Expertenzirkel

Endodontie: Wie gut ist einfach?

Vereinfachung lautet derzeit das Schlagwort in der Endodontie. Etliche Hersteller bieten nun entsprechende Systeme an. Nach welchen Kriterien soll der Generalist sich entscheiden? Gibt es einen Leitfaden? Was lässt sich mit den reduzierten Systemen machen? Auch Revisionen? Spart man Zeit? Rechnet sich Endo nun auch in der Allgemeinpraxis? Das diskutieren Fachleute aus Praxis, Hochschule und Industrie im aktuellen Expertenzirkel.



Die Aufbereitung des Wurzelkanals ist für den Zahnarzt nach wie vor eine Herausforderung, es scheint aber einfacher zu werden. Auf welche Bereiche trifft das zu?

Baumann: Die Aufbereitung des Wurzelkanals besteht aus den drei Teilschritten Reinigung, Formgebung und Desinfek‧tion. Einfacher geworden ist die Formgebung – sie hat mit den vor 25 Jahren erstmals vorgestellten Feilen aus Nickel-Titan eine enorme Vereinfachung und Beschleunigung erfahren. Die Reinigung als Maßnahme zur Entfernung von Restgewebe, entzündeten Gewebsanteilen und Bakterien ist damit aber allenfalls in Teilaspekten erreicht, die Desinfektion gar nicht.

Dennoch zählen Wurzelkanalbehandlungen heute zum Praxisalltag. Ist die Endodontie mit der Weiterentwicklung der Instrumente endgültig in der Allgemeinpraxis angekommen?

Baumann: Die Endodontie ist nicht in der Allgemeinpraxis angekommen, sie war schon immer dort. Selbst in den USA, wo es etwa 4000 Spezialisten für Endodontie gibt, werden viele endodontische Behandlungen von Allgemeinzahnärzten ausgeführt. Die Spezialpraxis für Endodontie hat sich erst in den letzten zehn Jahren dank zahlreicher Fortbildungsangebote auf allen Ebenen in Deutschland etabliert und ist so stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Zahnärzteschaft hat auf diesem Gebiet sehr große Fortschritte gemacht.

Endo-Behandlungen gehörten also schon immer zum zahnärztlichen Standardrepertoire?

Widera: Durchaus, das gilt für jede allgemeinzahnärztliche Praxis in Deutschland. Endodontische Behandlungen werden in der Mehrzahl der Fälle auch erfolgreich vom Generalisten umgesetzt.

Weckt die Vereinfachung der Systeme aktuell zusätzliches Interesse an der Endodontie?

Widera: Das ist schwer zu sagen. Ob die Aufbereitung eines Wurzelkanalsystems wirklich einfacher ist, hängt von vielen weiteren Begleitumständen ab.

Endo macht man natürlich nicht so nebenbei …

Baumann: Das ist richtig, und wer sich darauf fokussiert, wird dies besser und perfekter beherrschen, als jemand, der sich nur ab und zu damit befasst. Hinzu kommen technische Fortschritte durch Ultraschall und vor allem durch die Mikroskopie, die heute endodontische Behandlungen auf viel höherem Niveau ermöglichen: Zahnärzte können plötzlich Zähne erhalten, die sie noch vor einigen Jahren extrahieren mussten.

Und: Neue Materialien für Überkappungen, Perforationsbehandlung, Ausformung des unvollständigen Wurzelwachstums wie MTA, TAP und Biokeramiken sind auf dem Vormarsch.

Es tut sich also viel …

Baumann: Ja, die „echten“ Fortschritte deuten sich aber auf einem ganz anderen Gebiet an: Stammzellforschung und besseres Verständnis der biologischen Grundlagen der Gewebe und der physiologischen und pathphysiologischen Zusammenhänge werden regenerative Behandlungsmethoden bringen, die sich derzeit bereits ankündigen. Damit wird die Endodontie aus den mechanistischen Ansätzen der letzten 100 Jahre herauswachsen. Die Endodontie wird völlig neue Aspekte erschließen. Diese allerdings sind bereits jetzt und erst recht in Zukunft nicht von der Allgemeinpraxis abzudecken.

Halten wir fest: Die Aufbereitung des Wurzelkanals stellt nach wie vor eine Herausforderung für den allgemein tätigen Zahnarzt dar sowohl fachlich als auch organisatorisch.

Wie lässt sich das im Praxisalltag managen?

Haynert: Zum Beispiel durch Systeme mit einer reduzierten Anzahl von Feilen. Das nimmt den Behandlungssituationen den Stress und vereinfacht den Behandlungsablauf.

