„The Lancet“-Beitragsserie zu globaler Mundgesundheit

Deutsche Zahnmedizin auch in der Krise?

„Die Zahnmedizin steckt in der Krise“ – zu diesem Schluss kommt das internationale Autorenteam der Artikelreihe zur globalen Mundgesundheit, die kürzlich im britischen Fachjournal „The Lancet“ erschien. Auch in Deutschland sieht man Handlungsbedarf. Mit einem Zehn-Punkte-Papier bezieht die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) Position.


Gibt es auch in Deutschland dringenden Handlungsbedarf in Sachen zahnärztlicher Versorgung? (©akira_photo – stock.adobe)


3,5 Milliarden Patienten litten im vergangenen Jahr weltweit an Karies oder Zahnfleischerkrankungen. Für Professor Richard Watt vom University College London und seine internationalen Autorenkollegen ein unnötiges Leid. In vielen Fällen seien zahnmedizinische Erkrankungen vermeidbar. Wie die aktuell in „The Lancet“ veröffentlichte Artikelreihe bemängelt, gebe es global zu wenig Prävention, zu viele, oft teure Restaurationen,einen limitierten Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung,eine starke Abhängigkeit des Erkrankungsrisikos von der sozialen Schichtzugehörigkeit, eine zu starke Abkopplung der Zahnmedizin von der allgemeinen Gesundheitsvorsorge und – befördert durch die Lobbyarbeit der Getränke- und Lebensmittelindustrie – zu viel Zucker in der Ernährung.

BZÄK: Prävention in Deutschland „hervorragend und beispielgebend“

Handlungsbedarf sehen die Studienautoren auch in hochentwickelten Industrieländern wie Deutschland, wo vorrangig die Behandlung im Mittelpunkt stehe. In einem Zehn-Punkte-Papier hat die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) zu den Lancet-Beiträgen Stellung bezogen und die Daten der Untersuchung für die Situation in Deutschland eingehender ausgewertet. BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich kommt zu dem Schluss: „Zusammen mit den skandinavischen Ländern haben wir eine hervorragende und beispielgebende Prävention in Deutschland.“ Gleichzeitig ermögliche das deutsche Gesundheitssystem im Bereich der Zahnmedizin seiner Auffassung nach einen niedrigschwelligen Zugang zur Therapie und zur Prophylaxe. „Das lohnt sich, denn wir sind mit an der Weltspitze bei der Mundgesundheit unserer Bevölkerung“, so der BZÄKVizepräsident.

„Natürlich gibt es noch Lücken“, räumt Oesterreich ein. Man kenne diese aber ganz genau, gehe sie aktiv an und adressiere sie immer wieder an die gesundheitspolitischen Stakeholder. „Für die Zahnmedizin in Deutschland gilt, stetig dazuzulernen, um immer besser zu werden“, erklärt der BZÄK-Vize.

Kritik an undifferenzierter Datenlage

In ihrem zehn Punkte umfassenden Positionspapier kritisiert die BZÄK die Basis der Untersuchungen: „Leider bauen die Autoren der Lancet-Oral-Health-Serie ihre Argumentation nur auf wenigen und nur eingeschränkt verwendbaren Datenlagen auf. Dies hat zur Folge, dass kaum Differenzierungen zwischen entwickelten Ländern und sogenannten Schwellenländern bezüglich der unterschiedlichen Gesundheitssysteme und ihren Herausforderungen vorgenommen werden. So sind die Anforderungen an Prävention und Versorgung im Hinblick auf das Ausgangsniveau deutlich differenzierter zu betrachten. Auch müssen im Rahmen von umfassenden Public-Health-Strategien die Potenziale sowohl von Verhaltensveränderungen als auch von Systemveränderungen (Verhältnisse) zur Verbesserung der Mundgesundheit berücksichtigt werden. Diese Aspekte wurden durch die Autoren nicht beachtet.“

DMS V: 81 Prozent der 12-Jährigen kariesfrei

Eine differenzierte Sicht auf Deutschland böten der BZÄK zufolge die Daten der Fünften Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), die repräsentativ die Mundgesundheit der gesamten Bevölkerung in Deutschland beschreibt. Sie gilt als eine der größten und fundiertesten sozialepidemiologischen Studien zur Mundgesundheit weltweit. Die DMS V habe zeigen können, dass bedingt durch die stärkere Konzentration auf die Präventionsarbeit ab 1990 in Deutschland heute 81 Prozent der 12-Jährigen völlig kariesfrei sind, so die BZÄK. Bei den Erwachsenen konnte Karies im Vergleich zu 1997 immerhin um 30 Prozent reduziert werden. Verbesserungsbedarf legt aber auch die DMS V nahe: Als anzugehende Baustellen identifizierte die Studie die Abhängigkeit des Erkrankungsrisikos von der sozialen Schicht, die Prävention bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Handicap, die frühkindliche Karies (ECC) und die Aufklärung über Mundhygiene und Ernährungsgewohnheiten.

Zuckerkonsum: „Hier rennen sie bei uns offene Türen ein“

Völlige Einigkeit mit den Autoren der Lancet-Artikelreihe herrscht bei der BZÄK hinsichtlich der kritischen Rolle der Zucker-, Lebensmittel- und Getränkeindustrie. „Hier rennen sie bei uns offene Türen ein“, erklärt BZÄK-Vizepräsident Oesterreich. Man fordere schon seit längerem verbindliche Maßnahmen zur Zuckerreduktion sowie für eine ausgewogene Ernährung – vor allem bei Kindern. Der gemeinsame Risikofaktorenansatz bedürfe aber „einer klaren politischen Unterstützung und Förderung“, mahnte Oesterreich an.

Auch die Bedeutung der Zahnmedizin im Zusammenhang mit anderen chronischen degenerativen Erkrankungen in der Medizin sei klar erkannt und werde kontinuierlich betont. „Leider ist bei der aktuellen Novelle der Approbationsordnung für Zahnärzte (ZApprO) gerade der Part, mehr Medizin in der zahnärztlichen Ausbildung durch gemeinsame Ausbildung mit der Medizin, gestrichen worden.“

Gruppenprophylaxe und Vernetzung unterstützen

Um die Mundgesundheit in Deutschland weiter zu verbessern, möchte die BZÄK sowohl bevölkerungsweite als auch gruppenprophylaktische Maßnahmen unterstützen. Sie setzt sich zudem für eine stärkere Vernetzung mit anderen gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen ein. Gleichzeitig setze man in internationalen Gremien wie dem Weltzahnärzteverband FDI deutliche Akzente, damit die Mundgesundheit bei den globalen Problemlagen als wichtiger Teil wahrgenommen und die Rolle und Bedeutung der Zahnmedizin im Kontext mit medizinischen Erkrankungen besser berücksichtigt werde, hieß es von Seiten der BZÄK.

Quellen: