Rekonstruktive Gewebematrix

Bindegewebstransplantate vs. Gewebematrix

Eine neue rekonstruktive Gewebematrix erweitert das Einsatzgebiet von Bindegewebsersatzmaterialien. Gibt es bald einen neuen Goldstandard? Was sind die Hauptindikationen? Das diskutieren Prof. Dr. Stefan Fickl, ZA Andreas van Orten, Dr. Dr. Roman Beniashvili und Dr. Peter Huemer im aktuellen Expertenzirkel des DENTAL MAGAZINs.


Weichgewebe Bindegewebstransplantate

Periimplantäres Weichgewebe lässt sich mit dem Aufkommen porciner und allogener Matrizes patientengerecht und vorhersagbar aufbauen. | © Beniashvili


Bislang galten Bindegewebstransplantate als der Goldstandard für ein Plus an Weichgewebe rund um Implantate. Was hat sich mit dem Aufkommen porciner und allogener Matrizes getan?

Fickl: Die biologischen Prinzipien haben sich erst einmal nicht verändert. Ein Transplantat – egal ob xenogen oder autolog – muss über Diffusion in den ersten postoperativen Tagen ernährt werden. Natürlich ist klar, dass autologe Materialien hier Vorteile gegenüber Fremdmaterialien haben. Prinzipiell ist ein Gewebeaufbau um Implantate aber mit allen Materialien möglich. Autologe Bindegewebstransplantate sind nach wie vor Standard: erstens wegen der langjährigen Erfahrung und wissenschaftlichen Dokumentation, zweitens wegen der besseren frühen Einheilung dieses Gewebes. Fremdmaterialien – dermale Matrizes oder Kollagenprodukte – haben gerade in der Anfangszeit eine Lernkurve für jeden Kliniker.

van Orten: Für sensitive Patienten und auch Patienten, die ein großes Gewebevolumen benötigen – etwa bei der simultanen Behandlung mehrerer Quadranten –, sind Bindegewebsersatzmaterialien definitiv hochinteressante Alternativen. Sie nehmen Einfluss auf die Therapiedauer und auf die subjektiv vom Patienten empfundene Therapieintensität bezüglich der Komorbidität am Gaumen.

Huemer: Und nicht selten ist das klinische Outcome vorhersagbarer. Denn Bindegewebe und Bindegewebe ist nicht dasselbe. Je nach Entnahmeort – Tubergewebe, Deckhaut, Gaumen oder das tiefe fett- und drüsenhaltige Bindegewebe – verhalten sich die autologen Transplantate ganz unterschiedlich. Auch hat nicht jeder Patient gleich viel Bindegewebe. Mit Material aus der Packung, das in gleichbleibender Dicke unbegrenzt verfügbar ist, lassen sich heute Indikationen behandeln, die allein wegen der Belastung der Gewebeentnahme in der Vergangenheit oft nicht berücksichtigt werden konnten.


Sie sprechen von einer Indikationsausweitung?

Huemer: Ja, mit der neuen azellulären Matrix porciner Herkunft (PADM/NovoMatrix) können wir bei der Rezessionsdeckung umfangreicher als bisher behandeln: einen kompletten Kiefer in einer Sitzung, ohne am Gaumen eine Wunde zu setzen.

Die rekonstruktive Matrix (NovoMatrix, ab Mai auf dem deutschen Markt) eignet sich nach Erfahrung der Anwender für folgende Indikationen:
  • bei Teil- und Ganzkieferrezessionsdeckungen,
  • für den Knochenschutz bei Sofortversorgung bei Mehrfachimplantaten,
  • bei einfacher Weichgewebsverdickung nach Implantation, besonders im Unterkieferseitenzahnbereich
  • bei der Implantatfreilegung,
  • bei der Periostverdickung für geplante freie Schleimhauttransplantate,
  • bei der Vorbereitung für großvolumige Schleimhauttransplantate nach vorangegangener Gewebetransformation

(Quelle: Huemer)

  • Rezessionsdeckung, vor allem bei Patienten mit multiplen Rezessionen,
  • Intraoperative Gewebsverdickung,
  • Barrieremembran, NovoMatrix als Ersatz für ein freies Schleimhauttransplantat

(Quelle: Beniashvili/vanOrten)

Hat diese neue porcine ADM das Potenzial, autologe Bindegewebstransplantate zu ersetzen?

Beniashvili: Nicht in vollem Umfang, aber bei ausgewiesenen Indikationen, insbesondere bei Rezessionen der Miller-Klassen I bis II und bei der intraoperativen Weichgewebsverdickung. Die Weichgewebsdicke um ein Implantat soll erfahrungsgemäß mindestens zwei Millimeter dick sein, damit das Knochengewebe sich nicht zurückbildet. Bei dünnen Biotypen verdicken wir das Weichgewebe standardmäßig im Zuge der Insertion.

Verdicken Sie inzwischen mit der porcinen ADM?

Beniashvili: Ja, überwiegend mit NovoMatrix, die ich seit Oktober vergangenen Jahres im Einsatz habe. Wir bekommen definitiv vorhersagbare Ergebnisse.