Warum Stress? Gehören Endo-Behandlungen nun doch nicht zum „Tagesgeschäft“?

Haynert: Sie sind zwar in der Allgemeinpraxis angekommen, zum „Brot-und-Butter-Geschäft“ der Zahnärzte zählen sie meiner Ansicht nach aber noch nicht. Werde ich alle Kanäle auffinden, die Wurzelverläufe exakt verfolgen und von Debris vollständig befreien können?

Und: Wie stark verschiebt sich meine Patientenbelegung dadurch nach hinten? Diese Fragen beschäftigen die Zahnärzte durchaus.

Wie helfen Sie als Hersteller?

Haynert: Durch System-Vereinfachung. Anwender unseres Zwei-Feilen-Systems F360 schätzen zum Beispiel die einfache Behandlungssequenz. Denn für das Gros der Fälle reichen tatsächlich zwei Feilen für die Aufbereitung des Wurzelkanals aus. Durch steril verpackte Single-Use-Feilen bietet das System auch Sicherheit in allen Hygienefragen.

Und dann ist da noch die wirtschaftliche Seite: Der Preis pro Feile ist sehr fair und außerdem kann F360 mit jedem Endo-Winkelstück oder -motor mit Drehmomentbegrenzung eingesetzt werden.

Der Behandler muss also nicht zusätzlich investieren, um diese Innovation zu nutzen.

Verbessert sich dadurch auch die Behandlungsqualität?

Baumann: So pauschal möchte ich das nicht sagen. Denn es stellt sich zunächst die Frage, was Behandlungsqualität ist. Meint man eine Verbesserung der Formgebung und der erzielten Weite der Kanalaufbereitung?

In diesen Fällen ist mit den reduzierten Systemen wie z. B. OneShape, Reciproc oder WaveOne ein Fortschritt gegenüber den früher üblichen Handaufbereitungen mit einer Endweite von #30 bis #40 und 2 Prozent Konizität der Instrumente gegeben.

Anders sieht es beim Step back aus. Hier wurde schon vor 50 Jahren eine Konizität von 5 Prozent geschaffen. Heute ist die Weite #25 .08 – ausgehend vom Vorbild der F2 bei ProTaper – ein vom Hersteller der Ein-Feilen-Systeme zunächst einmal vielfach aufgegriffenes Maß. Das ist so, als wenn man allen Männern beispielsweise Schuhgröße 43 verordnete und den Frauen 38. Für einige ist es adäquat, für einige zu klein, für andere zu groß; aber es ist ungefähr der Mittelwert.

Das heißt?

Baumann: Das heißt, jeder Kanal ist anders und sollte den anatomischen Gegebenheiten gemäß ausgeformt werden. Und das geht nur bedingt mit einer Feile. Aus diesem Grunde werden die beiden „Ein-Feilen-Systeme“ mit reziprokierender Arbeitsweise auch in drei Größen angeboten. Die anderen Anbieter von reduzierten Systemen verweisen dann gerne auf ihr Vollsortiment mit einem anderen NiTi-System.

Je weniger Feilen, desto besser die Behandlungsqualität?

Haynert: Gute Behandlungsergebnisse lassen sich auch mit Mehrfeilen-Systemen erzielen. Das muss man natürlich einräumen. Doch mit unserem System gestaltet sich der Prozess einfacher.

Widera: Vereinfachte Abläufe durch weniger Aufbereitungsinstrumente helfen zwar, so manche Fehler zu vermeiden. Die Behandlungsqualität an sich hängt aber nicht vom verwendeten System ab – mit wie vielen oder wenigen Feilen auch immer. Sie steht und fällt mit dem Können des Zahnarztes.

Gibt es wissenschaftliche Studien zu dem Thema?

Haynert: Neueste Studien aus dem Team rund um Prof. Dr. Edgar Schäfer, Münster, belegen die Vorteile der „neuen Einfachheit“: Untersucht wurde u. a. die Schneideffizienz von verschiedenen NiTi-Systemen in S-förmigen Wurzelkanälen. Ergebnis: Die Wurzelkanalaufbereitung mit F360 führt im Vergleich zu allen anderen getesteten Systemen zu der geringsten Kanalverlagerung und schont somit den Wurzelkanal am besten. Zudem kam die Studiengruppe zu dem Ergebnis, dass die Aufbereitung mit F360 schneller als mit allen anderen Feilen erfolgte.

Wie ist das zu erklären?

Haynert: Mit dem speziellen Doppel-S-Querschnitt, der unseren Feilen eine ausgezeichnete Schnittfreudigkeit und hohe Flexibilität verleiht. Die Anwendung von F360 ist zudem einfach zu erlernen, gewissermaßen intuitiv, und die Kosten sind moderat. Die Studie wird in Kürze im Journal of Endodontics veröffentlicht.

