und wer unterstützt Sie bei Ihrem Protest?

Julia Quintus: Wir sind sehr zufrieden mit der #Lehreamlimit-Demonstration. Es waren 500 Personen angemeldet und vor Ort waren sogar noch mehr. Die Demonstration wurde von den Studierende aus der Human- und der Zahnmedizin organisiert. Es waren Vertreter des Marburger Bundes, der Landesärztekammer und ver.di anwesend. Wir wollten die Öffentlichkeit auf uns aufmerksam machen und ich denke, dass ist uns gut gelungen. Auch die Chefärzte und der Fachbereichsrat Medizin haben sich selbst schon in Briefen an das Ministerium gewandt und somit ihre Unterstützung signalisiert.

Was wird aktuell von Seiten der Landesregierung für die Studierenden der Zahnmedizin getan?

Julia Quintus: Für die Zahnmedizin ist aktuell eine neue Zahnklinik für 70 Millionen Euro geplant. Darüber freuen wir uns, denn sie ist bitter nötig. Das Gebäude, in dem wir uns jetzt befinden, ist veraltet, immer wieder kommt es zu Wasserrohrbrüchen oder Behandlungsstühle fallen aus. Allerdings wird die neue Zahnklinik das Problem der fehlenden Patienten nicht lösen.

Was wünschen Sie sich konkret von der Landesregierung?

Julia Quintus: Zusammen mit den Kommilitonen aus der Humanmedizin fordern wir, dass die fehlenden 6.000 Euro pro Studienplatz von der Regierung Rheinland-Pfalz ausfinanziert werden. Speziell in der Zahnmedizin wünschen wir uns ein zusätzliches Budget, damit Patienten Zahnarztbehandlungen günstiger bekommen, wenn sie bei uns im Studierendenkurs behandelt werden. Wir denken, dass das die Behandlungen attraktiver machen und so einen Anreiz für die Patienten bieten könnte, der die längeren Behandlungszeiten ausgleicht. Wir sind nicht die einzige Uniklinik, die dieses Problem hat. Andere Landesregierungen wie beispielsweise Bayern haben ihre Unikliniken finanziell unterstützt, damit sie die Behandlungen durch Studierende günstiger anbieten können – das hat dort die Lage deutlich entspannt.

Wie sieht Ihr weiteres Vorgehen in dieser Sache aus?

Julia Quintus: Anfang Februar haben wir einen Termin mit dem Minister für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz, Konrad Wolf, der uns offiziell eingeladen hat. Außerdem haben wir in unserer aktuellen Pressemitteilung auf die Antwort des Staatssekretärs, Dr. Denis Alt, auf unsere Demonstration reagiert. Es stimmt, dass die Landesregierung aktuell viel in Bauprojekte investiert. Aber diese wirken nicht der von uns Studierenden kritisierten Situation ein. Im nationalen Vergleich stellt die Universitätsmedizin Mainz ihren Studierenden derzeit unterdurchschnittlich wenig Lernraum zur Verfügung. Dazu kommen diverse andere Probleme, unter anderem auch in der Digitalisierung. Die Landesregierung muss endlich reagieren und dem Negativtrend mit einer notwendigen, adäquaten Finanzierung entgegensteuern. Schleswig-Holstein hat die außerordentliche Bedeutung und Möglichkeiten eines universitätsmedizinischen Standorts verstanden und investiert eine Milliarde Euro in ihre zwei Universitätskliniken. In Anbetracht dessen erscheinen unsere Forderungen als Minimalaufwand, um wenigstens die Abwärtsspirale zu stoppen.

Wie kann man mehr über den aktuellen Stand der Gespräche erfahren?

Julia Quintus: Unter dem Hashtag #LehreamLimit haben wir einen Auftritt auf Facebook und Instagram. Neuigkeiten und alle relevanten Informationen sind dort zu finden. Wir freuen uns über jeden, der sich an unserer Arbeit beteiligen möchte.


Im Interview

Julia Quintus

© Andrea Schombara Fotografie

Julia Quintus

Julia Quintus studiert Zahnmedizin in Mainz und hat die #LehreamLimit-Initiative mitorganisiert.