Fickl: Je herausfordernder aber der Defekt oder die Indikation werden, desto mehr wird sich ein erfahrener Kliniker auf autologes Material verlassen. Dies ist übrigens bei der knöchernen Regeneration nicht anders: Kleine Defekte sind heute problemlos mit Fremdmaterialien zu lösen; bei größeren Defekten greift man gerne noch auf autologe Techniken wie Schalentechniken oder Knochenblöcke zurück. Also in kleinen zahnbegrenzten Defekten, wie bei einer Freilegung eines Einzelzahnimplantates kommen azelluläre dermale Matrizes oder Kollagenmatrizes dem autologen Bindegewebstransplantat schon sehr nahe.

Huemer: Ich möchte auch nicht vom Ersetzen des autogenen Bindgewebstransplantats durch die porcine ADM sprechen, sondern von einem Ergänzen – aber das in großem Umfang. Besonders bei Gewebeverdickung bei Implantaten und Rezessionsdeckung wird die porcine dermale Matrix die Behandlung künftig massiv vereinfachen – und das bei klar reduzierter Morbidität für die Patienten.


Porcine Matrizes gibt es schon lange von unterschiedlichen Herstellern. Was sind die Unterschiede?

Fickl: Die wichtigste Unterscheidung bei den heute am Markt befindlichen Weichgewebsmatrizes ist die Differenzierung nach dem Ursprungsort. So existieren dermale Matrizes, die aus der porcinen Lederhaut gewonnen werden und durch unterschiedliche Verfahren prozessiert werden. Diese Materialien haben den Vorteil der guten Volumenstabilität und eher langsamen Resorptionskinetik. Auf der anderen Seite sind sie durch ihre dichte Struktur anfällig für postoperative Wunddehiszenzen – diese Materialien müssen also zwingend geschlossen einheilen.

Als zweite Materialgruppe existieren Kollagenprodukte, die aus rekonstituiertem Kollagen hergestellt wurden und auch chemisch quervernetzt sein können. Diese Materialien haben durch ihre lockere Struktur eine sehr gute frühe Wundheilungstendenz, kämpfen aber in manchen Fällen mit der frühen Volumenstabilität.



Was läuft bei der pocinen ADM anders? Was ist das Neue?

van Orten: Das Processing ist das Besondere! Azellulär bedeutet, dass histologisch nach dem Aufbereitungsprozess keine porcinen Zellen in oder an der Matrix verbleiben, da diese die Wundheilung nachhaltig negativ beeinflussen können. Das Gewebe wird dabei aber kaum verändert, weder die Kollagenfasern noch die elastischen Fasern. Histologien belegen, dass das Gewebe zwar identisch aussieht, aber keine Zellen mehr vorhanden sind, …

… die eine Infektionsquelle und Antigenaktivität darstellen könnten?

van Orten: Richtig. Ich habe im Zuge meiner ersten Anwendung eine native Probe der NovoMatrix aus der Verpackung an den von mir sehr wertgeschätzten Prof. Dr. Werner Götz, Leiter des Labors für Oralbiologische Grundlagenforschung in Bonn, gesendet. Seine Histologien zeigen eine sehr gleichmäßige, feinfaserige Kollagenstruktur mit noch vorhandenen Gefäß- und anderen Gewebsstrukturen. (3a-d)


In fünf Schritten zum patientengerechten periimplantären Weichgewebsmanagement
  • Benötigen Patienten ein großes Gewebevolumen, sind Bindegewebsersatzmaterialien definitiv hochinteressante Alternativen. Denn das autologe Material ist begrenzt und die Entnahmemorbidität hoch.
  • Das klinische Outcome ist zudem aufgrund standardisierter Dicke und Qualität vorhersagbarer. Das führt auch zu Indikationserweiterungen.
  • Insbesondere bei Rezessionen der Miller-Klassen I bis II und bei der intraoperativen Weichgewebsverdickung kann eine porcine ADM das autologe Bindegewebstransplantat ersetzen.
  • NovoMatrix lässt sich gut in den Tunnel einbringen. Es besteht kein Risiko, dass die Matrix in irgendeiner Form kollabiert.
  • Erste histologische Untersuchungen zeigen, dass sich bereits nach acht Wochen das transplantierte Gewebe kaum vom ortsständigen unterscheiden lässt.

Die Experten

© privat

Dr. Roman Beniashvili
Zahnmedizinstudium in Tübingen, seit 2002 niedergelassen in der Tagesklinik für Oralchirurgie, Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie und Implantologie in Schorndorf bei Stuttgart.
info@dr-beniashvili.de

© privat

Prof. Dr. Stefan Fickl
Zahnmedizinstudium in Erlangen-Nürnberg, niedergelassen in eigener Praxis in Fürth, Tätigkeitsschwerpunkte: Parodontologie, Implantologie
info@fickl-krug.de

© privat

Dr. Peter Huemer
Medizin- und Zahnmedizinstudium in Innsbruck, 2003 Eröffnung des privaten Instituts für Implantologie, Parodonto‧logie und Ästhetische Zahnmedizin in Wolfurt in Österreich
info@institut-huemer.at

© privat

ZA Andreas van Orten, MSc, MSC
Zahnmedizinstudium in Münster, seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis in Waltrop, Tätigkeitsschwerpunkte: Implantologie, Parodontologie
andreas@zahnaerzte-do24.de