Taugen einfache Systeme für die Revision?

Baumann: Erste wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass auch reziprokierende Systeme die Revision von Guttaperchafüllungen ermöglichen. Das belegen Rödig et al. 2014 und Zuolo et al. 2013. Eigene klinische Erfahrungen bestätigen dies im Alltag. Stifte für Stumpfaufbauten aus Gold, Titan, Keramik oder Glasfaser sowie Silberstifte sind selbstredend mit NiTi-Feilen nicht entfernbar. Dabei zeigt sich das Gleiche wie schon seit vielen Jahrzehnten.

Und das wäre?

Baumann: Eine vollständige Reinigung des bereits gefüllten Kanals ist unmöglich. Handinstrumente, H-Feilen, sind am langsamsten, rotierende NiTi-Feilen schneller und reziprokierende Systeme unter gewissen Umständen noch schneller. [Rödig et al. 2014, Zuolo et al. 2013]. All dies ist jedoch sehr stark von der vorgefundenen Wurzelkanalfüllung abhängig. Nach der Ein-Stift-Methode mit kalter GP ist fast jede Revision schnell und mit nahezu jedem System durchführbar. Nach warmer GP-Füllung ist die Adaptation der Füllung an den Wurzelkanal meist viel stärker und eine Revision entsprechend technisch schwieriger und zeitlich aufwendiger.

Herr Dr. Widera, Ihre Sicht aus der Perspektive des Praktikers?

Widera: Sicherlich ist eine Revision auch mit einem einfachen System möglich. Wenn man die Instrumente entsprechend schonungsvoll einsetzt, kann man rein mechanisch Guttapercha entfernen. Aber man darf natürlich nicht in die Stufe arbeiten, die möglicherweise von der Primärbehandlung geblieben ist. Nur das gesamte Behandlungskonzept der Diagnostik, chemomechanischen Aufbereitung und abschließenden Wurzelkanalfüllung kann eine Revision gelingen lassen.

Und welche Rolle spielen die richtigen Instrumente dabei?

Widera: Die Art der Aufbereitungssysteme ist nicht unbedeutend. Sie stellen aber definitiv nur einen Teil des gesamten Puzzles dar.

Welche Bedeutung hat die Instrumentengröße?

Haynert: Die F360-Feilen eignen sich ab der Instrumentengröße 035 für eine Revision. Begründung: Das Doppel-S-Design der Feilen räumt durch den großen Spanraum nicht nur Debris, sondern auch Guttapercha sicher und effektiv aus dem Wurzelkanal. Außerdem bietet das System gleichmäßig abgestufte Instrumentengrößen, die es dem Behandler ermöglichen, das Wurzelfüllmaterial Stück für Stück abzutragen. Komet hat aber auch spezielle Instrumente für eine Revision im Sortiment, etwa die GPR Guttapercha-Entferner, deren Arbeitsteil keine aktiven Schneidekanten besitzt.

Insuffiziente Kanalsystemaufbereitungen, unzureichende Wurzelkanalsystemfüllungen und die häufig daraus resultierenden mikrobiologischen Probleme führten in der Vergangenheit zu den meisten Revisionen.

Ist das nach wie vor so? Was hat sich getan?

Baumann: Ob sich etwas getan hat, ist aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

  • Die Erfolgsraten bei Vitalexstirpation sind seit etwa 50 Jahren nahezu unverändert geblieben (Ng et al. 2007). Weiger et al. (1997) stellten fest, dass die Prävalenz von Zähnen mit Parodontitis apicalis bei wurzelkanalgefüllten Zähnen bei 61 Prozent lag und nur 14 Prozent der Wurzelkanalbehandlungen als adäquat qualifiziert wurden.
  • Die neuen dreidimensionalen Techniken der Bildgebung, Cone beam computed tomography (CBCT), ermöglichen eine detailliertere Diagnostik und deuten darauf hin, dass man mit dieser Technik wesentlich häufiger eine Par. apicalis nachweisen kann als mit konventionellem Röntgen [Estrela et al. 2008].
  •  Mittlerweile werden alle bisherigen Studien zu Erfolgsraten endodontischer Behandlung infrage gestellt [Wu et al. 2009], da klinisch und auf Zahnfilmen gesund erscheinende Zähne im CBCT oder nach histologischer Aufarbeitung sehr wohl eine Entzündung aufweisen. Hier ist also noch viel Forschung zu leisten und die Wissenschaft hat derzeit noch viele Fragen zu dem Thema Erfolg/Misserfolg.

Aber es gibt doch Weiterentwicklungen?

Baumann: In der Praxis nimmt man wahr, dass die modernen technischen Hilfsmittel erstmals Therapien an Zähnen ermöglichen, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. Somit werden Zähne endodontisch behandelt und für viele Jahre gerettet, die vor einigen Jahren noch selbstverständlich als nicht therapierbar und extraktionswürdig erschienen. Erfolg und Misserfolg haben also viele Facetten.

Wann wird eine Wurzelkanalbehandlung revidiert?

Baumann: Die Gründe für Revisionen sind vielfältig und werden in der einschlägigen Literatur eingehend erörtert.

Kann und sollte der Allgemeinzahnarzt Revisionen vornehmen? Was empfehlen Sie?

Baumann: Fakt ist: Im Praxisalltag veranlassen persistierende Schmerzen bei nicht gefundenen oder zusätzlichen Kanälen, bei unvollständiger Wurzelkanalfüllung und frakturierte Instrumente Patienten häufig dazu, von sich aus einen zweiten Behandler oder einen Spezialisten aufzusuchen.

Warum steigt die Anzahl der Revisionen aktuell?

Baumann: Zum einen sind die Patienten vielfach „zahnbewusster“ und kämpfen mehr um ihren eigenen Zahn.

Zum anderen erlauben die neuen Hilfsmittel – NiTi-Revisionsfeilen, Ultraschall, System B, Mikroskop etc. – bessere, sicherere und erfolgreichere Revisionen als noch vor zehn Jahren [Suter et al. 2005, Cujé et al. 2010].

Widera: Hinzu kommt eine durch die DVT wesentlich verbesserte bildgebende Diagnostik – periapikale Läsionen endodontischen Ursprungs, die früher röntgenologisch im Verborgenen blieben, werden nun sichtbar.

Gehen Sie auch künftig von mehr Revisionen aus?

Widera: Ja, denn die Zahnerhaltung gewinnt zunehmend auch im Fokus der Öffentlichkeit einen immer höheren Stellenwert.

Sprich: Mehr Endo-Behandlungen, mehr Revisionen?

Widera: So lässt es sich auf den Punkt bringen. Im Rahmen meiner weitestgehend auf endodontische Behandlungen beschränkten zahnärztlichen Tätigkeit machen Revisionsbehandlungen heute mehr als 80 Prozent aus.

Häufige Ursachen sind nach wie vor persistierende apikale Veränderungen nach Primärbehandlungen und Wurzelspitzenresektionen, Instrumentenfrakturen, Perforationen und Viae falsae. Da hat sich nicht viel geändert in den letzten Jahren.

Vielfach werden Wurzelkanäle nicht aufbereitet, weil der Zahnarzt sie schlicht übersieht. Typisches Beispiel: der mb2 im ersten Molaren des Oberkiefers.

Wie lässt sich so etwas vermeiden?

Haynert: Mit unserem H1SM lässt sich beispielsweise ein Isthmus über einen Teil oder seine gesamte Länge darstellen, was die Chancen erhöht, auch verborgene Kanaleingänge aufzuspüren. Etliche Misserfolge sind aber auch auf Lücken im Spülprotokoll zurückzuführen. Verbleiben zu viele Bakterien im Wurzelkanalsystem, kann dies zu einem „flare-up“ führen.

Wann sollte der Allgemeinzahnarzt besser an den Endo-Experte überweisen?

Baumann: Grundsätzlich dann, wenn er bei der Diagnose des Zahns und der Analyse des Röntgenbilds den Fall als sehr kompliziert und aufwendig einschätzt.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.

Baumann: Sieht der Erstbehandler nach begonnener Behandlung etwa Komplikationen aufgrund kalzifizierter Kanaleingänge, Obliteration des Pulpakavums oder sehr enger, sehr stark gekrümmte Kanäle, wird es aufwendig. Auch wenn der Zahn nicht die Zahl an Wurzelkanälen aufweist, die man erwartet hat, drohen Komplikationen.

Dazu kommen Feilenfrakturen, Perforationen, persistierende Schmerzen etc.

Und diese Fälle gehören nicht in die Generalisten-Praxis?

Widera: Nein, Fragment-Entfernungen im mittleren und apikalen Wurzeldrittel und Perforationsdeckungen mit MTA sollten eher begrenzt in der allgemeinzahnärztlichen Praxis behandelt werden. Das gilt in der Regel auch für Revisionen an Molaren und Prämolaren sowie für Stiftentfernungen. Aber natürlich muss auch hier wie immer jeder Fall einzeln beurteilt werden.

Zurück zur Vereinfachung in der Endodontie. Verkürzen die reduzierten Systeme die Behandlungsdauer?

Baumann: Bei einigen Zähnen kann man Zeit bei der Formgebung des Wurzelkanals einsparen. Die sollte am besten genutzt werden, um die Reinigung und Desinfektion des Kanallumens zu perfektionieren. Und nicht, um die Behandlung schneller abzuschließen. Das wird allerdings in einigen Fällen leider so gemacht.

Welche Erfahrung machen Sie, Herr Widera?

Widera: Man ist in der Lage, in einfachen Kanalsystemen mit den reduzierten Feilensystemen schneller ein gutes Aufbereitungsergebnis zu erzielen. Die so gewonnene Zeit nutzen wir für die ausgiebige Desinfektion. Das erhöht den Behandlungserfolg deutlich. Und: Kommen weniger Instrumente bei der Wurzelkanalsystembehandlung zum Einsatz, minimieren sich auch die Risiko- und Fehlerquellen.

Herr Haynert, verkürzt F360 die Behandlungsdauer?

Haynert: Eine schwierige Frage, laut Stoppuhr schneidet F360 tatsächlich im Vergleich zu anderen maschinellen Systemen mit mehreren Feilen oder zur manuellen Aufbereitung sehr gut ab. Doch je weniger Feilen im Einsatz sind, desto gewissenhafter sollte anschließend gespült werden. Und das kostet wieder Zeit. Die Literatur sagt, die Kontaktzeit von NaOCl im Wurzelkanal sollte mindestens 30 min betragen. Die Zeitersparnis mit F360 möchte ich nicht in den Vordergrund rücken, im Fokus steht die gründliche Reinigung.

Ich habe verstanden: Der Erfolg einer Endo-Behandlung steht und fällt mit der Desinfektion.

Baumann: Das, was man aus dem Kanal herausholt, ist wichtiger als das, was man einfüllt. Bei der endodontischen Behandlung sind drei Dinge wichtig: 1. Spülen. 2. Spülen. 3. Spülen! Das Spülen hat dabei gleich mehrere Funktionen:

  • Entfernung des Pulpagewebes,
  • Entfernung der Schmierschicht,
  • Entfernung der Bakterien und Desinfektion des Wurzelkanals.

Widera: Man weiß heute aus diversen Studien, dass die kontinuierliche Spülung des Kanalsystems mit Natriumhypochlorit während der Aufbereitung das Behandlungsergebnis enorm beeinflusst. Dabei sollte sich die manuelle Spülung in jedem Fall mit der passiven Ultraschallspülung (PUI) abwechseln. Außerdem sollten verschiedene Spüllösungen zum Einsatz kommen, um eine bessere Entfernung der Schmierschicht zu ermöglichen (EDTA, Zitronensäure) ober den Haftverbund der Adhäsivsysteme zu verbessern (Chlorhexidin).

Kann die alleinige manuelle Spülung diesen Anforderungen überhaupt noch gerecht werden?

Widera: Nein, die alleinige manuelle Spülung wird dem Anforderungskatalog an ein zeitgemäßes Spülprotokoll nicht mehr gerecht.

Baumann: Allerdings muss man einräumen, dass die manuelle Spülung dennoch ihre Berechtigung hat und bei Beachtung einiger Grundüberlegungen durchaus effektiv sein kann.

Und die wären?

Baumann: Man sollte eine kleine Kanüle – aktuelle Empfehlung 30G = 0.30 mm Durchmesser – mit ausreichender Länge, meist 25 mm, nehmen, um bis auf Arbeitslänge minus 1 mm tief in den ausgeformten Wurzelkanal eindringen zu können. Dies gelingt erst bei Aufbereitungsgrößen ab #35 und mehr. Die Spüllösung gelangt aufgrund der Viskosität der Lösung nur bis 1 mm vor die Austrittsöffnung der Kanüle. Hier ist die manuelle Agitation mit kleinen Feilen bis auf volle Arbeitslänge hilfreich, um Debris von der Kanalwand zu lösen. Derzeit werden viele verschiedene Hilfsmittel zur Unterstützung der Spülung angeboten, Bürsten, Geräte mit Plastikansätzen, Metallspitzen, Unter-/Überdruck, Ozon, Laser, … Aktuell ist die passive Ultraschallirrigation unter Einsatz eines nicht abtragenden Metallansatzes das Mittel der Wahl [van der Sluis et al. 2007].

Haynert: Um die Spüleffizienz zu erhöhen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Komet begegnet der Spülfrage mit Schalltechnologie: Durch die hochflexible NiTi-Spülspitze SF65 werden Pulpagewebsreste, Bakterien, Smear Layer und lose Dentinspäne zuverlässig beseitigt und die Wirksamkeit der Spüllösung erhöht.

Zu den Füllungsmaterialien: Die Zeitschrift Öko-Test vom Oktober 2013 berichtete, auf dem Markt würden WK-Füllungsmaterialien angeboten, die in Fachkreisen längst als veraltet gelten. 17 Produkte wurden getestet und einige, auch von bekannten Herstellern, als mangelhaft bezeichnet. Wie schätzen Sie die Testergebnisse ein?

Baumann: Die Ergebnisse bei Öko-Test kann man durchaus ernst nehmen, auch wenn einige Wertungen in der Wissenschaft anders gesehen werden. Der Bericht ist gut recherchiert, fundiert und deckt sich weitgehend mit der Einschätzung der Wissenschaft. Alle getesteten Guttaperchastifte haben gut abgeschnitten. Bei den temporären Einlagen werden zwei gut bewertet: Gangraena Merz N und Ledermix. Zwei werden als mangelhaft eingestuft, da sie Phenole enthalten, die zytotoxisch sind. Die neun analysierten Sealer erhalten zweimal sehr gut und dreimal gut. Dabei werden calciumhydroxidhaltige Sealer positiv gewertet und gleichzeitig wird berechtigterweise darauf hingewiesen, dass sie wasserlöslich sind. Dies ist bei den verfügbaren Produkten jedoch in unterschiedlichem Maße gegeben. Hier ist auch der Zahnarzt gefragt, sich mit dem aktuellen Stand zu beschäftigen. Dass die Anwesenheit von Formaldehyd, Eugenol oder Kortison negativ bewertet wird, ist aus Sicht der Wissenschaft gut nachvollziehbar. Allerdings erwischt es dabei auch AH 26, dasjahrzehntelang der Goldstandard bei Sealern war. Hier wird zwar im Abbindeprozess eine minimale Menge Formaldehyd im Promillebereich freigesetzt, doch ist dies im Vergleich zu den 50- bis 100-fachen Mengen der anderen Sealer verschwindend gering.

Lassen sich solche Tests mit den Herstellertests vergleichen?

Widera: Nein, und wer sich mit den Veröffentlichungen zu diesem Thema in den letzten Jahren auseinandergesetzt hat, weiß, dass der Ökotestartikel für die Zahnärzte keine brandneuen Erkenntnisse enthält. Dass Chlorphenolverbindungen ein kanzerogenes Potenzial haben und Präparate mit entsprechendem Inhalt nicht zur Verwendung kommen sollten, hat die DGZMK bereits in ihrer Stellungnahme 1999 zum Ausdruck gebracht. Auch kortikosteroidhaltige Wurzelfüllungsmaterialien sind als nicht mehr zeitgemäß anzusehen. Dass die Produkte auf dem Markt noch immer problemlos zu erhalten sind, zeigt allerdings, dass noch immer ein Bedarf und Kaufinteresse bei den Kollegen vorhanden sind. Was wiederum die Frage aufwirft, inwieweit die Studienergebnisse schlussendlich in der täglichen Praxis ankommen.

Verunsichern solche Publikationen die Patienten?

Hayert: Das sollten sie nicht. Es stimmt zwar, dass es Wurzelfüllmaterialien gibt, deren Zusammensetzung als obsolet gilt. Allerdings greift der überwiegende Teil der Zahnärzte auf Materialien zurück, die in dem genannten Test als gut oder sehr gut eingestuft werden. Wurzelfüllungen aus einer Kombination Guttapercha und Sealer auf Epoxidharz-Basis sind derzeit der Goldstandard. Mit EasySeal haben wir genau solch einen Sealer im Programm. Er zeichnet sich neben hohen Haftwerten zum Dentin und einer geringen Löslichkeit durch eine hohe Temperaturstabilität aus, wodurch er für jede Wurzelkanalfüllmethode geeignet ist.

Was meinen Sie Prof. Baumann?

Baumann: Patienten sind heute generell gut informiert und haben im Internet die Möglichkeit, Informationen zu fast allen Gebieten zu recherchieren. Und das nutzen sie in großem Umfang. Zahnärzte sind nur noch zum Teil paternalistisch eingestellt und diktieren dem Patienten ihre Meinung. Viele sind einer partizipativen Entscheidungsfindung gegenüber aufgeschlossen und werden Bedenken des Patienten ernst nehmen und offen darüber sprechen.

Haben Patienten Sie in Ihrer Praxis auf den Ökotest angesprochen?

Widera: Nein, bislang nicht. In den sechs Monaten seit der Veröffentlichung des Artikels hat mich auch nicht ein Patient nach dem verwendeten Wurzelkanalsealer gefragt. Das verdeutlicht, dass die Verantwortung für die verwendeten Materialien ganz klar bei uns liegt.

Wie gehen Sie in Ihrer Klinik vor? Nennen Sie ein Fallbeispiel.

Baumann: Ein 71-jähriger Patient kommt mit Schmerzen zum Zahnarzt (Abb. 1a und 1b). Bei den Zähnen 16 und 17 hat sich unterhalb des Kronenrands Karies entwickelt. Vor Kurzem wurden daher die bestehenden Goldrestaurationen entfernt und die Zähne für eine Neuversorgung mit Kunststoffprovisorien versehen. Der Behandler ist unsicher, ob die Schmerzen von 16 oder 17 ausgehen, und bittet um Rat. Röntgenologisch ist eine diskrete Aufhellung sowohl an der Spitze der palatinalen als auch der mesiobukkalen Wurzel von 16 zu sehen. Klinisch reagieren beide Zähne auf den Kältetest, 16 mit verstärkter Sensitivität. Zahn 16 ist leicht perkussionsempfindlich. Die Behandlung erfolgt als Single visit endodontics und wird unter dem OP-Mikroskop durchgeführt. Als Besonderheit zeigen sich in der mesiobukkalen Wurzel zwei separat verlaufende Wurzelkanäle mit jeweils eigenem apikalen Austrittspunkt (Abb. 1e).

Herr Widera, wie gehen Sie als Praktiker vor?

Widera: Uns wurde ein Patient mit persistierenden Schmerzen ausgehend von Zahn 26 überwiesen. Die periapikale Lä‧sion endodontischen Ursprungs mesial an der palatinalen Wurzel heilte nach der Primärbehandlung nicht ab. Der Patient hatte immer wieder intervallartige Beschwerden. Die zirkulären Sondierungstiefen lagen bei 1 bis 2 mm, der Zahn wies keinerlei Lockerung auf. Wir entschieden uns für eine zweizeitige Revisionsbehandlung mit zwischenzeitlicher Kalziumhydroxideinlage für vier Wochen. Die Revisionsbehandlung erfolgte mit F360-Feilen von Komet in rechts-reziproker Arbeitsweise. Die flexiblen und gleichzeitig schneidfreudigen Feilen ermöglichten hier ein Auskommen mit wenigen Instrumenten. Die initiale Gleitpfadpräparation auf Arbeitslänge erfolgte nach Entfernung der vorhandenen Wurzelfüllung. In der ersten Sitzung wurden die Kanalsysteme bis 35/100 mm aufbereitet. In der zweiten Sitzung habe ich dann alle Kanalsysteme abschließend bis 45/100 mm erweitert. Um aber noch einmal auf eine frühere Frage zurückzukommen: Eine solche Revision ist meiner Meinung nach unmöglich mit einem, zwei oder drei Instrumenten machbar. Nach intensivster Desinfektion und PUI mit Natriumhypochlorit, EDTA, Ethanol und Chlorhexidin habe ich den Zahn in warm vertikaler Kompaktion mit Guttapercha verschlossen. Als Sealer ist AH Plus eingesetzt worden. Die Röntgenkontrollaufnahme nach zwölf Monaten zeigt eine Tendenz zur apikalen Abheilung und der Patient ist mittlerweile vollkommen beschwerdefrei.

Zu den Grenzen der Endodontie: Wann extrahieren Sie?

Baumann: Die Indikation zur Extraktion erfolgt, wenn die Zahnsubstanz so weit zerstört ist, dass eine anschließende Restauration des Zahns nicht mehr möglich sein wird. Die parodontale Situation muss ebenfalls berücksichtigt werden und kann gegen den Zahnerhalt sprechen. Bei zukünftiger Nutzung als prothetischer Pfeiler gilt es abzuwägen, ob der Zahn diese Aufgabe unter Berücksichtigung auch statischer Gesichtspunkte erfüllen kann. In den genannten Fällen ist die Implantation heute eine wertvolle und gute Alternative. Psychologische Gesichtspunkte – Angst vor dem Zahnverlust als Zeichen des Alterns etc. – sind im Einzelfall auch zu berücksichtigen.

Widera: Eindeutige Indikationen für Extraktion sind Längsfrakturen, die über das koronale Drittel hinaus bis in den Wurzelanteil reichen. Des Weiteren sind funktionale und parodontale Aspekte von großer Bedeutung. Lassen sich Probleme bei vorhandenen periapikalen Läsionen vorhersagbar nicht lösen, kann das Implantat im Ausnahmefall die bessere Lösung sein. Ich entscheide im Einzelfall immer erst nach einer ausführ‧lichen Diagnostik unter Zuhilfenahme des Dentalmikroskops und Beratung des Patienten, wie es weitergeht. Natürlich erschweren große Perforationen, iatrogene Begradigungen von Wurzelkanalsystemen und Instrumentenfrakturen den Zahnerhalt zusätzlich. Die Intrakoronale Diagnostik (IKD) kann hier sehr hilfreich sein.

Abschließend ein Blick in die Zukunft: In welchen Endo-Bereichen sollte sich noch etwas tun?

Baumann: Da bieten sich unterschiedliche Aspekte an. Ich hätte einige interessante Fragestellungen:

  • Single versus multiple visit endodontics – welche Methode ist besser, erfolgreicher?
  • Wurzelkanalbehandlung 16 ohne oder mit Mikroskop. Klinische Studie – welche Methode ist besser, erfolgreicher?
  • Wurzelkanalbehandlung 16 mit Handinstrumenten oder NiTi-Feilen. Klinische Studie – welche Methode ist besser, erfolgreicher?
  • Wurzelkanalbehandlung 16 im Studentenunterricht, beim Zahnarzt, beim Endodontologen. Klinische Studie – welche Methode ist besser, erfolgreicher?
  • Und von der Industrie wünsche ich mir ganz neue Ansätze, zum Beispiel die Züchtung eines neuen Zahns regio 15 und einer neuen Pulpa in Zahn 16.

Die Literaturliste steht auf www.dentalmagazin.de

Zusammenfassung

  • Nach wie vor stellt die Aufbereitung des Wurzelkanals eine Herausforderung für den allgemein tätigen Zahnarzt dar. Systeme mit einer reduzierten Anzahl von Feilen vereinfachen den Behandlungsablauf deutlich.
  • Mit ein bis zwei Feilen ist der Wurzelkanal oft nur unzureichend ausgeformt. Bei komplizierten Revisionen stoßen Systeme mit wenigen Feilen an ihre Grenzen.
  • Studien belegen, dass die Behandlung mit reduzierter Instrumentenzahl durchaus schneller erfolgen kann als mit Mehrfeilen-Systemen. Dazu kommt: je weniger Instrumente, desto weniger Fehlerquellen.
  • Trotz der neuen Techniken nehmen Revisionen zu und werden das auch künftig tun. Zurückzuführen ist das auf neue diagnostische Möglichkeiten, etwa auf die DVT-Diagnostik.
  • Es ist wichtiger, was man aus dem Kanal herausholt, als das, was man einfüllt. Der Erfolg der Endo-Behandlungen steht und fällt mit der Desinfektion.
  • Einige auf dem Markt angebotenen WK-Füllungsmaterialien gelten als veraltet. Formaldehyd, Eugenol und Kortison in WK-Füllungsmaterialien ist aus wissenschaftlicher Sicht negativ zu bewerten.
  • Wenn der Zahn zu stark zerstört ist, bleibt nur noch die Extraktion. Zu den Indikationen zählen u. a. Längsfrakturen, die über das koronale Drittel hinaus bis in die Wurzelspitze reichen, aber auch funktionale und parodontale Aspekte.

 Prof. Dr. Michael A. Baumann
ist seit 1994 Professor für Zahnerhaltung und Parodontologie an der Universität zu Köln. Als Mitbegründer, Vizepräsident und Präsident der DGEndo sowie Referent zahlreicher endodontischer Kurse und Fortbildungsveranstaltungen hat er sein Spezialgebiet Endodontologie mitgeprägt. Zudem ist er als Autor aktiv.
Kontakt: michael.baumann@uk-koeln.de

 Marcus Haynert
studierte Betriebswirtschaftslehre in Paderborn und an der University of Tasmania in Australien. Seit 2011 ist er bei Komet Dental im Market Developement Management im Produktbereich Endodontie tätig. Seit 2014 leitet er das Produktmanagement für diesen Bereich auf nationaler und internationaler Ebene.
Kontakt: mhaynert@kometdental.de

 ZA Nils Widera
studierte Zahnmedizin in Leipzig und Berlin und ist seit 2004 in eigener Praxis in Leipzig niedergelassen. 2007 spezialisierte sich der gebürtige Berliner auf die mikroskopische Endodontie und die Arbeit auf     Überweiser‧basis. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt sind vollkeramische Restaurationen.
Kontakt: nilswidera@gmx.de